Kürzlich wurde ich gefragt, ob der Finder einer Stradivari-Geige in der Berner S-Bahn Anspruch auf einen Finderlohn hat. Meine spontane Kurzantwort dazu lautete, dass der Finder mangels Rechtsanspruch leer ausgehen könnte.
Fundsachen im öffentlichen Verkehr
Der rechtlicher Grund für meine – glücklicherweise – richtige Antwort findet sich in Art. 77 Abs. 2 der Verordnung über die Personenbeförderung (VPB) bezüglich Fundsachen im öffentlichen Verkehr:
«Das Unternehmen wird als Finderin betrachtet, kann aber keinen Finderlohn beanspruchen.»
Unternehmen sind in diesem Fall die Betreiberinnen der S-Bahn Bern, das heisst die BLS und der Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS). Ich ging ursprünglich fälschlicherweise davon aus, die S-Bahn Bern würde durch die Schweizerische Bundesbahnen (SBB) betrieben.
Die öffentlichrechtliche Bestimmung in der VPB entspricht damit dem privatrechtlichen Anstaltsfund, wie ihn das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) in Art. 722 Abs. 3 definiert:
«Bei Fund in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt wird der Hausherr, der Mieter oder die Anstalt als Finder betrachtet, hat aber keinen Finderlohn zu beanspruchen.»
Versteigerung nach spätestens drei Monaten
Gleichzeitig besteht aber ein wichtiger Unterschied zwischen öffentlichem Verkehrsrecht (VPB) und Privatrecht (ZGB) in Bezug auf den Umgang mit Fundsachen:
Ein Unternehmen im öffentlichen Verkehr darf Fundsachen nach drei Monaten Aufbewahrung versteigern, für Fundsachen mit einem Wert von höchstens 50 Franken sind sogar Versteigerung oder Freihandverkauf bereits nach einem Monat möglich (Art. 77 Abs. 4 VPB). Informationen über solche Versteigerungen finden sich unter anderem bei fundsachenverkauf.ch.
Ein privater Finder hingegen muss gemäss Art. 721 Abs. 1 ZGB eine Fundsache in angemessener Weise aufbewahren und darf sie erst einmal nicht versteigern oder anderweitig verwerten. Kann der Eigentümer einer Fundsache während fünf Jahren nicht ermittelt werden, wird die Fundsache zum Eigentum des Finders (Art. 722 Abs. 1 ZGB). Fundbüros verwerten Fundsachen aufgrund der Kosten für die Aufbewahrung und mit entsprechender gesetzlicher Grundlage – ein Beispiel dafür ist die Fundsachenverordnung (FSV) der Stadt Bern – häufig nach einem Jahr. In solchen Fällen tritt der Geldwert anstelle der ursprünglichen Fundsache.
In jedem Fall gilt, dass ein Finder seinen Fund unverzüglich abgeben beziehungsweise anzeigen muss. Wer einen Fund nicht abgibt oder anzeigt, kann strafrechtlich wegen unrechtmässiger Aneignung (Art. 137 Ziff. 2 StGB) oder Nichtanzeigen eines Fundes (Art. 332 StGB) bestraft werden.
Fazit
Wer als Finder über einen Rechtsanspruch auf Finderlohn verfügen möchte, wird mit Vorteil nicht im öffentlichen Verkehr oder in einem öffentlichen Gebäude fündig … wobei ein angemessener Finderlohn unabhängig von einem etwaigen direkten Rechtsanspruch eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte.
Bei anderen Fundorten hingegen hat der Finder einen Rechtsanspruch «auf Ersatz aller Auslagen sowie auf einen angemessenen Finderlohn.» Grundsätzlich wird ein Finderlohn von 10 Prozent als angemessen betrachtet, bei wertvollen Fundsachen wird der Finderlohn üblicherweise reduziert.
Bild: Wikimedia Commons/Ursula Bagdasarjanz, CC BY-SA 3.0 (nicht portiert)-Lizenz.