In seiner Dissertation von 2007 forderte der heutige Zürcher Staatsanwalt Umberto Pajarola, neben diesen Möglichkeiten auch so genannt paranormale Fähigkeiten wie Hellsehen, Medialität, Pendeln, Psychometrie und Telepathie einzusetzen – insbesondere als «gewaltlose Alternative zum Einsatz von Gewalt im Verhör» zur Rettung von Leben:
«[…] Abgesehen von der wissenschaftlichen Beweisbarkeit spricht alles für den Einsatz paranormaler Fähigkeiten in der Polizeiarbeit. […]»
Angeblich sind gemäss Pajarolas Dissertation «paranormalen Fähigkeiten an sich bereits relativ gut untersucht […] und ihre Existenz [wird] mehrheitlich anerkannt – wenngleich auch nicht als wissenschaftlich bewiesen angesehen.»
Letzteres zumindest ist ohne Zweifel korrekt, aber, so fragte Pajarola, taugt «die mangelnde wissenschaftliche Beweisbarkeit überhaupt als Argument gegen den Einsatz paranormaler Fähigkeiten in der Strafverfolgung»?
Pajarola verneinte die Frage in seiner Dissertation und plädierte gar für eine «möglichst erfolgreiche und stabile Partnerschaft zwischen Strafverfolgungsbehörden und Personen mit paranormalen Fähigkeiten» (mit Hervorhebungen):
«[W]er fragt schon nach der Wissenschaftlichkeit einer Methode, die Leben retten kann, ohne die Rechte des Störers zu verletzen? Es liegen zahlreiche glaubhafte Berichte vor, die die Wirksamkeit paranormaler Fähigkeiten u.a. auch für die Polizeiarbeit belegen. Angesichts dieser Tatsache wäre es schlicht unvernünftig, den Bereich des Paranormalen zu ignorieren und gänzlich aus der Polizeiarbeit auszuschliessen. Bei aller Zurückhaltung und Kritik, die sicherlich bei allen neuen Errungenschaften angebracht sind, erscheint es sehr empfehlenswert, paranormale Fähigkeiten in die Polizeiarbeit zu integrieren […]. Dabei sollten grundlegende organisatorische und personelle Vorkehrungen getroffen werden, um eine möglichst erfolgreiche und stabile Partnerschaft zwischen Strafverfolgungsbehörden und Personen mit paranormalen Fähigkeiten entwickeln und aufrechterhalten zu können. Dass paranormale Fähigkeiten auch für die Polizeiarbeit oder generell für die Justiz von unschätzbarem Wert sein könnten, wurde bereits früh erkannt. Diese Erkenntnis nun vom frommen Wunsch in die Realität umzusetzen, bedarf zweifelsohne einer nicht zu unterschätzenden Anstrengung. Der zu erwartende Gewinn einer Integration des Paranormalen in die Polizeiarbeit zwingt jedoch zum Fortschreiten in diese Richtung.»
Paranormale Fähigkeiten sind keine «neuen Errungenschaften» wie Pajarola in seiner Dissertation behauptete, sondern nach dem Stand der Wissenschaft schlicht Aberglaube.
Beweisbarkeit ist eine zwingende Voraussetzung für Strafverfahren in einem Rechtsstaat.
Ich gehe deshalb davon aus, dass Pajarola in seiner heutigen Tätigkeit als Staatsanwalt ausschliesslich mit Methoden arbeitet und ausschliesslich Methoden fördert, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen – so wie es insbesondere auch Art. 139 Abs. 1 StPO vorsieht. Gerade in Strafverfahren heiligt der Zweck nicht die Mittel, auch nicht nutzlose Mittel wie paranormale Methoden.
(Via Neue Zürcher Zeitung, NZZ.)
Nachtrag: «Paranormale Fähigkeiter sind für Polizisten nützlicher» (Umberto Pajarola)
Staatsanwalt Pajarola äusserte sich gegenüber der Boulevardzeitung «Blick» und erklärte sich unter anderem wie folgt:
«‹[…] eine paranormale Schulung habe ich im Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit nicht gemacht› […]. Der Grund: ‹Als Staatsanwalt brauche ich Beweise, paranormale Fähigkeiten sind für Polizisten nützlicher.› Zu seiner Dissertation stehe er auch heute noch – sie beziehe sich aber auf ‹ganz spezielle Fälle, in denen unmittelbar Menschenleben gerettet werden können. Etwa bei einer tickenden Bombe oder einem Fall von Kindsentführung›.»
Nachtrag II: «Wie eine derart offenkundig von Fehlschlüssen geplagte Argumentation in einer Dissertation durchgehen kann, ist unklar»
Marko Kovic befasste sich für das «Form für kritisches Denken» ausführlich mit der Dissertation von Staatsanalt Pajarola.
Sein Fazit ist vernichtend:
«Der Abschnitt aus Umberto Pajarolas Dissertation, welcher paranormalen Fähigkeiten gewidmet ist, wirkt deplatziert. Ein Teil eines Textes, mit welchem die Doktorwürde erlangt wurde, plädiert offen dafür, wissenschaftliche Einschätzungen einer Problemstellung zu ignorieren, und sich stattdessen auf die Glaubwürdigkeit von Anekdoten zu verlassen. Wie eine derart offenkundig von Fehlschlüssen geplagte Argumentation in einer Dissertation durchgehen kann, ist unklar.»
Und:
«Was Pajarola fordert, ist trotz gut gemeinter Ziele und trotz aufrichtigem Glauben an paranormale Fähigkeiten letztlich nicht mehr als Placebo-Polizeiarbeit. In Tat und Wahrheit ist der behauptete Effekt, die paranormalen Fähigkeiten, gemäss aktuellem Stand der Wissenschaft nicht vorhanden, aber dadurch, dass so getan wird, als ob etwas getan wird, haben die Beteilligten vielleicht den Eindruck, man mache immerhin etwas, und etwas ist besser ist als nichts. Eine Art polizeilicher Beschäftigungstherapie.»
Nachtrag III: Karriere von Umberto Pajarola bei der Staatsanwaltschaft
Bei der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich ist Umberto Pajarola inzwischen als stellvertretender Leitender Staatsanwalt tätig. Die Staatsanwaltschaft II «führt Verfahren der Schwerpunktkriminalität (organisierte Kriminalität, grosse Betäubungsmittelverfahren, Menschenhandel), High Tech-Cybercrime sowie besondere Untersuchungen gegen Beamte.»
Ebenfalls in stellvertretender Funktion, nämlich als stellvertretender Institutsleiter, ist Staatsanwalt Pajarola beim Kriminalistischen Institut der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich tätig. Das Institut gewährleistet die «berufliche Aus- und Weiterbildung von Angehörigen der Strafrechtspflege».
Bild: Flickr / Valerie Everett, «The seeing eye», CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.