Der Schweizerische Bundesrat möchte im Rahmen der BÜPF-Totalrevision wie befürchtet die – bereits praktizierte! – Überwachung mit Bundestrojanern (auch als Staatstrojaner, Government Ware oder GovWare sowie – völlig verharmlosend – Informatikprogramme bezeichnet) legalisieren.
Gemäss Botschaft (PDF) ist die Bundestrojaner-Verwendung «[…] nur zulässig bei Straftaten, bei denen eine verdeckte Ermittlung zulässig wäre […]. Der umfangreichere Straftatenkatalog, bei dem eine Post- und Fernmeldeüberwachung möglich ist […], soll beim Einsatz von GovWare nicht zur Anwendung gelangen. […]»
Im November 2011 noch hatte der Bundesrat von einem «eng begrenzten Katalog von Delikten» geschrieben, allerdings auch schon damals den Straftatenkatalog für verdeckte Ermittlungen (Art. 286 Abs. 2 StPO) gemeint. Dieser Katalog ist nur insofern «eng begrenzt», als dass er weniger umfangreich ist als der noch wesentlich umfangreichere Katalog für die Post- und Fernmeldeüberwachung (Art. 269 Abs. 2 StPO). Nun schreibt der Bundesrat, Bundestrojaner sollten «nur zur Aufklärung von besonders schweren Straftaten eingesetzt» werden – gemäss dem Straftatenkatalog, den ich nachfolgend aufliste, zählt dazu unter anderem einfacher Diebstahl (Art. 139 StGB) …
Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB)
- Vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB)
- Mord (Art. 112 StGB)
- Totschlag (Art. 113 StGB)
- Schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB)
- Verstümmelung weiblicher Genitalien (Art. 124 StGB)
- Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB)
- Gewaltdarstellungen (Art. 135 StGB)
- Veruntreuung (Art. 138 StGB)
- Diebstahl (Art. 139 StGB)
- Raub (Art. 140 StGB)
- Unbefugte Datenbeschaffung (Art. 143 StGB Abs. 1)
- Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 3 StGB)
- Datenbeschädigung (Art. 144bis Ziff. 1 Abs. 2 u. Ziff. 2 Abs. 2 StGB)
- Betrug (Art. 146 Abs. 1 u. 2 StGB)
- Betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 u. 2 StGB)
- Check- und Kreditkartenmissbrauch (Art. 148 StGB)
- Erpressung (Art. 156 StGB)
- Hehlerei (Art. 160 StGB)
- Menschenhandel (Art. 182 StGB)
- Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 u. 184 StGB)
- Geiselnahme (Art. 185 StGB)
- Sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 StGB)
- Sexuelle Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 Ziff. 1 StGB)
- Sexuelle Nötigung (Art. 189 Ziff. 1 u. 3 StGB)
- Vergewaltigung (Art. 190 StGB)
- Schändung (Art. 191 StGB)
- Sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten (Art. 192 Abs. 1 StGB)
- Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB)
- Pornografie (Art. 197 Ziff. 3 u. 3bis StGB)
- Brandstiftung (Art. 221 Abs. 1 u. 2 StGB)
- Verursachung einer Explosion (Art. 223 Ziff. 1 StGB)
- Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht (Art. 224 Abs. 1 StGB)
- Verursachen einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (Art. 227 Ziff. 1 Abs. 1 StGB)
- Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (Art. 228 Ziff. 1 Abs. 1-4 StGB)
- Gefährdung durch gentechnisch veränderte oder pathogene Organismen (Art. 230bis StGB)
- Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 1 StGB)
- Verbreiten von Tierseuchen (Art. 232 Ziff. 1 StGB)
- Verbreiten von Schädlingen (Art. 233 Ziff. 1 StGB)
- Verunreinigung von Trinkwasser (Art. 234 Abs. 1 StGB)
- Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 1 StGB)
- Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 Abs. 1 StGB)
- Geldfälschung (Art. 240 Abs. 1 StGB)
- In Umlaufsetzen falschen Geldes (Art. 242 StGB)
- Einführen, Erwerben, Lagern falschen Geldes (Art. 244 Abs. 2 StGB)
- Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB)
- Strafbare Vorbereitungshandlungen zu Art. 111 f., 122, 124, 140, 183, 185, 221, 264 f. u. 264c ff. StGB (Art. 260bis StGB)
- Kriminelle Organisation (Art. 260ter StGB)
- Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen (Art. 260quater StGB)
- Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies StGB)
- Völkermord (Art. 264 StGB)
- Hochverrat (Art. 265 StGB)
- Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft (Art. 266 StGB)
- Diplomatischer Landesverrat (Art. 267 StGB)
- Verbotene Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271 StGB)
- Politischer Nachrichtendienst (Art. 272 Ziff. 2 StGB)
- Wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273 StGB)
- Militärischer Nachrichtendienst (Art. 274 Ziff. 1 Abs. 2 StGB)
- Nachrichtendienst gegen fremde Staaten (Art. 301 StGB)
- Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 2 StGB)
- Befreiung von Gefangenen (Art. 310 StGB)
- Bestechung schweizerischer Amtsträger / Bestechen (Art. 322ter StGB)
- Bestechung schweizerischer Amtsträger / Sich bestehen lassen (Art. 322quater StGB)
- Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322septies StGB)
Ausländergesetz (AuG)
- Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise sowie des rechtswidrigen Aufenthalts (Art. 116 Abs. 3 AuG)
- Täuschung der Behörden (Art. 118 Abs. 3 AuG )
Kriegsmaterialgesetz (KMG)
- Widerhandlungen gegen die Bewilligungs- und Meldepflichten (Art. 33 Abs. 2 KMG)
- Widerhandlungen gegen das Verbot von Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen (Art. 34 KMG)
- Widerhandlungen gegen das Verbot der Antipersonenminen (Art. 35 KMG)
Kernenergiegesetz (KEG)
- Missachtung von Sicherheits- und Sicherungsmassnahmen (Art. 88 Abs. 1 u. 2)
- Widerhandlungen bei nuklearen Gütern und radioaktiven Abfällen (Art. 89 Abs. 1 u. 2)
- Missachtung der Bewilligungspflichten bei Kernanlagen (Art. 90 Abs. 1)
Weitere Straftatbestände
- Betäubungsmittel (Art. 19 Abs. 2 u. 20 Abs. 2 BetmG) mit jeweils einem umfangreichen Katalog von weiteren Straftatbeständen
- Doping (Art. 22 Abs. 2 SpoFöG)
- Güterkontrolle (Art. 14 GKG)
- Kinderhandel (Art. 24 BG-HAÜ)
Bild: Flickr / Jonathan McIntosh, «Surveillance», CC BY-SA 2.0 (generisch)-Lizenz.
Man müsste mal einen kontrolliert in die Finger bekommen, damit man Gegenstrategien entwickeln kann. Wer stellt sich freiwillig zur Verfügung und begeht eine auslösende Straftat oder macht mindestens die Strafbehörden glauben, er könnte sie begangen haben?
@Hartwig Thomas:
Man kann sich durchaus an deutschen Bundestrojanern orientieren, zumal in der Schweiz damit auch schon überwacht wurde:
https://www.steigerlegal.ch/2011/10/15/schweizer-bundestrojaner-auf-deutschen-umwegen/
Im Übrigen handelt es sich aber schlicht um Schadsoftware, die beispielsweise mittels Einbruch in die Räumlichkeiten, in denen sich die betreffenden Computer befinden, aufgespielt wird. Man kann deshalb die gleichen Massnahmen wie gegen nicht-staatliche Schadsoftware und gegen nicht-staatliche Einbrecher anwenden.
Was soll an elektronischer Überwachung grundsätzlich bedenklicher sein als an schon lange praktizierten, «herkömmlichen» Überwachungsarten und Ermittlungsverfahren?
Etwa so ähnlich wie bei Pferd und Automobil. Denn mit den neuen Mitteln nimmt die rechtsstaatliche Bedenklichkeit, Massenspeicherung (siehe «Vorratsdatenspeicherung» etc.) überproportional zu während die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle immer schwieriger bis unmöglicher wird. Dies hat u. a. eine Studie des Max-Planck-Instituts eindrücklich aufgezeigt!
Vorab danke Martin für diese Infos!
Wer bei diesem Sammelsurium von Straftatbeständen von «eng begrenzt» oder «nur zur Aufklärung von besonders schweren Straftaten …» spricht, nimmt eine Verhöhnung von gesundem Menschenverstand in Kauf und ignoriert gleich mehrere rechtsstaatliche Grundsätze wie Verhältnismässigkeit etc.
Was mich dabei noch besonders politisch empört ist, dass ausgerechnet eine frühere Konsumentenschützerin und SP-Politikerin als zuständige Bundesrätin sich zum Werkzeug von sicherheitsbesessenen Strafverfolgern machen lässt und dabei jegliches politisches Augenmass verliert — was sie als Departementsvorsteherin und gemäss ihres Amtseides eigentlich gewährleisten müsste. Mich erinnert das an den unrühmlichen Fall eines Otto Schily, der vom Bürgerrechtsanwalt, Grünen-MdB dann später als Innenminister zum Law-and-Order-Fetischist mutierte und dabei seine forschen CSU-Vorgänger übertraf … Kaum auszuhalten, wie Menschen in Machtpositionen politisch verkommen können!
Sehr geehrter Herr Steiger
Ich möchte Ihnen für die Analyse zur Totalrevision des BÜPF recht herzlich danken, Sie haben mir die Augen weit geöffnet, ich bin entsetzt über den Umfang der dann möglichen überwachungsszenarien.
MFG
Dan Feuerle
GL / Technik
Seasite Solutions