Schweiz als international vernetzter Schnüffelstaat

Im Zusammenhang mit dem Bundestrojaner gelangten auf deutschem Umweg im letzten Jahr unter anderem auch Informationen zum international vernetzten Schweizer Schnüffelstaat an die Öffentlichkeit. Auf meine Nachfrage hin bestätigte das Bundesamt für Polizei im Februar 2012 ausserdem die Beteiligung der Schweiz an folgenden internationalen Arbeitsgruppen:

  • Cross-Border Surveillance Working Group (CSW, seit 2005)
  • European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG, seit 2003)
  • International Business Secretariat (IBS)
  • International Working Group on Undercover Policing (IWG, seit 1990)
  • Remote Forensic Software User Group (RFS User Group, ursprünglich DigiTask User Group, seit 2008)

Neue Erkenntnisse zum international vernetzten Schnüffelstaat

Auf deutschem Umweg wurden nun weitere Informationen zu «international im Verborgenen agierenden Netzwerken von Polizeien» – so der Titel einer entsprechenden Kleinen Anfrage der Partei «Die Linke» im Deutschen Bundestag (Drucksache 17/9007 vom 14. März 2012, PDF) – mit Bezug zur Schweiz bekannt. Zwar verweigerte die deutsche Bundesregierung in ihrer kürzlich veröffentlichten Antwort (Drucksache 17/9844, PDF) die Veröffentlichung zahlreicher Informationen «aus Geheimhaltungsgründen», doch ergaben sich auch so verschiedene neue Erkenntnisse:

Cross-Border Surveillance Working Group (CSW)

«Die erste Sitzung der CSW fand im Jahr 2005 statt. […] Derzeit sind Vertreter aus dem Bereich der Mobilen Einsatzkommandos (oder vergleichbare Einheiten) von zwölf EU-Mitgliedstaaten (neben Deutschland noch Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Osterreich und Spanien) sowie der Schweiz an der CSW beteiligt. Zudem entsendet Europol [seit 2006] einen Vertreter zu dieser Arbeitsgruppe. Private Firmen haben bisher nicht teilgenommen.»

European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG)

«Primäres Ziel der Gründung der ECG war die Förderung der internationalen Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden auf europäischer Ebene im Bereich des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. […]

Eine Geschäftsordnung (Terms of reference) regelt die Arbeit der ECG

Die Festlegung der Tagesordnung erfolgt durch den Vorsitz auf Grundlage von Themenvorschlägen der Mitglieder bzw. ausstehender offener Tagesordnungspunkte. Die Tagesordnung wird mit den Einladungen zur Sitzung durch den Vorsitz versandt. Die entsprechende Vorbereitung obliegt den Teilnehmern anhand der Tagesordnung selbst.

Die Geschäftsordnung sieht einen turnusmäßig wechselnden Vorsitz durch Wahl der Mitglieder vor.»

«Vorsitz und Organisation einer Unterarbeitsgruppe werden durch die Mitglieder der ECG bestimmt.»

International Business Secretariat (IBS)

«[…] Zweck der Treffen des IBS ist […] allein die Erörterung von polizeifachlichen Fragestellungen, die sich aus diesem polizeitaktischen Bereich ergeben (z.B. technische Möglichkeiten, Legendierungsinstrumente, Gefahren der Enttarnung etc.). Die Geheimhaltung und Organisation von Tarnidentitäten im konkreten Einzelfall findet hingegen im IBS nicht statt.»

Nach Angaben der deutschen Bundesregierung verfügt das IBS nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit.

International Working Group on Undercover Policing (IWG)

«Die IWG besteht seit 1989. […] Eine Geschäftsordnung (terms of reference) regelt die Arbeit der IWG.

Die Festlegung der Tagesordnung erfolgt durch den Vorsitz auf Grundlage von Themenvorschlägen der Mitglieder bzw. ausstehender offener Tagesordnungspunkte. Die Tagesordnung wird mit den Einladungen zur Sitzung durch den Vorsitz versandt. Die entsprechende Vorbereitung obliegt den Teilnehmern anhand der Tagesordnung selbst.

Die Geschäftsordnung sieht einen turnusmäßig wechselnden Vorsitz durch Wahl der Mitglieder vor. Zur Gewährleistung einer stringenten Wahrnehmung der Geschäfte wird der aktuelle Vorsitz durch den abgelösten sowie den stellvertretenden (und nachfolgenden) Vorsitz unterstützt.

Berichte oder Protokolle werden an die Teilnehmer der Sitzungen adressiert.»

Einige weitere Erkenntnisse wurden heute Morgen durch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) wie folgt zusammengefasst:

Konferenzen zur Überwachung mittels Bundestrojaner

«[…] Auf diesem Arbeitsgebiet [Grenzüberschreitende Überwachung und Observationstechnik] nimmt das Bundesamt für Polizei regelmässig an Konferenzen zur ‹Quellen-Telekommunikations-Überwachung‹ im Ausland teil. […] Wie die deutschen Dokumente zeigen, war auch die Kantonspolizei Bern an solchen Treffen präsent.»

Europol-Expertengruppen und -Konferenzen

«Eine nächste Expertengruppe […] ist das Work-File ‹Dolphin› von Europol. An dieser Plattform zur Bekämpfung des nichtislamistischen Terrorismus beteilige sich die Schweiz ebenso wie am Work-File ‹Hydra›, das Europol gegen den islamistischen Terrorismus führt[…]. ‹Basierend auf dem Abkommen zwischen der Schweiz und Europol, nimmt die Bundeskriminalpolizei an den Sitzungen dieser Gruppen teil.›»

«Im Juli 2011 waren die Schweizer Strafverfolgungsbehörden an eine Konferenz gegen Tierrechts-Extremismus von Europol nach Den Haag gereist. Neben anderen betroffenen Unternehmen war […] auch Novartis vertreten. [Das Bundesamt für Polizei] sagt dazu, der Anlass habe ‹über Ereignisse und Erkenntnisse in Bezug auf das Phänomen des Tierrechts-Extremismus und dessen Entwicklung informiert.›»

Club de Berne und Counter Terrorist Group

«Im nachrichtendienstlichen Sektor pflegen die Schweizer Gremien einen ähnlichen Austausch wie im polizeilichen. Im ‹Club de Berne‹ etwa sind Nachrichtendienste aus über 20 Ländern dabei. […]»

Grundlegende Informationen über den Berner Club finden sich in der deutschsprachigen Wikipedia:

Der Berner Club (auch Club de Berne genannt) besteht aus den Chefs der Inlandsnachrichtendienste seiner Mitgliedsstaaten. Er wurde 1971 gegründet.

Seit 1971 führt der Berner Club ein Leben im Geheimen. Der Club versammelt Nachrichtendienste und Staatsschützer aus derzeit ca. 20 Staaten. Die Schweiz war von Anfang an mit dabei. […] Was der Verein tatsächlich tut, wer dabei auftritt, wer die Geschäfte führt und auf welcher rechtlichen Grundlage der Club operiert, ist unbekannt. Dies gilt ebenso für die Schweizer Vertretung im Club: Wer bzw. welche Institution darin teilnimmt und wer welche Kosten trägt, wird von den politisch Verantwortlichen nicht offengelegt.

Es gibt kein Sekretariat. Es werden auch keine Beschlüsse gefasst, sondern der Club dient viel mehr zum freien Meinungsaustausch über die Aufgaben und Erkenntnisse der jeweiligen Nachrichtendienste.

Die Treffen finden zweimal im Jahr statt und werden reihum vorbereitet. Hauptkritikpunkt ist der mögliche Datenaustausch ohne jegliche politische Kontrolle.

Gemäss der englischsprachigen Wikipedia entstand aus dem Club de Berne die Counter Terrorist Group (CTG).

Internationaler Schnüffelstaat jenseits jeder Kontrolle

Während die deutsche LINKE die internationale Vernetzung jenseits jeder Kontrolle durch Öffentlichkeit oder Parlament kritisiert, sieht Nationalrätin Chantal Galladé (SP) – immerhin Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) in der Schweizerischen Bundesversammlung – darin kein Problem. Demnach weiss die SiK lediglich, dass der Schweizer Schnüffelstaat international vernetzt ist, mehr aber nicht. Die entsprechende Liste sei geheim und werde jeweils vom Bundesrat verabschiedet.

Ach ja, zum nicht geheimen Teil der Antwort der deutschen Bundesregierung zählt folgende Erkenntnis:

«Zu den europäischen Staaten zählt auch die Schweiz.»

Foto: Flickr/nolifebeforecoffee☆, CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

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