10 Jahre Zahlenakrobatik im Urheberrecht

Diagramm: Anteil von einzelnen Formaten am digitalen Musikverkauf in der Schweiz 2008-201
Hinweis: Nachfolgender Artikel von David Pachali erschien zuerst in Ausgabe Nr. 297 «Netzpolitik» der Fabrikzeitung unter dem Titel «Filesharing: Ein Jahrzehnt der Zahlenakrobatik» und wurde unter der CC BY-SA 3.0 (nicht portiert)-Lizenz veröffentlicht.

Kaum ein paar Monate vergehen, ohne dass eine neue Studie oder ein neuer Bericht über die ökonomischen Auswirkungen von Filesharing erscheint. Die Ergebnisse fallen unterschiedlich aus – so oder so aber zeigen sie, wie stark die Rechteindustrie ihre Fragen in der Debatte verankern konnte.

Es gibt kaum einen Bereich der Netzpolitik, in dem so ausdauernd und über mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt mit Zahlen jongliert wird, wie beim Thema Filesharing und Urheberrecht. In seinem Buch «The Piracy Crusade» beschreibt der Medienwissenschaftler Aram Sinnreich eine der frühen Episoden. In den Nullerjahren für die New Yorker Marktforschungsfirma Jupiter Research tätig, untersuchte er die Zahlungsbereitschaft von Nutzern der noch jungen Musikplattformen im Netz. Wer die damals verbreitete P2P-Software Napster nutzt, werde mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit auch mehr Geld für Musik ausgeben. So die damalige Studie der Firma, die zur Entwicklung von «Post-Napster»-Produktformaten anriet.

Für die Musikindustrie sei dieser Befund eigentlich eine gute Nachricht gewesen, meint Sinnreich. Doch deren Vertreter hätten nicht erfreut, sondern mit Empörung reagiert. Und Studien beauftragt, die das Gegenteil erweisen würden. Die Studie von Jupiter Research fiel – sicher kein Zufall – in die Hochzeit der gerichtlichen Auseinandersetzungen um Napster, aus denen die Musikindustrie mit einem Sieg hervorging, der ihr paradoxerweise noch lange zu schaffen machte. Napster verschwand, aber Filesharing-Systeme wurden avancierter, ein Teil wanderte ins Darknet ab und entzog sich der Kontrolle. Die Entwicklung neuer Angebote aber machte wenige Fortschritte.

Der Kampf um die Rechtsdurchsetzung im Netz hat sich seitdem auf andere Schauplätze verlagert: Statt den mal auf-, mal wieder abtauchenden Filesharing-Plattformen selbst wurden verstärkt diejenigen ins Visier genommen, die als Mittler im Netz ausgemacht wurden: Accessprovider sollen an Warn-, Sperr- und «Aufklärungs» -Systemen mitwirken, Suchmaschinen müssen Links auf urheberrechtsverletzende Websites entfernen. In letzter Zeit geraten zunehmend die Geldflüsse für Werbung auf illegalen Plattformen ins Blickfeld der Musikindustrie. Zumindest dem kommerziellen Teil des Filesharing könnte damit der Hahn abgedreht werden, so die Hoffnung.

Lobbyschlacht mit Studien

Geblieben aber ist die Formel: Unautorisierte Downloads sind verlorene Verkäufe. Diese wird zwar nicht immer ausgesprochen, scheint aber implizit hinter den Verlautbarungen der Musik-, Film- und Softwareindustrie zu stehen. So erklärte etwa der Bundesverband Musikindustrie im August 2013: «Die Wissenschaft hat sich lange mit der Frage eines Zusammenhangs zwischen illegalem Filesharing und legaler Musiknutzung beschäftigt und ist dabei zu vergleichsweise klaren Ergebnissen gekommen: Grundsätzlich kamen alle ernstzunehmenden Studien zu dem Schluss, dass sich ein negativer Einfluss von Piraterie auf Abverkäufe feststellen lässt.»

In Statements wie diesen zeigt sich, dass sich an der Haltung, die Sinnreich schon Anfang der Nullerjahre ausmachte, wenig geändert hat. Diese Aussage kann nur stimmen, wo sämtliche Forschung, die andere als die gewünschten Ergebnisse liefert, als «nicht ernstzunehmen» gewertet wird. Tatsächlich vergehen selten ein paar Monate, ohne dass das Gegenteil vermeldet wird. Zuletzt etwa Ergebnisse von Untersuchungen des Joint Research Centre der EU-Kommission. Dessen Forscher werteten das Benutzerverhalten über Clickstream-Daten verschiedener Plattformen aus und kamen zum Schluss, dass sowohl Filesharing als auch die Nutzung von Streamingportalen sich positiv auf Verkäufe bei Downloads auswirke.

In den Netz- und Technikblogs stossen diese Untersuchungen regelmässig auf breite Aufmerksamkeit. «Wir haben es ja schon immer gesagt, nun hat es auch die Wissenschaft bewiesen» – so oder ähnlich lassen sich die Reaktionen im Netz zusammenfassen. Rezipiert wird allerdings auch hier primär das, was das eigene Weltbild bestätigt. Ob dieses dann «Respect copyrights» oder «sharing is caring» lautet, macht so gesehen keinen grossen Unterschied.

Die einen sagen so, die anderen so

Wer die nicht enden wollenden Untersuchungen der letzten Jahre überblickt, wird jedoch nur eines mit Sicherheit sagen können: Ob Filesharing sich positiv, negativ oder gar nicht auf die Umsätze der Inhalteindustrien auswirkt, darüber besteht keine Einigkeit. Sinnreich nennt die Studien daher einen «digitalen Rohrschachtest»: Die Ergebnisse scheinen mehr über den Forscher auszusagen als über sein Objekt.
Um nur zwei weitere zu nennen: In der Untersuchung «Piracy and Movie Revenues: Evidence from Megaupload» analysieren die Wirtschaftswissenschaftler Christian Peukert, Jörg Claussen und Tobias Kretschmer die Einspielergebnisse von Kinofilmen nach der Megaupload-Schliessung und konstatieren mit Ausnahme einiger Blockbuster einen Rückgang. Brachte Megaupload Filme ins Gespräch? Möglich. In einer Literaturschau über verschiedene Studien kommen Michael D. Smith und Rahul Telang von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh dagegen zum Fazit, die grosse Mehrheit der Untersuchungen zeige einen negativen Einfluss des Filesharing. In der Fussnote bedanken sich die Autoren für die «grosszügige Unterstützung» durch den US-Filmverband MPAA.

Dass all die Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, hat natürlich auch weitere Gründe: Nicht nur sind Politik und Industrie eben Auftraggeber, jede Untersuchung grenzt auch die Fragestellung auf ein bearbeitbares Mass ein, arbeitet mit anderer Methodik, zieht mal mehr, mal weniger verallgemeinerungsfähige Schlüsse – über einen bestimmten Zeitraum, ein bestimmtes Sample. Wer das letzte Wort über Filesharing von Studien erwartet, dem wird auch die nächsten Jahre vermutlich nicht langweilig.

Wer die Fragen beherrscht

Nicht nur, aber auch mit dem Einsatz selbstfabrizierter Zahlen ist es den Rechteinhabern in den letzten Jahren fast durchweg gelungen, die Politik in ihrem Sinne vor sich her zu treiben: Mit internationalen Verträgen, bei Schutzfristen, Haftungsregeln und der Indienstnahme der Zugangsprovider. Im Urheberrecht sind sie die durchsetzungstärkste Akteursgruppe, wie die Autoren Ian Brown und Christopher Marsden in ihrem Buch «Regulating Code» resümieren. Allerdings halten sie auch fest: Die erfolgreichste waren sie deshalb nicht. «Die grossen Rechteinhaber haben fast zwei Dekaden damit verbracht, die Beschaffenheit des Internets und des Computers im Sinne von Geschäftsmodellen zu ändern, die auf der Knappheit von Kopien und der Kontrolle über sie basieren – mit wenig Erfolg.»

Dass das Netz noch nicht umfassend in ihrem Sinne umgestaltet wurde, liegt dabei weniger daran, dass sie in der Politik kein Gehör fanden. Entscheidend war eher die Untauglichkeit der eingesetzten Methoden. Es zeigt sich etwa beim eingeführten Verbot, Kopierschutz zu umgehen: Die Systeme sollten die Quadratur des Kreises vollbringen und Kopien digitaler Werke verhindern, die bei jeder Nutzung notwendig anfallen. Der offenkundig untaugliche technische Schutz wurde dennoch von der Politik mit einer weiteren, rechtlichen Hülle versehen. Erfolgreich waren die Rechteindustrien auch darin, dass die ökonomischen Auswirkungen von Filesharing bis heute zu den Kernfragen der Diskussion zählen. Dabei liesse sich auch umgekehrt fragen: Wenn Filesharing die Umsätze einiger Industrien unterminiert, wäre das schlimm? Sollten die Gewinnerwartungen der Kulturindustrie die Regulierung des Netzes bestimmen?

Ein Grund, dass dieses «Framing» von Filesharing bis heute erfolgreich ist, liegt darin, dass die Kulturindustrie ihre Interessen in der öffentlichen Diskussion mit denen von Künstlerinnen und Kreativschaffenden gleichzusetzen vermochte. Ein kürzlich vom deutschen Bundesverband Musikindustrie gestartetes «Gütesiegel» für legale Angebote etwa nennt sich «Playfair». «Fair» ist dabei alles, worauf der Verband seinen Stempel setzt – was am Ende bei Musikern ankommt, ist egal. Hinterfragt wurde das kaum.

Es geht nicht um Technik

Verglichen mit der Musik- und Filmindustrie waren Netzpolitikerinnen und -politiker nur in Einzelfällen erfolgreich, ihre Fragen in der Debatte zu verankern. So bleibt auch die Wahrnehmung weitverbreitet, Netzpolitik sei ein versponnenes Hobby einiger Nerds. Und die «Deutsche Content Allianz», ein Lobbyverband von Sendern und Rechteindustrie, kann in einem Forderungspapier zur Bundestagswahl proklamieren: «Fest steht: Die Netzpolitik, wie wir sie kannten, einseitig von der Technikseite her argumentierend, gibt es nicht mehr».

Gemeint ist: Sie soll es höchstens noch als Unterfeld der Kultur- und Medienpolitik geben. Damit würde aber eine der wesentlichen netzpolitischen Punkte über Bord geworfen: Dass die Regulierung von Kopien in digitalen Systemen nicht nur die Distributionskanäle der Kulturindustrien betrifft, sondern stets auch Informations- und Kommunikationsfreiheiten. Dafür werden Netzpolitiker weiter streiten müssen.

Text: iRIGHTS.info / David Pachali, «Filesharing – Ein Jahrzehnt der Zahlenakrobatik», CC BY-SA 3.0 (nicht portiert)-Lizenz; Diagramm: IFPI Schweiz, Recording Industry in Numbers 2013 (Sales Switzerland 2012).

Ein Kommentar

  1. Was meines Erachtens in der Debatte auch zu kurz kommt: Das Vervielfältigen von Medieninhalten ist extrem billig und einfach geworden. Das kommt durchaus nicht nur den Raubkopierern zugute, sondern auch den Medienindustrien. Deren Gewinne sind selbst dort explodiert, wo die Umsätze gleich blieben, weil die Vertriebskosten so viel kleiner geworden sind.

    Die Medienindustrie profitiert somit von Leistungen der Allgemeinheit, reagiert aber gereizt, wenn die Zusatzgewinne durch inhärente Nebeneffekte dieser Vertriebserleichterungen geschmälert werden, nämlich durch die Tatsache, dass jedermann digital bereitgestellte Daten fast ebenso billig kopieren kann.

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