Bundesrat: Kein Handlungsbedarf gegen Filesharing

Screenshot: The Pirate Bay (Website, 2011)

«Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen das illegale Herunterladen von Musik?»

Aufgrund dieser Frage in Form eines Postulates von SP-Ständerätin und SUISA-Vorstandsmitglied Géraldine Savary veröffentlichte der Schweizerische Bundesrat heute seinen Bericht zur «unerlaubten Werknutzung über das Internet».

Der Bundesrat kommt darin gemäss heutiger Medienmitteilung zum erfreulichen Schluss, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, das heisst insbesondere der Download mittels Filesharing und aus Tauschbörsen soll zum Eigengebrauch erlaubt bleiben.

Der Bundesrat stellt fest, dass das Internet zwar die Nutzung von Musik und anderen Immaterialgütern fundamental verändert hat, das kulturelle Schaffen in der Schweiz davon aber nicht nachteilig betroffen ist. Der relative Anteil am verfügbaren Einkommen, der für den Konsum von Musik und anderen Immaterialgütern ausgegeben wird, bleibt konstant. Es finden aber Verschiebungen bei der Verwendung des verfügbaren Einkommens statt, an die sich die Produzenten – insbesondere im Ausland – anpassen müssen:

«[…] So geben die Konsumentinnen und Konsumenten die Mittel, welche sie durch die Tauschbörsennutzung einsparen, auch im Unterhaltungssektor wieder aus. Der frei werdende Teil wird statt in Musik- oder Filmkonserven in Konzerte, Kinobesuche und Merchandising investiert.»

Nachfolgend einige besonders lesenswerte Erkenntnisse und Feststellungen aus dem bundesrätlichen Bericht (mit Hervorhebungen durch den Autor):

Fundamentaler Umbruch im Unterhaltungsmarkt

«Einerseits wird die technische Entwicklung […] weiter rasant zunehmen. Andererseits wird parallel dazu die Zahl der „Digital Natives“ […] ebenfalls steigen. Es ist daher anzunehmen, dass sich eine weitere Verlagerung des Marktes für Unterhaltungsgüter in den digitalen Bereich ergeben wird. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Zusammenhang durch die Nutzung unlizenzierter Angebote entstehende Einsparungen weiterhin im Unterhaltungssektor ausgegeben werden und sich der Schaden der Branche insgesamt als begrenzt erweist.

In Bezug auf die Bereitstellung neuer digitaler Inhalte gilt es zu beachten, dass sich die Anreize, neue Werke zu produzieren, unter neuen technischen Rahmenbedingungen verändern. Wenn ein neues Produkt zu quasi null Kosten vervielfältigt und verbreitet werden kann und der Hersteller des Produktes weder eine Möglichkeit sieht, seine Investitionen zu amortisieren, noch einen Gewinn zu erzielen, so wird er auf die weitere Produktion verzichten oder versuchen, mittels weniger leicht kopierbaren Komplementärgütern, in der Regel solcher physischer Natur (beispielsweise Merchandising), den entgangenen Umsatz für das immaterielle Gut zu erwirtschaften. Solche Anpassungs- und Strukturveränderungsprozesse sind jedoch typisch für Perioden, in welchen der technische Fortschritt eine alte durch eine neue Technik ersetzt.»

[…] Gewinner werden dabei diejenigen sein, denen es gelingt, die neue Technik so einzusetzen, dass sie deren Vorteile auch kommerziell nutzen können, Verlierer diejenigen, welche diese Entwicklung verpassen und alte Businessmodelle weiterverfolgen. Insgesamt sind aber – zumindest für die Schweiz – die Prognosen für die drei in diesem Bericht untersuchten Bereiche Musik, Filme und Computerspiele insgesamt positiv.» […]

Nutzung von Filesharing in der Schweiz

«[…] Demgegenüber existieren keine Statistiken von offizieller Seite zur Piraterie im Internet. […]»

«[…] In absoluten Zahlen ergibt das, hochgerechnet für die Schweizer Bevölkerung über 15 Jahren, 2.61 Millionen Personen, die Dateien herunterladen und 4.99 Millionen Personen, die Musik, Filme und Spiele kaufen. Rund ein Drittel der über 15-jährigen Schweizer hat Musik, Filme und/oder Games heruntergeladen, ohne dafür bezahlt zu haben. […]

Rund zwei Drittel der Tauschbörsennutzer gaben an, dass sie lediglich herunterladen. Es ist davon auszugehen, dass etliche sich nicht bewusst sind, dass sie bei der Nutzung von Peer-to-Peer Netzwerken in der Regel auch Werke im Internet zugänglich machen. Nur maximal 5 % gaben an, bewusst neues Material zugänglich zu machen. Zudem stellte sich heraus, dass sowohl bei Tauschbörsennutzern als auch bei Personen, die keine Tauschbörsen nutzen, die Mehrheit keine Ahnung hat, was rechtlich zulässig bzw. unzulässig ist. […]»

Auswirkungen von Filesharing in der Schweiz

Keine eindeutigen Schlussfolgerungen möglich

«Die Sichtung bestehender Studien wie auch die direkte Befragung der interessierten Kreise hat gezeigt, dass eine klare Aussage über die Auswirkungen der unerlaubten Verbreitung von Werken in digitaler Form nicht möglich ist. Während ein Teil der Rechteinhaber die technische Entwicklung für erhebliche Verluste verantwortlich macht, haben andere angegeben, dass in ihrem Bereich die Umsätze seit Jahren stabil geblieben seien. Auch die vorhandenen Studien lassen keine eindeutige Schlussfolgerung zu. Klar ist aber, dass sich der Markt in einem fundamentalen Umbruch befindet.»

Filesharing führt zu höherem Unterhaltungskonsum

«Bei der Beziehung zwischen urheberrechtsverletzenden Tauschbörsennutzungen und der Nutzung legaler Angebote, wie beispielsweise Kauf oder Miete, können drei Fälle unterschieden werden: Urheberrechtsverletzende Tauschbörsennutzungen als komplementäre Aktivität, als Alternative und zum Zwecke der Information. Im ersten Fall ist das Nutzerverhalten wahrscheinlich auf fehlende Kaufkraft zurückzuführen […]. Auch der sogenannte Sampling-Effekt scheint keine reine Schutzbehauptung zu sein. 63 % der Tauschbörsennutzer kaufen nachträglich mindestens einmal jährlich Musik, die sie heruntergeladen haben. Die Studie zeigt auf, dass sich das Kaufverhalten von Tauschbörsennutzern nur minim von demjenigen anderer Personen unterscheidet; im Falle von Filmen und Spielen nehmen Tauschbörsennutzer gar mehr legale Angebote in Anspruch als Leute, die keine Tauschbörsen nutzen. Diese Beobachtung akzentuiert sich noch bei der im Internet aktivsten Gruppe der 15 bis 24-Jährigen.»

Verschiebungen im Budget für Unterhaltungskonsum

«[…] Dabei scheint der prozentuale Anteil am verfügbaren Einkommen, das für diesen Bereich [der Filme, Musik und Spiele] ausgegeben wird, konstant zu bleiben. […] Innerhalb dieses Budgets sind aber Verschiebungen festzustellen. Einsparungen, welche die Konsumenten über die urheberrechtsverletzende Tauschbörsennutzung erzielen, werden weiterhin für Unterhaltung ausgegeben. Wie die niederländische Studie zeigt, gilt diese Argumentation insbesondere bei den stärksten Nutzern von nichtlizenzierten Kopien. Sie konsumieren zwar Musik als solche aus dem Internet zu sehr geringen Kosten, verwenden aber in der Folge die so erzielten Einsparungen für Konzerte und Merchandising. Ähnliches gilt auch für die Vermarktung von Filmen. […]»

«Die angesprochene Verschiebung innerhalb des Budgets ist jedoch beschränkt. Weder der Musik- noch der Filmmarkt sind gänzlich zusammengebrochen, obwohl das Internet eine „Gratis“-Nutzung ermöglicht. […] Trotz der Möglichkeit von „Gratis“-Nutzungen gibt es somit gute Gründe für eine Nutzung legaler Angebote.»

Vorgehen gegen Filesharing in der Schweiz?

170 neue Staatsanwälte gegen Filesharing?

Das Aufkommen des Internet hat die Kosten für die Verbreitung von Musik, Filmen, Literatur und Software massiv gesenkt und damit auch eine Marktzutrittshürde fast vollständig beseitigt. […] Die Masse der Rechtsverletzungen verunmöglicht eine gerichtliche Durchsetzung in traditioneller Weise. Sie würde allein für den Musikbereich die Berufung von etwa 170 ausschliesslich für solche Rechtsverletzungen zuständigen Staatsanwälten bedingen.»

Wohlfahrtsverluste?

«[…] Staatliche Eingriffe mögen in solchen Situationen einen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften, sind aber immer auch mit „Nebenwirkungen“ in Form von zusätzlichen volkswirtschaftlichen Kosten, sogenannten Wohlfahrtsverlusten, verbunden. Solange der volkswirtschaftliche Nutzen höher ist als die durch den Eingriff verursachten Kosten, ist letzterer aus ökonomischer Sicht zweckmässig. Dieses Kosten-Nutzen-Kalkül ist nicht starr, sondern kann sich mit sich verändernden Umweltparametern ändern. […]»

Zugangssperren?

Im Rahmen der Verhandlungen zu einem neuen Abkommen gegen Fälschung und Piraterie (ACTA) haben Vertreter […] der Schweiz auch allfällige Massnahmen gegen die Verletzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten über das Internet geprüft. Vorgeschlagen wurden vor allem repressive Vorgehensweisen wie Internetsperren für Urheberrechtsverletzer, schärfere Sanktionen oder Auskunftspflichten der Internetdiensteanbieter. […] Im Fokus standen dabei die Internetdiensteanbieter. Als Torhüter des Internets erschienen sie am ehesten in der Lage, zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen beizutragen. Die vorgeschlagenen Massnahmen reichten von der Bekanntgabe der Abonnentendaten an die Rechteinhaber bis zu Zugangssperren für rechtsverletzende Abonnenten; Vorgehensweisen, die mit der schweizerischen Rechtsauffassung kaum vereinbar sind.

Wie in der WIPO kamen auch hier Befürchtungen auf, dass eine weitere Stärkung der Urheberrechte in einer gesellschaftlichen Gesamtbetrachtung letztlich zu nachteiligen Ergebnissen führen könnte. Die Vertragsparteien vereinbarten deshalb, darauf zu achten, dass der rechtmässige Wettbewerb, die freie Meinungsäusserung, faire Gerichtsverfahren und der Schutz der Privatsphäre beachtet werden.»

Filesharing für Eigengebrauch

«Ungeachtet des Umstandes, dass sich gesamtwirtschaftliche Nachteile durch die unerlaubte Nutzung von Werken über das Internet nicht eindeutig nachweisen lassen, werden unter dem Eindruck des unbestritten beträchtlichen Ausmasses der unerlaubten Verbreitung geschützter Werke über das Internet verschiedene Möglichkeiten gesetzgeberischen Handelns propagiert. […] Die Zahl von Rechtsverletzern hat sich als zu gross erwiesen, als dass eine effektive Rechtsdurchsetzung ausschliesslicher Rechte gegen die einzelnen Verletzer noch möglich wäre. Zudem ergeben sich Vorbehalte aus datenschutzrechtlichen Überlegungen (vgl. BGE 136 II 508 ‹Logistep›). Der Gesetzgeber hat sich deshalb […] explizit dafür ausgesprochen, die Nutzung unlizenzierter Angebote nicht zu verbieten, d.h. nicht von der Eigengebrauchsschranke in Art. 19 URG auszunehmen. Ein Zurückkommen auf diesen gesetzgeberischen Entscheid erscheint deshalb nicht geeignet, hier Abhilfe zu schaffen.

Ähnliche Vorbehalte ergeben sich beim Ansatz, Verletzer abzumahnen und im Wiederholungsfall vom Internet auszuschliessen. […] Ein Report zu Handen des Menschenrechtsrats der UNO beurteilte eine Internetzugangssperre als Verletzung […] des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

Die jüngste Diskussion über mögliche repressive Massnahmen konzentrierte sich auf eine Einbindung der Internetdiensteanbieter (ISPs), ihrer einzigartigen Stellung bei der Kontrolle des Zugangs zum Internet wegen. […] Gegen Internetsperren, die durch ISPs verhängt werden, sind vergleichbare Vorbehalte wie gegenüber dem „three strikes“-Ansatz anzubringen. Sie sind kaum mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung vereinbar. Die Problematik wird durch den Umstand verstärkt, dass die Sperre in diesem Fall nicht von einer gerichtlichen Behörde, sondern von einem privaten Unternehmen verhängt wird. Als Alternative wird der Einsatz von Filtertechnologien erwähnt. Dabei ergeben sich aber wiederum Vorbehalte in datenschutzrechtlicher Hinsicht und es wird zudem befürchtet, dass sie die Verbindungsgeschwindigkeit erheblich beeinträchtigen könnten. […]

Tatsächlich sind Zweifel angebracht, ob mit repressiven Massnahmen eine Eindämmung der Urheberrechtsverletzungen erreicht werden kann. Die präventive Wirkung und damit Lenkungsfähigkeit von Rechtsnormen hängt wesentlich von der Chance ab, dass sowohl die Tat als auch der Täter entdeckt und verfolgt werden. Angesichts des Ausmasses der Rechtsverletzungen stösst aber deren Verfolgung aufgrund der beschränkten Kapazität der Strafverfolgungsbehörden an Grenzen. Die Steuerung durch in der Gesellschaft allgemein anerkannte sittliche, religiöse, politische oder soziale Rechts- oder Wertvorstellungen und durch sozialen Druck ist stärker als die Motivation seitens des unvollständig bekannten und emotionell weit entfernten Rechts. Personen orientieren sich vor allem an ihren Bezugsgruppen und damit an den in ihrem täglichen Lebenskreis geltenden Regeln. Hieraus ergibt sich ein zusätzliches Hindernis, denn das Urheberrecht wird inzwischen dermassen stark als Hindernis für den Zugang zur Kultur empfunden und dessen Legitimität in einem Ausmass angezweifelt, dass die Piratenpartei die Befreiung der Kultur vom Urheberrecht gar als Punkt in ihr Parteiprogramm aufgenommen hat. […]

Da das Internet nun auch die Barrieren für das Verbreiten von Werken faktisch beseitigte, stellt sich die Frage, ob nicht analog der Vorgehensweise beim Kopieren, auch das nichtgewerbliche Zugänglichmachen von Werken über das Internet durch das Gesetz erlaubt und mit einem Vergütungsanspruch, der sogenannten Flatrate, verbunden werden soll. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus der Illegalität herausgeführt werden und auch Nutzungen wie das Streaming, die unter dem geltenden System mangels Vervielfältigung auf einen Leerdatenträger nicht zu Vergütungen führen, entschädigt würden. Allerdings ergeben sich auch gegenüber einer Flatrate Vorbehalte. Zum einen ist die Akzeptanz einer solchen Flatrate fraglich. […] Zum anderen ist fraglich, ob eine derart weitgehende gesetzliche Lizenz mit internationalen Verpflichtungen vereinbar ist. […] Eine generelle Erlaubnis der nichtgewerblichen Werkverbreitung führt dazu, dass ein ausschliessliches Recht in einem Ausmass durch eine gesetzliche Lizenz ersetzt wird, das sich nicht mehr ohne weiteres als Sonderfall qualifizieren lässt. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass alternativ im Rahmen der Vertragsfreiheit von den Rechteinhabern ähnliche Modelle auch freiwillig vertraglich vereinbart werden können und insofern eine Intervention des Gesetzgebers nicht zwingend ist. Denkbar sind beispielsweise Vereinbarungen über eine weitgehende Erlaubnis verbunden mit einer Flatrate der grossen Medienunternehmen und der Verwertungsgesellschaften mit Zugangsprovidern, welche den Abonnenten der betreffenden Provider die Nutzung ihrer Repertoires erlauben.»

Screenshot: The Pirate Bay (Website).

22 Kommentare

    1. … bleibt abzuwarten, ob sich unsere Bundesparlamentarier von den Ergebnissen und Feststellungen im bundesrätlichen Bericht beeindrucken lassen – leider scheint das Lobbying der Verlierer der Digitalisierung immer noch effizienter zu sein als jenes der Gewinner. Immerhin können sich nun Freunde der digitalen Freiheit auf den bundesrätlichen Bericht berufen und die referenzierten Quellen stellen eine nützliche Argumentationshilfe dar.

  1. Vielen Dank für Ihren Bericht Hr. Rechtsanwalt Martin Steiger

    Wir habe Diesen auf unserer Internetseite, mit Zitaten von Ihnen, platziert. Den Bericht Ihres Bundesrates werden wir in Deutschland mal unseren Politikern unter die Nase wedeln.

    Es bleibt zu hoffen das sich Ihre Politiker (Politiker Weltweit) nicht weiter vom Lobbyverband auf der Nase herumtanzen lassen.

    MfG

    Loggi-Leaks

  2. Dieser Bericht zeigt einmal mehr, dass man sich nicht wirklich darum bemühen will, eine ausgewogene Lösung für die Durchsetzung von Urheberrechten zu suchen. Wenn der Gesetzgeber schon den Bestand dieser Rechte garantiert, dass soll er auch die entsprechendne Instrumente bereitstellen, damit diese verteidigt werden können. Ansonsten bleibt nichts weiter übrig, als den Umfang der gesetztlich garantieren Ausschliesslichkeitsrechte zu minimieren. Nur das wäre letztlich konsequent.

    Allerdings hat bereits das Bundesgericht bekräftigt, dass gerade der Gesetzgeber gefragt wäre, «die allenfalls notwendigen Massnahmen zu treffen, um einen den neuen Technologien entsprechenden Urheberrechtsschutz zu gewährleisten» (BGE 136 II 508 E. 6.4 S. 525). Insofern hat der Bundesrat seine Chance verpasst, gangbare Lösungen aufzuzeigen. Der Bericht setzt sich auch nicht eingehend mit der rechtlichen Situation in der EU auseinander, in der bereits verschiedene Massnahmen ergriffen wurden.

    1. @Marc Wullschleger: Worin sehen Sie gangbare Lösungen jenseits der für einen demokratischen Rechtsstaat nicht akzeptablen repressiven Massnahmen (Abmahnungen, «Three Strikes»-Regelung, Vorratsdatenspeicherung)?

      1. @Martin Steiger: Es muss darum gehen, dass sich Rechtsverletzer bewusst werden, im Internet unter Umständen identfiziert werden können. Es versteht sich von selbst, dass es technisch versierten Nutzern immer wieder mit technischen Gegenmassenahmen möglich sein wird, dies zu verhindern. Insofern müsste aber das Ziel sein, legitime Auskunftsinteressen der Rechtsinhaber zu unterstützen. Dies könnte durch die Einführung eines echten Drittauskunftsanspruchs erreicht werden, ähnlich wie dies bereits in Deutschland der Fall ist. Dieser könnte verfahrens- und beweisrechtlich so umgesetzt werden, dass der mutmassliche Rechtsverletzer sich wehren könnte, falls eine falsche Anschuldigung vorliegt. Im Gegensatz zu Deutschland würde dies so oder so zu keinen Massenabmahnungen führen, zumal das reine Herunterladen hierzulande nicht rechtswidrig ist.

        Einfach nichts tun und der technischen Entwicklung freien Lauf lassen, kann keine Lösung sein.

        1. Der Bericht schlägt nicht vor "nichts" zu unternehmen. Im allerletzten Abschnitt steht "…Weiterführen der Öffentlichkeitsarbeit durch die Betroffenen und den Bund, um den geltenden Rechtsrahmen national bekannter zu machen."

          Natürlich wird es einigermassen schwierig, den nicht beweisbaren Zusammenhang zwischen angeblichem Umsatzrückgang und dem Download aus dem Internet einem breiten Publikum so zu verkaufen, dass dieses anfängt zu glauben, es verhalte sich moralisch falsch.

          Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer wissen inzwischen, dass der reine Download von Musik und Filmen aus dem Internet rechtlich legal ist.

          Die Zwangsabgaben auf leeren Datenträgern tragen ebenfalls dazu bei, dass viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes der Überzeugung sind, bereits mehrfach Entschädigungen für etwas bezahlt zu haben, die sie in keinster Weise beansprucht haben. Im Bericht fand ich keine Stelle, worin beschrieben ist, was mit all dem Geld aus den Leerdatenträgerverkäufen geschieht – welches ja ursprünglich als Ersatz-Vergütung der Rechteinhaber eingeführt wurde.

          Erfreulich ist die Ehrlichkeit des Rechteinhabers, welcher zugibt, dass dieses Problem nicht neu ist und "…das sei nun mal der Preis, welcher für den Fortschritt zu bezahlen sei. Gewinner werden dabei diejenigen sein, denen es gelingt, die neue Technik so einzusetzen, dass sie deren Vorteile auch kommerziell nutzen können, Verlierer diejenigen, welche diese Entwicklung verpassen und alte Businessmodelle weiterverfolgen."

          An altem hängt anscheinend auch G. Savary. Sie hat in der Presse einen neuen Vorstoss angedroht. Anscheinend will sie es nicht wahrhaben, dass der BR aktuell keine Veränderung vornehmen will.

          1. @Peter Rothenberger:

            An altem hängt anscheinend auch G. Savary. Sie hat in der Presse einen neuen Vorstoss angedroht. Anscheinend will sie es nicht wahrhaben, dass der BR aktuell keine Veränderung vornehmen will.

            … und die SUISA, in deren Vorstand SP-Ständerätin Géraldine Savary sitzt und für die sie lobbyiert, wohl offensichtlich auch nicht. Ich habe obigen Text um einen Hinweis auf die SUISA-Tätigkeit von Savary ergänzt; beim Verfassen des Textes war mir die Tätigkeit von Savary im SUISA-Vorstand noch nicht bekannt.

            (Via @floheinstein.)

        2. Lieber Herr Wullschleger, Sie möchten also der technischen Entwicklung keinen freien Lauf lassen? Das ist doch nicht liberal!

          Liberal ist doch, dass man es den Marktteilnehmern überlässt, die technische Entwicklung zu nutzen. Technische Disruptionen haben immer Gewinner und Verlierer. Die Verlierer versuchen sich immer zu wehren, das sehen wir auch bei der digitalen Revolution. Als Gesellschaft sollten wir auf Gewinner setzen, nicht auf Verlierer.

        3. @Marc Wullschläger, wäre es nicht sinnvoller und für die Gesellschaft nützlicher, wenn die Verwertungsindustrie, sich den neuen Gegebenheiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, anpasste, anstatt mit aller Kraft zu versuchen, Instrumente und Geschäftmodelle zu retten, die nicht mehr in die neue Umgebung passen?

          Es macht einfach keinen Sinn, in der digitalen Welt eine künstliche Verknappung der Daten durchsetzen zu wollen. Es macht keinen Sinn weiterhin vom Verkaufen von Kopien leben zu wollen. Die Zeiten der eigenen Gelddruckmaschinen für die Contentverwerter sind nun halt vorbei, tant pis!

          Kreativität auch im Bezug auf die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen ist das Gebot der Stunde und zwar auf Basis des Gedankens, dass die bestehenden Schutzmodelle und Schutzzeiten in Zukunft so revidiert werden müssen, damit sie der digitalen Realität entsprechen und nicht umgekehrt.

          1. An der neuen Realität führt kein Weg vorbei. Gesetz hin oder her. Seth Godin:

            By head count, just about everyone who works in the media industry is in the business of formalizing, reproducing, distributing, marketing and selling copies of the original creative work to the masses. The creators aren't going to go away–they have no choice but to create. The infrastructure around monetizing work that used to have a marginal cost but no longer does is in for a radical shift, though.

            Media projects of the future will be cheaper to build, faster to market, less staffed with expensive marketers and more focused on creating free media that earns enough attention to pay for itself with limited patronage.

            http://sethgodin.typepad.com/seths_blog/2011/12/t

        4. Echten Drittauskunftsanspruch? Genau solche deutschen Verhältnisse brauchen wir in der Schweiz nicht! Und auch keine Repressionen gegen ein Verhalten, das weder Opfer noch Schäden produziert.

        5. @Peter Rothenberger: Öffentlichkeitsarbeit betreibt die Kreativindustrie seit der Jahrtausendwende. Die Frage war schliesslich, welche gesetzgeberischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Insofern bleibt alles beim status quo.

          @Andreas Von Gunten: Habe ich das gesagt, dass sich die Verwertungsindustrie mit aller Kraft versuchen soll, die bisherigen Geschäftsmodelle zu erhalten? Nein, darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass der Gesetzgeber einer Person einen rechtlichen Anspruch garantiert, dieser aber aufgrund von faktischen Gegenbenheiten im Internet kaum durchsgetzt werden kann. Was macht man nun? Entweder man stellt den Rechtsinhabern neue Instrumente zur Verfügung, damit die Ansprüche durchgesetzt werden können oder man muss das Recht neu definieren. Ich kann grundsätzlich mit beiden Varianten leben, solange dies konsquent umgesetzt wird. Momentan haben wir eine Situation, in der beides nicht gegeben ist. Das hat zwischenzeitlich auch das Bundesgericht erkannt und folglich angedeutet, dass ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehen könnte.

          Neue Geschäftsmodelle werden sich ohnehin entwickeln, da sich die bisherigen nicht mehr auszahlen. Das hat aber nichts mit der Rechtsdurchsetzung zu tun.

          @Daniel Brunner: Damit werden keine deutschen Verhältnisse importiert, sondern eigentlich nur das ausgebaut, was in der Schweiz schon gilt. Wenn im Internet eine Straftat begangen wird, und dazu gehören nun einmal auch Urheberrechtsverletzungen, kann der Rechtsinhaber bei der Staatsanwaltschaft verlangen, dass der Rechtsverletzer (bzw. der Anschlussinhaber) durch den Zugangsanbieter identifziert wird (Art. 14 Abs. 4 BÜPF). Diese Praxis wurde m.E. durch den Logistep-Entscheid zwar eingeschränkt, doch grundsätzlich ist das Sammeln von IP-Adressen nur unter bestimmten datenschutzrechtlichen Vorgaben immer noch zulässig. Dies hat der EDÖB sogar gegenüber der IFPI bestätigt. Der gesamte Nachteil an diesem System ist, dass gerade die Staatsanwaltschaften mit diesen Verfahren belastet werden. Letztlich geht es aber darum, den Rechtsverletzer zu identifzieren. Dies würde durch einen Drittauskunftanspruch gewährleistet.

          @Florian Mauchle: Frau Savary hat den Vorstoss letztes Jahr eingereicht. Dann war sie zwar noch nicht in der SUISA, gehört allerdings bereits einem Verein an, der sich mit der Förderung von jungen Künstlern befasst. Insofern waren ihre Interessen nachvollziehbar.

          1. @Marc Wullschleger:

            […] dass der Rechtsverletzer (bzw. der Anschlussinhaber) durch den Zugangsanbieter identifziert wird (Art. 14 Abs. 4 BÜPF). Diese Praxis wurde m.E. durch den Logistep-Entscheid zwar eingeschränkt […].

            Weblinks zum BÜPF und «Logistep»-Entscheid im Original-Kommentar ergänzt.

        6. Lieber Herr Wullschleger, wollen Sie wirklich, dass die Content-Mafia selbst herausfinden darf, wer hinter einer IP-Adresse steckt?

          Ich schreibe Content-Mafia absichtlich nicht mit Anführungszeichen:

          http://zuerifluestern.wordpress.com/2011/12/05/if

          Selbst, wenn man weiss, wer hinter einer IP-Adresse steckt. Was gibt es zu verfolgen? Filesharing ist nicht schädlich. Was nicht schädlich ist, sollte in einem Rechtsstaat keine Rechtsfolgen haben, denn ansonsten macht sich ein solcher Rechtsstaat unglaubwürdig. Das Problem kennt man von Drogen her.

          1. Lieber Herr Behr

            Es geht nicht darum was ich will, sondern ob das bestehende Urheberrecht durchsetzen werden soll oder nicht. Die sog. Content-Mafia, womit Sie wohl die Werkvermittler meinen, hat bis anhin bereits Urheberrechtsverletzer anhand der IP-Adresse bestimmt. Dies ist gängige Praxis, wie dies ja auch aus ihrem Artikel hervorgeht, und darüber hinaus ganz allgemein bei der Aufklärung von Straftaten. Dies geschieht momentan in einem legitimen Strafverfahren durch Akteneinsicht. Wenn Sie dies nicht wollen, müssen Sie die entsprechenden politischen Vertreter in Bundesbern dazu anmieren, entsprechende Gesetzesänderungen anzustrengen.

            Filesharing als Technologie würde ich auch nicht als schädlich bezeichnen. Fakt ist nun einmal, dass gewisse Vorgänge (namentlich das Uploaden urheberrechtlich geschützter Werk) zu Urheberrechtsverletzungen führen. Rechtlich gesehen also eine unerlaubte Handlung, aus der verschiedene Ansprüche erwachsen. Insofern eine Beeinträchtigung der Rechtsposition deren Inhaber. Aber vielleicht meinen Sie einfach, es sei keine gesellschaftlich schädliche Wirkung mit Filesharing verbunden.Rechtlich gesehen ist dies, so stossend das für Sie sein mag, allerdings nicht relevant.

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