Anspruch auf rechtliches Gehör in 20 Minuten

Foto: Schweizerisches BundesgerichtRichter mögen keine geschwätzigen Rechtsanwälte. Als Geschwätzigkeit kann bereits ein Plädoyer von mehr als 20 Minuten gelten!

Als geschwätzig ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) kann bereits eine Rechtsanwältin gelten, die in einem Strafverfahren einen Parteivortrag von 30 Minuten Dauer halten möchte, deren Redezeit aber auf 20 Minuten beschränkt wurde (BGer 6B_726/2011 vom 15. März 2012):

«Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör […] vor. Sie habe die Redezeit für die Parteivorträge in der mündlichen Verhandlung auf zwanzig Minuten beschränkt. Dies sei zwar […] zulässig. Die Einschränkung stehe jedoch in keinem vernünftigen Verhältnis zum konkreten Fall. Sie sei willkürlich und unangemessen. Die Akten seien mit über zehn Bundesordnern umfangreich. […] Seine Rechtsvertreterin habe dreissig Minuten sprechen wollen. […] Sie habe einen Drittel der Ausführungen weglassen müssen.»

Das Bundesgericht liess die entsprechende Beschwerde in Strafsachen an der fehlenden detaillierten, klaren und substanziierten Begründung scheitern:

«Der Beschwerdeführer legt nicht dar, was er in den verlangten zehn Minuten zusätzlicher Redezeit hätte vorbringen wollen. Insoweit kann nicht nachgeprüft werden, ob die Ausführungen im Lichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör geboten gewesen wären.»

Ausserdem legte das Bundesgericht nach, dass unabhängig davon die Beschränkung der Redezeit auf 20 Minuten den Anspruch auf rechtliches Gehört nicht verletzt habe (mit Hervorhebungen):

«Immerhin konnte sich der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren während zwanzig Minuten zum angeklagten Sachverhalt äussern. Dabei beschränkte sich das zweitinstanzliche Verfahren auf die Betäubungsmitteldelikte und die Strafzumessung. Bereits in den beiden erstinstanzlichen Verfahren erhielt der Beschwerdeführer Gelegenheit, seine Auffassung einlässlich darzulegen, weshalb die Parteien im vorinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen ihre früheren Standpunkte wiederholen konnten. Angesichts dieses Verfahrensablaufs drängte sich ungeachtet der gewichtigen Anklagepunkte kein längeres Plädoyer auf. Die Vorinstanz durfte die Redezeit in Anwendung des kantonalen Strafprozessrechts auf das notwendige Minimum beschränken. Auch der Umfang der Anklage und der Akten legt keinen anderen Schluss nahe. Angesichts des nicht allzu umfangreichen Beweismaterials von vier Dossiers, einem Ordner […] und der Anklage von rund fünf Seiten […] musste es der Verteidigerin möglich sein, ihre Ausführungen auf die von der Vorinstanz gewährte Redezeit zu konzentrieren. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet nicht, dass sich eine Partei in alle Einzelheiten verlieren darf. Sie muss bloss Gelegenheit erhalten, zu sämtlichen Anklagepunkten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Dieses Recht wurde dem Beschwerdeführer gewährt. Die Rüge ist unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.»

Als Fazit ergibt sich, dass Rechtsanwälte nicht nur auf weitschweifige Eingaben verzichten müssen (Art. 110 Abs. 4 StPO), sondern auch bei Parteivorträgen auf Kürze und Prägnanz achten sollten.


Nachtrag vom 27. September 2012

Anwaltskollege Konrad Jeker kommentiert das obige Bundesgerichtsurteil kritisch:

«[W]as das Bundesgericht in diesem Entscheid ausführt, ist [meines Erachtens] nicht mehr und nicht weniger als eine Geringschätzung des Instituts der Strafverteidigung.»

Bild: Wikimedia Commons / Ikiwaner, «Frontalaufnahme des Bundesgerichtes in Lausanne», CC BY-SA 3.0 (nicht portiert)-Lizenz.

2 Kommentare

    1. @Schmid Fortunat:

      Liegt der Fall allenfalls auch mit Besonderheiten im Kanton Bern begründet? Viele Richter dort mögen es ja beispielsweise auch nicht, wenn sich Rechtsanwälte neben dem Sachverhalt auch noch zur Rechtslage äussern …

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