Am umstrittenen Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) wird häufig die mangelhafte Transparenz während der Verhandlungen kritisiert. So äussserte unter anderem die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK) gegenüber dem Schweizerischen Bundesrat den Wunsch nach Veröffentlichung von Dokumenten aus den ACTA-Verhandlungen.
Am 9. Mai 2012 bezog der Bundesrat in einem inzwischen veröffentlichten Brief dazu Stellung. Der Bundesrat begründete einerseits die fehlende Transparenz und wies ausserdem auf die Möglichkeit hin, zwei Dokumente zu den ACTA-Verhandlungen zu veröffentlichen: Einerseits freiwillig das Mandat für die schweizerische Delegation und andererseits gemäss Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) eine rechtsvergleichende Übersicht, die vom Institut für Geistiges Eigentum (IGE) erstellt wurde.
Ich bat in der Folge die Bundeskanzlei sowie das IGE um die Veröffentlichung dieser Dokumente und freue mich, dass nun alle drei Dokumente online zugänglich sind:
- Bundesrat: Stellungnahme «Handelsabkommen gegen Fälschung und Piraterie ACTA» vom 8. Mai 2012 (PDF);
- IGE: Vergleichende Übersicht über die wichtigsten ACTA-Bestimmungen mit Schweizer Recht und mit dem WTO/-TRIPS-Abkommen (PDF);
- Bundesrat: Beschluss betreffend Verhandlungen über ein plurilaterales Abkommen zur Bekämpfung von Fälschung und Piraterie vom 30. Mai 2008 (PDF, anonymisiert).
ACTA und Transparenz aus Schweizer Sicht
Gemäss bundesrätlicher Stellungnahme (PDF) setzte sich die Schweiz für die Veröffentlichung von ACTA-Abkommensentwürfen ein, scheiterte damit aber mehrheitlich am Widerstand anderer Staaten (mit Hervorhebung durch den Autor):
«Angesichts des wachsenden Interesses der Öffentlichkeit an ACTA setzte sich die Schweiz während den Verhandlungen dafür ein, Abkommensentwürfe öffentlich zugänglich zu machen. So konnte der Verhandlungstext nach der 8. Verhandlungsrunde im April 2010 und nach der 11. Verhandlungsrunde im Oktober 2010 veröffentlicht werden. Im Übrigen konnten die Parteien aber in der Frage der Veröffentlichung von Textentwürfen keine Einigkeit finden. Diese Haltung ihrer Verhandlungspartner hat die Schweiz zu berücksichtigen. […]»
Aus rechtlicher Sicht begründete der Bundesrat die fehlende Transparenz in erster Linie mit Verweis auf die Wiener Vertragsrechtskonvention und die aussenpolitischen Interessen der Schweiz (mit Hervorhebungen durch den Autor) …
«[…] Die Wiener Vertragsrechtskonvention sieht zwar vor, dass bei der Auslegung von Staatsverträgen die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses ergänzend beizuziehen seien. Daraus ergibt sich aber weder eine Pflicht noch eine Befugnis der einzelnen Verhandlungsteilnehmer, Verhandlungsdokumente auch gegen den Willen der anderen Verhandlungspartner der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das gilt umso mehr, solange der Vertrag vom betreffenden Land nicht unterzeichnet wurde. Im Bereich internationaler Verhandlungen ist zu beachten, dass eine Veröffentlichung die aussenpolitischen Interessen oder die internationalen Beziehungen der Schweiz nicht beeinträchtigen darf. […] Eine Beeinträchtigung der aussenpolitischen Interessen oder der internationalen Beziehungen kann insbesondere dann drohen, wenn die fraglichen Dokumente Informationen über andere Verhandlungsteilnehmer wie namentlich deren Verhandlungspositionen enthalten und die betreffenden Parteien mit einer Veröffentlichung nicht einverstanden sind. Dies trifft auf die meisten der sich bei der Schweizer Delegation befindlichen Dokumente zu ACTA zu. […] Wie bei bilateralen und plurilateralen Verhandlungen üblich, wurden keine Wortprotokolle der Diskussionen erstellt. […] Einige der Verhandlungsparteien von ACTA haben bis heute ihre Zustimmung zu einer Veröffentlichung von Verhandlungsdokumenten nicht erteilt. Die Schweiz kann daher der Öffentlichkeit keinen Zugang zu diesen Dokumenten gewähren. […]»
… erwähnte aber auch die Rolle der Schweiz in den ACTA-Verhandlungen:
«[…] Die Schweiz, die nicht zu den Initianten von ACTA gehört, hat ihrerseits nie eigenständige Abkommensentwürfe erarbeitet, sondern sich im Verhandlungsprozess darauf beschränkt, die Entwürfe anderer in den Verhandlungsrunden kritisch zu würdigen und konkrete Abänderungen vorzuschlagen […].»
Mandat der schweizerischen ACTA-Delegation
Das bundesrätliche Verhandlungsmandat (PDF) in der veröffentlichten Version wurde in Bezug auf die beteiligten Personen anonymisiert. Das Mandat im engeren Sinn lautete wie folgt (mit Hervorhebung durch den Autor):
«Die im Rahmen des plurilateralen Abkommens anvisierten Massnahmen entsprechen grundsätzlich dem, was sich bereits in der Schweizer Gesetzgebung findet. Die Schweiz wird sich im Rahmen der Verhandlungen dafür einsetzen, dass für die Schweiz keine weiter reichenden Verpflichtungen zur Einführung neuer Schutzstandards und kein eigentlicher (gesetzlicher) Umsetzungsbedarf entstehen.»
Rechtsvergleich zwischen Schweizer Recht, ACTA und TRIPS
Das IGE erstellte eine vergleichende Übersicht (PDF) über die wichtigsten ACTA-Bestimmungen und die relevanten Bestimmungen im Schweizer Recht sowie im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO). Die vergleichende Übersicht in Tabellenform, deren Erarbeitung ohne Zweifel viel juristisches Fachwissen und ein gehöriges Mass an Fleissarbeit erforderte, belegt, dass sich durch ACTA im Schweizer Recht grundsätzlich und vorläufig keine Änderungen ergeben würden – insbesondere aufgrund der zahlreichen «kann»-Bestimmungen, dank derer ein ACTA-Verhandlungsergebnis im Konsens der beteiligten Staaten überhaupt erst möglich wurde.
Bild: Screenshot aus dem Anonymous-Video «What is ACTA?».