Facebook, Twitter, … ohne Radarwarnungen ab 2013

Foto: Strassenschild «Speed Cameras»

Am 1. Januar 2013 tritt der erste Teil des so genannten Verkehrssicherheitspakets «Via sicura» in der Schweiz in Kraft. Im Paket enthalten ist gemäss dem neuen Art. 98a Abs. 3 lit. a u. Abs. 4 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG, PDF) auch ein Verbot öffentlicher Radarwarnungen:

«Mit Busse wird bestraft, wer […] öffentlich vor behördlichen Kontrollen im Strassenverkehr warnt […]. In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe»

Unklar ist bislang, was genau «öffentlich» in diesem Zusammenhang bedeutet, so dass diesbezüglich Rechtsunsicherheit besteht – gerade auch in Bezug auf den Öffentlichkeitsbegriff bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Bei Facebook beispielsweise erfreuen sich Gruppen und Seiten mit unentgeltlichen Radarmeldungen grosser Beliebtheit, doch gehen deren Administratoren gemäss einem Bericht von «20 Minuten» davon aus, dass ab Anfang 2013 bei Facebook keine Radarwarnungen mehr veröffentlicht werden dürfen – aus rechtlicher Sicht gelange ich zum gleichen Ergebnis.

«Öffentlichkeit» gemäss Parlament und Ver­wal­tung

Hinweise zum Öffentlichkeitsbegriff liefern Informationen aus der Verwaltung und die Diskussionen im Parlament. Im erläuternden Bericht zu «Via sicura» von 2008 (PDF) war von «der Öffentlichkeit zugänglichen Drucksachen» die Rede:

«[…] Von der Strafbestimmung erfasst werden sollen auch der Öffentlichkeit zugängliche Drucksachen wie Zeitungen, Flugblätter, Plakate, Informationsbroschüren, Internetseiten, aber auch Kartenmaterial, das über Standorte von Polizeikontrollen Auskunft gibt. […]»

In der bundesrätlichen Botschaft zu «Via sicura» von 2010 (PDF) wurde betont, «nicht öffentliche Warnungen» und «unentgeltliche Warnungen unter Privatpersonen» sollten weiterhin zulässig sein:

«[…] Warnungen vor mobilen oder fixen Polizeikontrollen [sollen] nur dann verboten werden […], wenn diese Warnungen öffentlich (z.B. über Radio, Internet, SMS) verbreitet […] werden. Unentgeltliche, nichtöffentliche Warnungen sollen weiterhin zulässig sein.»

«Viele elektronische Kommunikationsgeräte sind zwar nicht dazu bestimmt, vor Strassenverkehrskontrollen zu warnen, können aber entsprechende Mitteilungen empfangen […]. Als öffentlich gelten beispielsweise über das Radio oder das Internet verbreitete Eingaben […]. Diese öffentlichen Warnungen vor behördlichen Strassenverkehrskontrollen sollen strafbar […] werden. Geschützt ist das gesamte Spektrum der polizeilichen Tätigkeiten auf der Strasse (Geschwindigkeitskontrollen, Fahndung nach Kriminellen, Alkoholkontrollen, Fahrzeugkontrollen usw.). Unentgeltliche Warnungen sollen weiterhin zulässig sein. […] Unentgeltliche Warnungen unter Privatpersonen fallen nicht unter das Verbot, diese können jedoch unter andere Strafbestimmungen fallen. […]»

Das zuständige Bundesamt für Strassen (ASTRA) wurde in Medienberichten mit unterschiedlichen Aussagen zitiert (mit Verlinkung durch den Autor):

«Das Bundesamt für Strassen geht jedenfalls davon aus, dass nur für jedermann zugängliche Warnungen verboten sind. Solche, die sich an einen definierten Kreis richten, bleiben dagegen erlaubt. ‹Wer eine Facebook-Gruppe gründet, die von jedermann besucht werden kann, darf dort keine Radarwarnungen veröffentlichen. Wenn man aber erst Mitglied in dieser Gruppe werden muss, um den Inhalt zu sehen, dann schon›, sagt Sprecher Thomas Rohrbach. Analog sei das im Fall von Twitter.»

«‹Bei Facebook oder Twitter ist diese Unterscheidung in der Tat schwierig›, sagt Michael Müller vom Bundesamt für Strassen (ASTRA), ‹das werden wohl eines Tages die Gerichte entscheiden müssen.›»

«‹Bei Facebook oder Twitter ist diese Unterscheidung zwischen privat und öffentlich schwierig. Die Grenzen dürften wohl fliessend sein. Wo diese Grenzen liegen, werden die Gerichte entscheiden müssen›, sagt der Astra-Sprecher.»

In den parlamentarischen Beratungen von Ende 2011 versuchten die beteiligten Politiker zu beschwichtigen. So zum Beispiel Nationalrat Daniel Jositsch (SP) …

«[…] Andererseits soll die öffentliche – ich betone: die öffentliche – Warnung vor Verkehrskontrollen bestraft werden. Es geht also nicht um Einzelhandlungen. Wer einen Kollegen per Telefon auf eine Radarkontrolle aufmerksam macht, bleibt selbstverständlich straffrei. Es geht einzig um die systematische Unterwanderung der Kontrollen.»

… Nationalrat Max Binder (SVP) …

«[…] In der Kommission haben uns die Vertreter der Verwaltung gesagt, dass man sich nicht strafbar mache, wenn man per Telefon jemanden warne, dass an einer bestimmten Stelle eine Kontrolle stattfinde. Verboten ist die Warnung, wenn sie öffentlich gemacht wird […], zum Beispiel über Internet, Facebook, Twitter usw. Diese Möglichkeiten will man per Gesetz abstellen.[…]»

und Nationalrätin Edith Graf-Litscher (SP):

«[…] Nicht verboten ist die Warnung von Person A zu Person B. Verboten soll aber sein, wenn die ganze Öffentlichkeit über Facebook, Twitter oder über Internet über Radarstellen informiert wird. […]»

Gemäss Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) sollen «systematische Warnungen», aber nicht einzelne Warnungen als «Volkssport» unterbunden werden:

«[…] Im Einzelfall ist es ja durchaus ein Volkssport, dass man einander vor einer Polizeikontrolle warnt. Diesen Volkssport wollen wir auch nicht unterbinden, aber hier geht es um die systematische Verhinderung von Kontrollen, um die systematische Warnung. Das hat schon eine andere Qualität als die Einzelfallwarnung unter verschiedenen Verkehrsteilnehmern. Wer systematisch vor Polizeikontrollen warnen lässt, ist ja per se nicht gewillt, Vorschriften einzuhalten. Er strebt an, dass man eine solche Polizeikontrolle generell umgeht oder zunichte macht. Man will nichts anderes, als eine mögliche Sanktion zu umgehen, und warnt den anderen Verkehrsteilnehmer systematisch, dass er sich während der Zeit der Kontrolle ausnahmsweise an die Vorschriften halten soll. Wo sind wir denn da? Ich glaube, das weist eine andere Qualität auf als die Warnung im Einzelfall. Wenn wir die Polizeiorgane und die Kontrolle der von Ihnen bestimmten Gesetze nicht ad absurdum führen wollen, dann müssen wir hier zwischen der einfachen, im Einzelfall getätigten Warnung und der systematischen Warnung vor Polizeikontrollen unterscheiden. Nur letztere ist hier erfasst. […]»

Nationalrätin Edith Graf-Litscher (SP) versuchte später den Öffentlichkeitsbegriff bei Facebook wenig überzeugend in Abhängigkeit von den Facebook-Freunden zu definieren:

«Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Facebook-Einträge als öffentliche Warnungen gelten. Laut Graf-Litscher ist das der Fall. Und wenn jemand auf seinem privaten Facebook-Profil vor ‹Blitzern› warnt und nicht eigens eine Radarwarn-Gruppe gründet? ‹Dann hängt es davon ab, wie viel Facebook-Freunde jemand hat. Bei zwei Freunden ist es wohl nicht öffentlich, bei 1000 schon›, sagt Graf-Litscher. Laut ihr werden die Gerichte Klarheit schaffen müssen.»

Keine öffentlichen Radarwarnungen ab Anfang­2013

Foto: Messtafel mit Anzeige «Sie fahren … km/h»

Gemäss dem politischen Mehrheitswillen sollen per 1. Januar 2013 alle Arten von öffentlichen Radarwarnungen untersagt werden. Radarwarnungen, die für jedermann zugänglich über Internet einschliesslich Facebook und Twitter veröffentlicht werden, fallen ohne Zweifel unter den Öffentlichkeitsbegriff von «Via sicura».

Der Öffentlichkeitsbegriff bei anderen Rechtsfragen ist nicht direkt vergleichbar, zeigt aber, dass der Begriff «öffentlich» im Zweifelsfall streng ausgelegt wird – beispielsweise bezüglich Rassismus («Als öffentlich sind Äusserungen und Handlungen anzusehen, die nicht in einem Umfeld erfolgen, das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen (wie z.B. im Familien- und Freundeskreis) auszeichnet.») –, und die bundesgerichtliche Rechtsprechung etwaige Zugangsschranken als Gesetzesumgehung beurteilt – zuletzt beispielsweise bezüglich «Raucherkriminalität» (Bundesgerichtsurteil 6B_75/2012 vom 26. Oktober 2012).

Eine Beurteilung als Umgehung dürfte insbesondere bei nicht öffentlichen Facebook-Radarwarnungen an einen grösseren Benutzerkreis drohen, die erst durch eine Gruppen-Mitgliedschaft oder eine sonstige Gewährung von Zugriffsrechten sichtbar werden. Die jeweiligen Gruppen- und Seiten-Administratoren handeln entsprechend richtig, wenn sie ab Anfang 2013 auf die Administration von Gruppen und Seiten verzichten, die in erster Linie dem Veröffentlichen von Radarwarnungen dienen. Auch einzelne Facebook-Benutzer sollten über solche Gruppen und Seiten keine Radarwarnungen mehr veröffentlichen.

Facebook- oder Internet-öffentliche Radarwarnungen dürften immer unter das neue Verbot fallen. Gemäss der parlamentarischen Diskussion sowie dem strafrechtlichen Opportunitätsprinzip ist aber nur dort mit einer Strafverfolgung zu rechnen, wo systematisch und nicht bloss vereinzelt vor Radarkontrollen gewarnt wird.

In jedem Fall erlaubt bleiben direkte und einzelne Warnungen unter Privatpersonen («Mundpropaganda»), bei Facebook beispielsweise mit direkten Nachrichten oder über persönliche Facebook-Profile, sofern sich solche Meldungen nur an Facebook-Freunde richten.

Fazit

Im Ergebnis zeigt sich, dass aus rechtlicher Sicht ab Anfang 2013 fast alle Arten von Radarwarnungen verboten sein werden:

Entgeltliche Radarwarnungen als Geschäftsmodell sind definitiv nicht mehr möglich. Das Schaffen einer unentgeltlichen Öffentlichkeit für Radarwarnungen soll – jenseits der nur in einem Überwachungsstaat kontrollierbaren privaten oder weitgehend privaten Kommunikation –, gemäss dem politischen Mehrheitswillen ebenfalls bestraft werden.

Den genauen Öffentlichkeitsbegriff bei verbotenen Radarwarnungen wird allenfalls die Rechtsprechung noch abschliessend definieren müssen. Wer dazu keinen eigenen Beitrag leisten möchte, sollte im eigenen Interesse darauf verzichten, Radarwarnungen zu veröffentlichen.

Fotos: Flickr/Amanda Slater, CC BY-SA 2.0 (generisch)-Lizenz; Flickr/Kecko, CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

2 Kommentare

  1. Ich finde es immer wieder toll, wenn die Rechtsunsicherheit schon vorprogrammiert ist.

    Das Verbot gehört m.E. wiederum in die Kiste der unnützen und unverhältnismässigen Verbote. Damit wird nicht eine «via Secura» geschaffen, sondern Geld verdient. Die Radarwarnungen erfüllen nämlich einen wesentlichen Bestandteil zum gewünschten Ziel der Radarkontrollen. Die Autofahrer fahren nicht mehr zu schnell. Des Weiteren trägt dieses Verbot einmal mehr zur allgemeinen Rechtsunsicherheit bei. Genau Kollege Steigers letzter Satz zeigt es deutlich. Das Prinzip von «es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist» (Art. 1 StGB) wird hier gestört. Mittlerweile denkt man sich, man solle dies oder das wohl besser nicht tun, vielleicht ist es ja verboten. Der Gesetzgeber hat es nicht geschafft den Verbotekatalog Bürgerkonform zu erstellen, wenn ein Anwalt wie Martin Steiger Unsicherheiten ortet. Jetzt warten wir alle gebannt, bis dass die Rechtsprechung die Arbeit des Gesetzgebers erledigt, was nie abschliessend der Fall sein wird. Es ist nur Schade, dass die ungenügende Arbeit des Gesetzgebers nie angeprangert wird.

  2. …stelle mir gerade die Frage, wie sich diese Verordnung mit dem Recht auf die Informationsfreiheit und dem Recht auf die Verbreitung derselbigen, in Artikel 16, Abs, 3 der schweiz. Bundesverfassung verträgt bzw. mit Art. 10 der europäschen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen ist.

    Dienen diese Kontrolle nicht etwa dem Ziel, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, Straftaten zu verhindern bzw. begangene zu ahnden ? Ist es nicht in erster Linie ein
    Abschreckungspotenzial ?

    Was ist denn nun die Straftat, das zu schnelle fahren oder fahren unter Drogen und Alkoholeinfluss ? –
    oder der Versuch, die Autofahrer durch die Information über etwaige Kontrollen zum bewusst rechtskonformen Verhalten zu bewegen ?

    – wird durch eine Warnung, der Weitergabe der Information eines Blitzerstandortes etwa nicht erreicht, das die Autofahrer dann vorschriftsmässig fahren ? – wenigstens in diesem Augenblick wird / werden doch strafbare Handlungen verhindert.

    Liegt der Sinn und Zweck der Kontrollen etwa nur darin, möglichst viele Kraftfahrer auf frischer Tat zu ertappen und möglichst viel abzukassieren und möglichst viele aus dem Verkehr zu ziehen ?

    Sollen denn die Polizisten in diesem Lande mithilfe des Gesetzgebers zu Spitzeln und Spionen gemacht werden ?
    Werden durch solche Massnahmen der schwindende Respekt und die Intoleranz gegenüber den Ordnungsorganen nicht noch mehr geschürt – ist die Schweiz gar auf dem Weg zu einem Polizeistaat ?

    Vielleicht sollte man in diesen Dingen auch mal ein wenig über die Grenzen zu den Nachbarn schauen, in Deutschland zum Beispiel bekommen die Radiostationen die Informationen zu den Kontrollen direkt aus erster Hand, von den Polizeidirektionen.
    Dort werden Massnahmen wie «Landesverkehrskontrolltage» schon Wochen vorher bekannt gegeben und öffentlich angekündigt – wer sich dann dennoch erwischen lässt…
    nun, dem ist dann nicht mehr zu helfen.

    Aber wahrscheinlich ist das fehlen jeglicher «Autolobby» das ursächliche Problem und verantwortlich dafür, das auf Automobilisten eine wahre Hetzjagd veranstaltet wird.

    Wie wäre es wohl, gäbe es in der Schweiz einen grossen Autohersteller wie VW, BMW oder einer anderen grossen Marke vergleichbar. Wie wäre es wohl……….?

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