Bundestrojaner ohne Rechtsgrundlage in der Schweiz

Heute das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) erstmals bestätigt, dass Bundestrojaner (Staatstrojaner, «Trojaner Federal») auch in der Schweiz zum Einsatz gelangen – unter anderem bei der Bundesanwaltschaft und bei der Kantonspolizei Zürich. Bislang war lediglich bekannt, dass schweizerische Strafverfolgungsbehörden seit Jahren an Bundestrojanern interessiert waren und solche Software deshalb auch in der Schweiz entwickelt sowie aus Deutschland in die Schweiz geliefert wurde, doch gelangte keine tatsächliche Verwendung an die Öffentlichkeit. Mit der Bestätigung erweisen sich bestehende Befürchtungen als begründet.

Keine Rechtsgrundlage für Online-Durchsuchung

Die Bestätigung ist brisant, weil es zum heutigen Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage für die Verwendung von Trojanern zur Online-Durchsuchung und Überwachung in der Schweiz gibt. In der neuen Schweizerische Strafprozessordnung (StPO), die erst seit Anfang 2011 in Kraft ist und die früheren kantonalen Strafprozessordnungen ablöste, ist lediglich in Art. 280 die Verwendung von technischen Überwachungsgeräten, nicht aber von Trojanern und anderer Schadsoftware (Malware) geregelt. Eine solche ausdrückliche Regelung fehlte auch in den früheren kantonalen Strafprozessordnungen, was aber verschiedene Strafverfolgungsbehörden offensichtlich nicht davon abhielt, Trojaner rechtswidrig als «technische Überwachungsgeräte» einzusetzen.

Für Strafverfolgungsbehörden gilt eigentlich das strafrechtliche Legalitätsprinzip, das heisst sie dürfen insbesondere nur im gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Rahmen Beweismittel erheben und Zwangsmassnahmen durchführen – Bundestrojaner zählen bislang nicht dazu. Unglücklicherweise kennt die Schweiz kein absolutes Beweisverwertungsverbot. Bei schweren Straftaten und entsprechend hohen möglichen Strafen wird vor Gericht häufig eine bedauerliche Güterabwägung zugunsten der Verwertung von rechtswidrig beschafften Beweismitteln getroffen, was entsprechende Anreize für die Strafverfolgungsbehörden schafft.

Schweizerischer Bundestrojaner via BÜPF-Revision?

Eine Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), die über eine Ergänzung der StPO die Verwendung von Bundestrojanern (euphemistisch als «Einführen von Informatikprogrammen» bezeichnet) ermöglichen soll, ist noch im Gang. Die geplante Bundestrojaner-Bestimmung in der ergänzten StPO stiess in der entsprechenden Vernehmlassung in weiten Kreisen auf massive Kritik. Die StPO soll mit folgendem neuen Artikel ergänzt werden (mit Hervorhebung durch den Autor):

Art. 270bis Abfangen und Entschlüsselung von Daten (neu)

1 Sind bei einer Überwachung des Fernmeldeverkehrs die bisherigen Massnahmen erfolglos geblieben oder wären andere Überwachungsmassnahmen aussichtslos oder würden die Überwachung unverhältnismässig erschweren, so kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Wissen der überwachten Person das Einführen von Informatikprogrammen in ein Datensystem anordnen, um die Daten abzufangen und zu lesen. Die Staatsanwaltschaft gibt in der Anordnung der Überwachung an, auf welche Art von Daten sie zugreifen will.

2 Die Anordnung bedarf der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht.

Absatz 1 sieht den so genannt subsidiären Einsatz des Bundestrojaners vor, doch ist die Hürde der unverhältnismässig erschwerten Überwachung gering. Absatz 2 statuiert eine notwendige Genehmigung durch ein Zwangsmassnahmengericht, doch stellt dieser Richtervorbehalt keine nennenswerte Hürde dar, wie unter anderem die deutsche Studie «Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? – Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung» von 2003 deutlich ergab.

Ähnliche Begehrlichkeiten bestehen bei der Revision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS):

Art. 18m (neu) Geheimes Durchsuchen eines Datenverarbeitungssystems

Lassen konkrete und aktuelle Tatsachen oder Vorkommnisse vermuten, dass ein mutmasslicher Gefährder oder eine mutmassliche Gefährderin ein ihm oder ihr zur Verfügung stehendes und gegen Zugriff besonders gesichertes Datenverarbeitungssystem benutzt, kann dieses vom Bundesamt durchsucht werden. Die Durchsuchung kann ohne Wissen des mutmasslichen Gefährders oder der mutmasslichen Gefährderin erfolgen.

Fazit

Angesichts der laufenden BÜPF-Revision, in der eine gesetzliche Grundlage für einen Schweizer Bundestrojaner noch kontrovers diskutiert wird, ist die heutige Verwendung von Bundestrojanern in der Schweiz äusserst dreist. Die fehlende Rechtsgrundlage soll gerade mit der BÜPF-Revision und der damit verbundenen StPO-Ergänzung erst geschaffen werden. Die früheren kantonalen und die heutige eidgenössische StPO-Bestimmung bezüglich «technischer Überwachungsgeräte» genügt aufgrund des strafrechtlichen Legalitätsprinzips nicht.

Bundestrojaner ermöglichen mit der Online-Durchsuchung eine Überwachungsmethode, die einen äusserst gravierenden Eingriff in die Privatsphäre der betroffenen Bürger darstellt. Gleichzeitig ist die Verwendung von Bundestrojanern kaum zu kontrollieren und damit äusserst anfällig für Missbrauch, denn ein Bundestrojaner betrifft zwangsläufig immer alle Daten auf den überwachten Computern und sonstigen Systemen. Aus diesem Grund wäre aus rechtsstaatlicher Sicht ein Verzicht auf die Bundestrojaner-Verwendung in der Schweiz die effizienteste Lösung. Ich hoffe weiterhin, dass die Schlagzeilen rund um Bundestrojaner in Deutschland und nun auch in der Schweiz jenen politischen Kräften helfen wird, die Online-Durchsuchungen und andere Bundestrojaner-Verwendungen ablehnen.

7 Kommentare

    1. Leben wir wirklich noch in einem Rechtsstaat?

      Ja – als Antwort in aller Kürze. Eine umfangreiche Antwort würde ein differenziertes Bild ergeben, insbesondere ist unser Rechtsstaat nicht überall gleich stark ausgeprägt.

  1. Was die Leute noch für schwere Straftaten als gerechtfertigt ansehen dürfte dann problematisch werden ,wenn der Wind dreht. Was ist wenn morgen die politische Gesinnung ausspioniert wird und man wegen dem, was heute noch als freie Meinungsäusserung gilt, morgen als LandesveräterIn dasteht?

  2. @Brigitte Obrist:

    Richtig – zumal mittlerweile grosse Datenmengen mit vergleichsweise geringem Aufwand über einen langen Zeitraum gespeichert werden können und damit einer späteren Auswertung zugänglich sind.

  3. Wie würden Sie den Einsatz des Staatstrojaner, der PC manipuliert und Kamera aufschaltet, aus verfassungsrechtlicher Sicht beurteilen? Unter welchen Voraussetzungen könnte der Einsatz allenfalls zulässig sein? Danke für Ihre Antwort.

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