Graphologie befasst sich gemäss Wikipedia «mit [der] Analyse der Handschrift von Individuen zum Zweck der psychologischen Diagnostik und Beratung». Früher wurde Graphologie häufig von Arbeitgebern zur Beurteilung von Stellenbewerbern genutzt. Heute gilt Graphologie als Pseudowissenschaft, da es keinen wissenschaftlichen Beweis für einen Zusammenhang zwischen Handschrift und Persönlichkeitsmerkmalen gibt.
Graphologie bei schweizerischen Arbeitgebern
Die Erkenntnis, dass Graphologie als Pseudowissenschaft nicht zur Beurteilung von Stellenbewerbern geeignet ist, wird in der Schweiz von verschiedenen privaten und öffentlichen Arbeitgebern ignoriert. Sie nehmen ihre Bewerber weiterhin oder gar vermehrt wieder graphologisch unter die Lupe, wie die Wochenzeitung «Weltwoche» in ihrer Ausgabe 40/2011 berichtete (Artikel leider nicht verlinkbar):
[…] Der Baukonzern Implenia, der Haushaltgerätehersteller Miele, die Maschinen-Fabrik Netstal, der VCS oder das Laufbahnzentrum der Stadt Zürich geben grafologische Gutachten in Auftrag.
Anekdoten der oben erwähnten Arbeitgeber sollen beweisen, dass die Methode der Graphologie entgegen der wissenschaftlichen Kritik funktioniert:
Thomas Foery ist Personalchef bei Implenia. Er sagt, Assessment-Center hätten Schwächen. «Leute, die das gewohnt sind, entwickeln entsprechende Skills.» Dasselbe sagt Hans Wyssmann, Personalchef des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS): «Psychologische Tests kann man durchschauen und manipulieren. Die Handschrift dagegen ist direkt und persönlich» (SGG-Bulletin, Juli 2011). […] Bruno Franzen besass Interhome, eine Ferienhaus-Vermittlung. «Weil ich nicht alle Bewerberinnen und Bewerber persönlich treffen konnte, die in unseren Lokalstellen im Ausland arbeiten wollten, waren für mich die grafologischen Gutachten sehr nützlich und wertvoll» (SGG-Bulletin, Nov. 2009). Im Laufbahnzentrum der Stadt Zürich haben «Beratende oft nur begrenzt Zeit, die ratsuchende Person kennenzulernen», wie der Personalverantwortliche, Jürg Enderli, sagt. Ein «Grafo» könne in «effizienter Weise viele wertvolle In formationen liefern».
Auch bei der Stadt Winterthur und beim Kanton Zürich wurde Graphologie genutzt:
Fritz Lang war zwölf Jahre Personaldirektor der Stadt Winterthur, zuvor Leiter des kantonalen Personalamts. Der studierte Jurist schwört auf die Grafologie. Sie sei effizient und gleich aussagekräftig wie Einzel-Assessments, vor allem hinsichtlich Persönlichkeit, Arbeitshaltung und Intelligenz. Er stiess mit seiner Überzeugung oft auf Skepsis, konnte je doch wiederholt «bei Behördenmitgliedern und Kaderangehörigen ein gewisses Umdenken konstatieren».
Graphologie im schweizerischen Arbeitsrecht
Graphologie zur Beurteilung von Stellenbewerbern ist im schweizerischen Arbeitsrecht nicht untersagt. Bei ihrer Verwendung müssen aber die folgenden Bedingungen kumulativ erfüllt werden, was angesichts der pseudowissenschaftlichen Natur der Graphologie faktisch nicht möglich ist:
- Graphologische Gutachten dürfen nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Bewerber erstellt werden. Ein entsprechender Hinweis muss bereits in der Stellenausschreibung erfolgen und es darf nicht ein aus anderen Gründen handschriftlich verfasster Text verwendet werden. Ohne einen solchen Hinweis hätten Bewerber keine Möglichkeit, ihre notwendige Zustimmung zu erteilen.
- Stellenbewerber müssen darüber informiert werden, was mit den jeweiligen graphologischen Gutachten überprüft werden soll und inwiefern ein Zusammenhang zur ausgeschriebenen Stelle besteht. Charaktereigenschaften der Bewerber dürfen nicht mit graphologischen Gutachten erhoben werden.
- Aus Beurteilungsmethoden, die in Bewerbungsverfahren verwendet werden, müssen sich objektive, zuverlässige und gültige Ergebnisse ergeben. Die Methoden müssen fachmännisch angewendet und ausgewertet werden sowie dem beabsichtigten Zweck der Beurteilung von Bewerbern dienen.
Fazit
Graphologie ist eine Pseudowissenschaft und damit als Methode zur Beurteilung von Stellenbewerbern untauglich. Arbeitgeber, die ihre Stellenbewerber dennoch mit dieser pseudowissenschaftlichen Methode beurteilen, sollte man deshalb als Stellenbewerber im eigenen Interesse meiden. Mitarbeiter, die bei ihrer Bewerbung oder bei anderer Gelegenheit bereits graphologisch beurteilt wurden, können bei Interesse Einsicht in ihre entsprechenden Gutachten im Personaldossier nehmen oder Kopien anfordern. Bei erfolglosen Stellenbewerbungen müssen solche Gutachten grundsätzlich vernichtet werden; nur mit dem ausdrücklichem Einverständnis der erfolglosen Bewerber darf eine Aufbewahrung für eine etwaige Verwendung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Graphologie ist nicht die einzige untaugliche Methode, die zur Beurteilung von Bewerbern verwendet wird. Andere pseudowissenschaftliche Methoden sind Schädeldeutung und Astrologie, wie SPIEGEL ONLINE im Mai 2010 schrieb:
Kassiert der Jobbewerber eine Absage, kann es an seinen Ohrläppchen liegen. Oder am Sternzeichen oder der Handschrift: Manche Firmen setzen auf die sonderbarsten Methoden. Ein Psychologieprofessor hat die Scharlatanerie bei der Personalauswahl untersucht – im Interview verrät er die absurdesten Methoden.
Auch für solche Methoden gelten die oben aufgeführten Bedingungen zu ihrer Verwendung sowie meine Empfehlung, entsprechende Arbeitgeber als Stellenbewerber im eigenen Interesse zu meiden.
In einem lange vergangenen Karriereabschnitt musste ich während der Bewerberselektion eine Schriftprobe abliefern. Vor Abgabe derselben hatte mir der CEO einer Bank bereits signalisiert, dass er mich als Assistent anstellen wollte. Nach Vorlage des graphologischen Gutachtens wollte er mich zwar noch immer, aber an den zuvor mündlich besprochenen Konditionen wurde herumgeschraubt. So wollte er auch die Probezeit verlängern.
Sicher ich habe eine Sauklaue, aber dass der CEO deswegen seine zuvor eigenhändig vorgenommene Menscheneinschätzung abänderte, war für mich ein No Go. Habe abgelehnt und die Stelle sausen lassen und es nie bereut. Trifft man einen Entscheid sollte man auch nicht zurück blicken. Es ist schlicht verschwendete Energie, im Rückblick Chancen und Risiken analysieren und werten zu wollen, für die es gar keine harten Fakten gibt sondern wo man Annahmen treffen muss um zu einem Ergebnis zu gelangen.
Bin überrascht, dass graphologische Gutachten wieder im Aufschwung sind. Für mich sind sie wie Horoskope und da ist auch immer etwas dabei das im weitesten Sinne passen kann.
Graphologische Gutachten – wie andere Gutachten* auch – sind immer ein Absicherungsinstrument, hinter dem sich Manager verstecken, die nur bei Erfolg alles richtig gemacht haben. Ansonsten aber schnell und gern auf Experten und Gutachter verweisen, auf die man sich leider verlassen hat.
* Es gibt selbstverständlich Eignungs- und Persönlichkeit Tests die sicher sehr hilfreich sein können und eingesetzt werden sollten. Dies entbindet den Auftraggeber jedoch nicht davon, dass bereits vor dem Vorliegen eines Testresultats eine Meinungsbildung erfolgen sollte. Wenn die Ergebnisse mehr oder weniger deckungsgleich sind, ist alles Okay. Wenn nicht sollte man sich damit beschäftigen, wo und warum es zu Abweichungen gekommen ist. UND diese Abweichungen gehören gewertet. Es gibt Abweichungen die völlig wurscht sind betreffend das gesuchte Profil.