Letzte Woche veröffentlichte der Dienst «Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr» (Dienst «ÜPF») seine Zahlen zur Überwachung im Jahr 2011:
«Die aktuelle Statistik […] zeigt, dass die Überwachungen in Echtzeit […] um 4 Prozent auf 2’699 abgenommen haben. Der Dienst setzte derweil mehr rückwirkende Überwachungen um (+ 8% auf 5’758) und erteilte mehr technisch-administrative Auskünfte (+ 22% auf 3’918). Die Zahl der einfachen Auskünfte nahm um 8% auf 175’504 ab […].
Bei etwa der Hälfte der Fälle ging es um schwere Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Rund ein Fünftel der Anordnungen betrifft qualifizierten Diebstahl. Der Rest betrifft schwere Gewalt- und Sexualdelikte, Mitgliedschaft in kriminellen Organisationen, schwere Vermögensdelikte sowie Menschenhandel. Rund 90 Prozent der Massnahmen werden von den kantonalen Strafverfolgungsbehörden angeordnet, 10 Prozent von jenen des Bundes.»
Statistik mit beschränkter Aussagekraft …
Die Aussagekraft der veröffentlichten Statistik ist insofern beschränkt, als dass zahlenmässige Angaben zu den einzelnen Überwachungen fehlen. Beispiele für solche Angaben wären die Zahl der betroffenen Personen oder die Zahl der mitgelesenen E-Mails.
Bemerkenswert ist, dass Überwachungsmassnahmen, die Vorratsdatenspeicherung voraussetzen, erneut an Bedeutung gewonnen haben. Diese so genannt rückwirkenden Überwachungsmassnahmen haben sich seit Ende der 1990er-Jahre vervielfacht. Notwendig ist Vorratsdatenspeicherung auch für die so genannten Antennensuchläufe, die eigentlich erst Ende 2011 durch das Bundesgericht genehmigt wurden und weiterhin ohne die eigentlich notwendige gesetzliche Grundlage stattfinden. Die Statistik verzeichnet 218 solcher Antennensuchläufe für 2011, die übrigens in der Dienst «ÜPF»-Medienmitteilung keine Erwähnung finden.
Weiter ist zu beachten, dass der Dienst «ÜPF» ausschliesslich für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 269 ff. StPO) zuständig ist, so dass beispielsweise Angaben zu verdeckten Ermittlungen oder dem Einsatz technischer Überwachungsgeräte fehlen. Auch Angaben zur Bundestrojaner-Verwendung in der Schweiz kann der Dienst «ÜPF» nicht liefern.
… aber vorbildlich bezüglich Open Government Data
Informativ an der Veröffentlichung ist hingegen, dass die wichtigsten Grundlagen zur gesetzlichen Regelung der Überwachung sowie die einzelnen Überwachungsmassnahmen übersichtlich dargestellt werden. Vorbildlich ist ausserdem die Veröffentlichung einer umfangreichen Liste der einzelnen Überwachungsmassnahmen im Sinn von «Open Government Data» (Microsoft Excel-Tabellen für 2010 und 2011). Dank dieser Transparenz, wie sie für staatliche Stellen in der Schweiz leider noch nicht alltäglich ist, sind bei Bedarf eigene Auswertungen möglich und man muss nicht allein auf die direkt veröffentlichten summarischen Angaben abstellen. So könnte man zum Beispiel die Dienst «ÜPF»-Zahlen mit der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vergleichen, die allerdings erst für 2010 veröffentlicht wurde (PDF).
Meinungen: Anwaltskollege Jeker und Digitale Gesellschaft
Anwaltskollege Konrad Jeker empfiehlt ausdrücklich einen Blick auf diese «offenen» Daten und verweist auf die oben bereits erwähnten Antennensuchläufe:
«Sehr zu empfehlen ist das Excel-Sheet, aus dem detailliertere Informationen hervorgehen und das Ergebnisse zu Tage fördert, die zumindest erstaunlich sind. So erfreuen sich etwa die Antennensuchläufe immer grösserer Beliebtheit, obwohl etliche Kantone (zum Beispiel Zürich im Jahr 2011) ganz darauf zu verzichten scheinen.»
Die Digitale Gesellschaft befasst sich ebenfalls vor allem mit den Antennensuchläufen:
«Antennensuchläufe werden immer beliebter. In bereits 218 Fällen (gegenüber 77mal 2010) wurde auf diese umstrittene Methode der Rasterfahndung zurückgegriffen. Dabei werden sämtliche Mobilfunk-TeilnehmerInnen, die zu einem spezifizierten Tatzeitpunkt über eine definierte Antenne ihr Handy benutzt haben, zu Verdächtigen: Unter Umständen sind hunderte oder tausende Personen angehalten, ihre Unschuld zu belegen. […]»
Podcast-Tipp: CRE081 über «Neusprech im Schnüffelstaat» («CRE» stand ursprünglich für Chaosradio Express).
Bild: Piratenpartei Deutschland [Hinweis: Weblink entfernt, da leider nicht mehr gültig].