Die Telekommunikationsanbieterin Sunrise und die Gewerkschaft Syndicom haben Anfang Juli 2012 einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterzeichnet, der per 1. Januar 2013 in Kraft tritt. Im Bezug auf den Militärdienst enthält der GAV eine bemerkenswerte Bestimmung (Ziff. 30.8 Abs. 2, PDF):
«Kollidiert der Zeitpunkt eines Dienstes mit Interessen von Sunrise, so ist der Mitarbeiter verpflichtet, die notwendigen Schritte für eine Dienstverschiebung zu unternehmen. […]»
Mit dieser ungewöhnlichen GAV-Bestimmung stellt Sunrise ihre Interessen als Unternehmen über die Interessen der schweizerischen Landesverteidigung.
Die Interessen von Sunrise werden im GAV nicht näher definiert, aber besteht überhaupt die Möglichkeit, dass die Abwesenheit eines Arbeitnehmer infolge Militärdienst nicht mit den Interessen von Sunrise kollidiert?
Rechtliche Voraussetzungen für Dienstverschiebungen
Sunrise setzt mit dieser Bestimmung ein fragwürdiges Signal zur militärischen Verteidigung der schweizerischen Landesinteressen.
Die Bestimmung kollidiert möglicherweise mit der Dienstpflicht für Schweizer Staatsbürger (Art. 59 Abs. 1 BV) und den einschlägigen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.
So ist zwar grundsätzlich eine Dienstverschiebung möglich, aber ein entsprechendes Gesuch kann nur aus militärischen oder persönlichen Gründen bewilligt werden, wobei das private Interesse überwiegen muss – die Interessen des Arbeitgebers werden in der relevanten Verordnung über die Militärdienstpflicht nicht mehr erwähnt (Art. 30 Abs. 1 und 2 MDV):
«Auf Gesuch des Militärdienstpflichtigen kann die zuständige Behörde eine Dienstverschiebung aus persönlichen Gründen bewilligen.
Gesuche werden nur bewilligt, wenn das private Interesse des Militärdienstpflichtigen das öffentliche Interesse an der Leistung des Ausbildungsdienstes überwiegt.»
«Nicht mehr», weil die MDV in ihrer ursprünglichen Fassung mit Inkrafttreten am 1. Januar 2004 (PDF) die Arbeitgeber durchaus erwähnt hatte (mit Hervorhebung durch den Autor):
«Gesuche werden nur bewilligt, wenn das private Interesse der Militärdienstpflichtigen oder deren Arbeitgeber das öffentliche Interesse an der Erfüllung der Militärdienstpflicht überwiegt.»
Seit der Revision der MDV per 1. Januar 2006 werden die Arbeitgeber aber nicht mehr erwähnt.
Die Weisungen über das Verfahren im Dienstverschiebungswesen (WDVS, PDF) enthalten in Art. 8 eine nicht abschliessende Aufzählung von persönlichen Gründen, in denen das private Interesse überwiegt. Dazu zählen längere Auslandaufenthalte, das Noviziat oder die Betätigung als Sportler an Wettkämpfen von nationaler oder internationaler Bedeutung.
Eine Dienstverschiebung aus beruflichen Gründen ist allein deshalb nicht ausgeschlossen, denn solche Gründe können durchaus persönlicher Natur sein. Das Formular «Gesuch um Dienstverschiebung» (PDF) sieht die entsprechende Möglichkeit vor und die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern beispielsweise erwähnt sogar ausdrücklich die Interessen des Arbeitgebers als möglichen Verschiebungsgrund. Bei Letzterem ist aber zu vermuten, dass diese Informationen noch auf der früheren Fassung von Art. 30 Abs. 2 MDV basieren.
Fazit
Die Militärdienst-Bestimmung im Sunrise-GAV ist ungewöhnlich und rechtlich fragwürdig, widerspiegelt aber eine unerfreuliche Realität:
Wer als Arbeitnehmer Militärdienst leisten muss, steht seinem Arbeitgeber nicht als Arbeitskraft zur Verfügung und beeinträchtigt damit dessen Interessen.
In der Folge können sich Nachteile am Arbeitsplatz ergeben, insbesondere auch in Konkurrenz mit Arbeitnehmern, die keinen Militärdienst leisten müssen. Arbeitsrechtlich ist es schwierig, gegen solche Nachteile vorzugehen.
Betroffene Arbeitnehmer, auch bei Sunrise, geraten deshalb immer wieder in schwierige Situationen, denn sie möchten ihre berufliche Entwicklung oder gar ihren Arbeitsplatz nicht gefährden, sind aber gleichzeitig zur Dienstleistung verpflichtet.
Bild: Wikimedia Commons / Simon A. Eugster, «Schweizer Armee-Taschenmesser bis 2008», CC BY-SA 3.0 (nicht portiert)-Lizenz.
Na damit ist ja wohl klar wen Sunrise als Mitarbeiter bevorzugt: Nicht-Militärdienstpflichtige, also billigere Arbeitskräfte. Sei dies «billiger» weil die schweizer Frau (welche keinen Militärdienst freiwillig leistet) traurigerweise immer noch weniger verdient als der schweizer Mann, oder sei dies «billiger» weil der (nicht-militärdienstpflichtige) Deutsche, Franzose, Brite, Italiener, Spanier, Portugiese etc ebenfalls weniger verdient.