Die Arbeitsgruppe zur Optimierung der kollektiven Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (AGUR12) hat heute Vormittag ihren Schlussbericht (PDF) veröffentlicht. In ihrem Schlussbericht empfiehlt die AGUR12 insbesondere auch repressive Massnahmen wie Netzsperren, Selbstjustiz und Überwachung zur Durchsetzung des Urheberrechts im schweizerischen Internet.
Die AGUR12 empfiehlt, dass die bestehenden rechtsstaatlichen Möglichkeiten zum Vorgehen gegen mutmassliche Urheberrechtsverletzungen im Internet ausgehebelt werden sollen. Bei einer Umsetzung der Empfehlungen der AGUR12 würde die gesamte Internet-Nutzung in der Schweiz umfassend überwacht werden, die amerikanische Unterhaltungsindustrie und andere Rechteinhaber könnten Selbstjustiz üben und schweizerische Provider müssten sich als Hilfspolizisten rekrutieren lassen. Die Empfehlungen gefährden den freiheitlichen schweizerischen Rechtsstaat und setzen auf Repression statt Innovation im Urheberrecht.
Die Mitglieder der AGUR12 erzielten offensichtlich keinen Konsens. Repressive Massnahmen durch Durchsetzung des Urheberrechts im schweizerischen Internet wurden gemäss Schlussbericht fast ausschliesslich von den Schweizer Kulturschaffenden (Suisseculture), den Lobbyisten der amerikanischen Unterhaltungsindustrie (AudioVision Schweiz), dem Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) und dem Verband Schweizer Medien gefordert.
AGUR12: Empfehlungen zum Urheberrecht im Internet
Netzsperren und Zensur
Die AGUR12 empfiehlt, dass Access-Provider in der Schweiz – beispielsweise Cablecom oder Swisscom – «auf behördliche Anweisung hin in schwerwiegenden Fällen den Zugang zu Webportalen mit offensichtlich illegalen Quellen über IP- und DNS-Blocking sperren» sollen. Die Netzsperren würden aufgrund von Hinweisen der Rechteinhaber erfolgen – gemäss AGUR12 «zur Schadensbegrenzung» –, und die Access-Provider wären von den Rechteinhabern «angemessen [zu] entschädigen».
Die Netzsperren aufgrund von Hinweisen der Rechteinhaber würden gemäss AGUR12-Empfehlungen «durch die KOBIK oder eine entsprechende neue Behördenstelle nach deren Vorbild erfolgen.» KOBIK steht für die Schweizerische Koordinationsstelle zur polizeilichen Bekämpfung der Internetkriminalität. Sie befasst sich bislang unter anderem mit Meldungen zu Kinderpornografie, Schadsoftware (Malware) und Spam im Internet. Die KOBIK leitet solche Meldungen an die zuständigen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden weiter.
In ihren Empfehlungen betont die AGUR12, bei Netzsperren sei die «Sperrung bewilligter Inhalte zusammen mit nicht bewilligten Inhalten (Overblocking) […] von der zuständigen Behörde so weit wie möglich zu vermeiden» sowie die «Funktionsfähigkeit des IP- oder DNS-Systems nicht [zu] gefährden». Ausserdem sollten Access-Provider «nicht übermässig Sperrmassnahmen einrichten» müssen, es seien «[d]ie dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen […] zu schaffen» und «die Rechtsweggarantie [sei] zu beachten.» Bei diesen scheinbaren Einschränkungen der geforderten Netzsperren handelt es sich um rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten. Ausserdem führt die AGUR12 den Begriff «bewilligte Inhalte» – in einem Rechtsstaat ist grundsätzlich erlaubt, was nicht verboten ist, nicht umgekehrt! – ein und nimmt Overblocking in Kauf.
Für die repressiven Massnahmen gemäss AGUR12-Empfehlungen müsste in der Schweiz eine Zensur-Infrastruktur mit Netzsperren aufgebaut werden. In Deutschland scheiterte Ende 2011 das vergleichbare – allerdings auf Kinderpornografie (!) beschränkte – Zugangserschwerungsgesetz, das damals von Ministerin «Zensursula« Ursula von der Leyen eingebracht worden war. Mit Netzsperren wären ausserdem erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer in der Schweiz verbunden.
In der Schweiz gibt es übrigens bereits Netzsperren, aber es besteht keine Zensur-Infrastruktur: Einerseits sperren viele Access-Provider aufgrund einer entsprechenden KOBIK-Liste freiwillig den Zugang zu mutmasslich kinderpornografischen Inhalten, andererseits bestehen in Einzelfällen gerichtlich angeordnete Netzsperren – so sind beispielsweise appel-au-peuple.org und zkb-ceo.ch über viele Schweizer Access-Provider nicht zugänglich. Löschen statt Sperren wäre auch in solchen Fällen zu bevorzugen (und üblicherweise auch ohne weiteres möglich). Gleichzeitig erfolgen solche Netzsperren aber weitgehend unbestritten aufgrund weltweit geächteter Kinderpornografie oder ausschliesslich aufgrund richtlicher Anordnungen in Einzelfällen. Dieser straf- und zivilrechtliche Weg bis hin zu Netzsperren steht selbstverständlich auch der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und anderen Rechteinhabern in der Schweiz offen.
Warnhinweise und Überwachung
«Eine zu umfassende Rechtsdurchsetzung ist problematisch und wird als aggressiv empfunden», so die AGUR12, «weil die Internetnutzer oftmals über die Rechtslage im Unklaren sind.» Als Abhilfe empfiehlt die AGUR12 ein zweistufiges Verfahren mit «aufklärenden Hinweise» sowie straf- und zivilrechtlicher Verfolgung in Selbstjustiz:
- Sofern Rechte-Inhaber bei ihrer umfassenden Überwachung der gesamten Internet-Nutzung in der Schweiz zum Schluss gelangen, dass «Inhaber von Internetanschlüssen, über welche P2P-Netzwerke genutzt wurden, in schwerwiegender Weise Urheberrechte verletzen», gelangen sie an den entsprechenden Access-Provider, der in der Folge den betreffenden Kundinnen und Kunden einen «einmaligen aufklärenden Hinweis» zustellen muss. Allenfalls könnte auch eine staatliche Behörde die Anzeigen der Rechteinhaber an die Access-Provider weiterleiten. Anschluss-Inhaberinnen und -Inhaber, die einen solchen Warnhinweis erhalten, wären «zur Verhinderung einer zivilrechtlichen Mithaftung im Wiederholungsfall verpflichtet […], den Weitergebrauch [ihres] Anschlusses für Rechtsverletzungen über P2P-Netzwerke in angemessener Weise zu schützen.»
- Sofern Rechte-Inhaber danach zum Schluss gelangen, dass die betreffenden Anschluss-Inhaberinnen und -Inhaber trotz Warnhinweis die mutmasslichen schwerwiegenden Urheberrechtsverletzungen nicht verhindern, soll zur straf- und zivilrechtlichen Inanspruchnahme eine Identifikation der Anschluss-Inhaberinnen und -Inhaber erfolgen – und zwar auf Anordnung einer staatlichen Behörde hin direkt von den Access-Providern an die Rechteinhaber, wobei die Access-Provider dafür finanziell entschädigt würden.
Die AGUR12-Mitglieder geben in ihrem Schlussbericht offen zu, dass damit eine «Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses im privatrechtlichen Bereich» stattfinden würde und es ihnen in erster Linie darum geht, den ordentlichen Rechtsweg über ein Strafverfahren umgehen zu können. Dabei sieht dieser ordentliche Rechtsweg heute ausdrücklich vor, dass die Identifikation von Anschluss-Inhaberinnen und -Inhabern ausschliesslich durch Strafverfolgungsbehörden bei einem entsprechend vorliegendem Tatverdacht erfolgen darf (Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BÜPF). Die Auskunftserteilung erfolgt ausschliesslich über den Dienst «Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr» (Dienst «ÜPF»). Der Dienst «ÜPF» wurde von der AGUR12 nach eigenen Angaben nie offiziell um eine Stellungnahme gebeten und wird im AGUR12-Schlussbericht auch nicht erwähnt.
Die AGUR12 empfiehlt damit ein Two Strikes-Verfahren bei mutmasslichen Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing, das (1) mit einem Warnhinweis beginnt und (2) mit straf- sowie zivilrechtlicher Verfolgung gegen die Inhaberin oder den Inhaber des betreffenden Internet-Anschlusses endet. Frankreich kennt – bekannt unter den Behörden- beziehungsweise Organisationsbezeichnungen HADOPI und CSA – vergleichbare Massnahmen, deren Wirksamkeit höchst umstritten ist oder sogar ganz bestritten wird.
Die Umsetzung der AGUR12-Empfehlung für Warnhinweise und weitere rechtliche Schritte würde eine umfassende Überwachung der gesamten Internet-Nutzung in der Schweiz bedingen, beispielsweise durch Beauftragte der amerikanischen Unterhaltungsindustrie wie Logistep oder durch die Access-Provider selbst. Heute kennt die Schweiz keine solche umfassende Internet-Überwachung.
Warnhinweise sowie Identifikation von Anschluss-Inhaberinnen und -Inhabern würden nicht aufgrund von gerichtlich festgestellten vorsätzlichen Urheberrechtsverletzungen oder zumindest einem entsprechend vorliegenden Tatverdacht in Strafverfahren erfolgen, sondern weitgehend automatisiert aufgrund von nicht weiter geprüften Hinweisen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und anderer Rechteinhaber. Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung, deren Notwendigkeit in Strafverfahren nicht erwiesen ist, würde auf das Urheberrecht ausgedehnt.
Notice and Take Down-Verfahren
Hosting-Provider – beispielsweise Cyon oder Hostpoint – sollen gemäss AUR12-Empfehlungen «auf Anzeige der Rechteinhaber […] hin unerlaubt hochgeladene Inhalte entfernen», wobei die AGUR12 diesbezüglich auf Selbstregulierung setzt. Die AGUR12 verweist als Beispiel auf den bereits bestehenden «Code of Conduct Hosting (CCH)» (PDF) der Swiss Internet Industry Association (simsa). Die Anzeigen der Rechteinhaber könnten allenfalls auch bei einer staatlichen Behörde zentral erfasst und an die Hosting-Provider weitergeleitet werden. Die Provider würden für ihre Tätigkeit als Hilfspolizisten der Rechteinhaber finanziell entschädigt.
Vorbild für diese repressiven Massnahmen sind die USA, wo die amerikanische Unterhaltungsindustrie weitgehend automatisiert gegen mutmassliche Urheberrechtsverletzungen bei YouTube und anderen Websites vorgeht. Inwiefern tatsächlich eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wird bei einem solchen Notice and Take Down-Verfahren nicht gerichtlich geprüft, sondern das Entfernen erfolgt allein aufgrund von Behauptungen der Rechteinhaber.
Die betroffenen Nutzerinnen und Nutzer können sich erst nachträglich zur Wehr setzen, das heisst es erfolgt eine rechtsstaatlich fragwürdige Beweislastumkehr. Für die amerikanische Unterhaltungsindustrie und andere Rechteinhaber besteht damit ein erheblicher Anreiz, möglichst viele Notice and Take Down-Verfahren durchzuführen. Copyfraud und andere Kollateralschäden aufgrund ungerechtfertigter Ansprüche haben für die jeweiligen Rechteinhaber grundsätzlich keine negativen Folgen.
Gleichzeitig ist – heute schon und unabhängig von der AGUR12 – selbstverständlich, dass Hosting-Provider in der Schweiz keine offensichtlichen Rechtsverletzungen durch ihre Nutzerinnen und Nutzer dulden. Vorsätzliche Urheberrechtsverletzungen sind in der Schweiz strafbar und Hosting-Provider leisten dazu keine – ebenfalls strafbare – Beihilfe.
Stay Down-Verfahren
Die AGUR12 geht absurderweise davon aus, dass es in der Schweiz Hosting-Provider gibt, «deren Geschäftsmodell offensichtlich auf Rechtsverletzungen durch die Nutzer angelegt ist oder die durch von ihnen zu verantwortende Massnahmen oder Unterlassungen die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung absichtlich fördern.» Für solche Hosting-Provider empfiehlt die AGUR12 ergänzend zum Notice and Take Down-Verfahren ein so genanntes Stay Down-Verfahren, das heisst solche Hosting-Provider sollen das «erneute unerlaubte Hochladen solcher Inhalte im Rahmen des Zumutbaren verhindern:»
«Dazu gehört auch eine umfassende Kontrolle von Link-Ressourcen und die Pflicht, über allgemeine Suchmaschinen mit geeignet formulierten Suchanfragen und gegebenenfalls auch unter Einsatz von sogenannten Webcrawlern zu ermitteln, ob sich Hinweise auf weitere rechtsverletzende Links bezüglich der angezeigten Inhalte auf ihren Dienst finden.»
Die AGUR12 hält «[e]ine gesetzliche Regelung […] in diesen spezifischen Fällen [für] unverzichtbar».
Urheberrechtsverletzungen von Nutzerinnen und Nutzern – oder deren Duldung – als Geschäftsmodell von Hosting-Providern gibt es in der Schweiz nicht. Vorsätzliche Urheberrechtsverletzungen und die vorsätzliche Gehilfenschaft dazu sind in der Schweiz strafbar – und werden auch tatsächlich bestraft. Aus diesem Grund gibt es in der Schweiz beispielsweise längst keine Websites im Stil von «The Pirate Bay» mehr. Die Verantwortlichen für solche Websites in der Schweiz wurden bereits zu Zeiten, als noch P2P-Netze wie eDonkey und eMule verbreitet waren, mit Erfolg straf- und zivilrechtlich belangt.
Massenabmahnungen und Überwachung
Die AGUR12 empfiehlt, dass Rechteinhaber «für die Ermittlung von Urheberrechtsverletzungen Internetverbindungsdaten (insbesondere dynamische und statische IP-Adressen) bearbeiten dürfen [sollen], soweit sie sich an die Vorgaben des Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) halten. Hintergrund ist der «Logistep»-Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE 136 II 508), der dazu geführt hat, dass Rechteinhaber nicht mehr nach Belieben schweizerische IP-Adressen als Grundlage für Massenabmahnungen sammeln können. Das Sammeln von IP-Adressen zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ist grundsätzlich aber weiterhin möglich.
Der EDÖB hat die erwähnten Vorgaben längst veröffentlicht, nachzulesen auch für die Rechteinhaber. Diese datenschutzrechtlichen Vorgaben scheinen die Rechteinhaber in der AGUR12 allerdings trotz ausdrücklicher Erwähnung in ihrem Schlussbericht nicht einhalten zu wollen, denn ergänzend schreiben sie auch noch, für die «Datenbearbeitung» durch die Rechteinhaber seien «[d]ie gesetzlichen Grundlagen […] – soweit erforderlich – zu schaffen.»
Staatliche Propaganda
Die AGUR12 sieht bei «Internetnutzungen […] nach wie vor grosse Unsicherheiten über die Rechtslage» und empfiehlt deshalb «[e]ine breit angelegte Informationskampagne». Damit soll – «unter Einbezug staatlicher Stellen und nicht staatlicher Stakeholder» eine «Verbesserung der Urheberrechtskompetenz» erreicht werden.
Solche Propaganda gibt es ohne erkennbare Wirkung seit Jahren: Wer beispielsweise kostenpflichtig einen Film im Kino oder ab Blue-ray schaut, muss erst erzieherische Hinweise zum Urheberrecht über sich ergehen lassen … zumindest teilweise durch die eigenen Steuern. Dabei wäre die beste «Propaganda» für die Rechteinhaber, endlich mit attraktiven kostenpflichtigen Angeboten die grosse Nachfrage und Zahlungsbereitschaft von Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nach Inhalten zu befriedigen. Heute können diese Konsumentinnen und Konsumenten viele Inhalte nur über unnötige Umwege beziehen.
Immunität für Access- und Hosting-Provider
Viele Empfehlungen der AGUR12 würden die Access- und Hosting-Provider in der Schweiz zu Hilfspolizisten der Rechteinhaber degradieren. Die Provider müssten erheblich in die Grundrechte der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer eingreifen sowie gegen ihre eigenen Kundinnen und Kunden agieren. Die AGUR12 empfiehlt deshalb eine weitgehende Haftungsbefreiung für Provider, sofern sie sich von den Rechteinhabern als Hilfspolizisten rekrutieren lassen:
«[…] Die Haftungsbefreiung muss dabei sowohl für die Inanspruchnahme durch die Rechteinhaber wie auch bei ausservertraglicher und vertraglicher Inanspruchnahme durch die Kunden und die Betreiber von Internetseiten gelten. Die dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen sind zu schaffen.»
Mit solchen neuen gesetzlichen Grundlagen, teilweise nach verfehltem Vorbild der Europäischen Union (EU), könnten Provider in der Schweiz von ihren eigenen Kundinnen und Kunden sowie von betroffenen Dritten nicht mehr rechtlich belangt werden, wenn sie deren Grundrechte verletzen. Die Erfahrung in anderen Ländern zeigt, dass Provider damit über einen erheblichen Anreiz verfügen um ihre eigenen Nutzerinnen und Nutzer zu überwachen, deren Internet-Zugriff zu sperren und zu zensurieren sowie deren Inhalte in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Rechteinhabern zu löschen – zumal sie, wie auch im Schlussbericht der AGUR12 empfohlen, für ihren «Polizeidienst» durch die Rechteinhaber entschädigt werden.
Fazit
In der AGUR12 haben sich die Lobbyisten der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und ihre schweizerischen Verbündeten – die Kulturschaffenden, Buchhändler und den Verleger –, mit ihren Forderungen nach unnötigen und unverhältnismässigen repressiven Massnahmen durchgesetzt. Grund dafür ist die zahlenmässig unausgewogene Interessenvertretung, die sich in den Abstimmungsresultaten innerhalb der AGUR12 und damit auch im Schlussbericht niederschlug.
Mit ihren Empfehlungen für repressive Massnahmen zur Durchsetzung des Urheberrechts im schweizerischen Internet ignoriert die AGUR12, dass der schweizerische Rechtsstaat bereits heute ein straf- und zivilrechtliches Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen ermöglicht. Ein solches Vorgehen muss möglich sein, aber selbstverständlich in einem rechtsstaatlichen Rahmen erfolgen.
Im bestehenden rechtsstaatlichen Rahmen gehen schweizerische Strafverfolgungsbehörden ohne weiteres gegen vorsätzliche Urheberrechtsverletzungen vor und urteilen Gerichte über mutmassliche Urheberrechtsverletzungen sowie zivilrechtliche Schadenersatzforderungen von Rechteinhabern. Die dabei bestehenden Hürden können als lästig empfunden werden, entsprechen aber dem demokratisch legitimierten politischen Willen und haben sich bewährt um ein rechtsstaatliches Gleichgewicht im Einklang mit den Grundrechten zu schaffen. Netzsperren, Überwachung und Zensur mittels Selbstjustiz und mit Providern als Hilfspolizisten würden dieses Gleichgewicht definitiv zerstören und den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzen.
Bei Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz besteht unzweifelhaft eine grosse Nachfrage nach digitalen Inhalten bei gleichzeitig grosser Zahlungsbereitschaft. Dank dem Internet ist es für die amerikanische Unterhaltungsindustrie und andere Rechteinhaber so einfach wie noch nie, diese Nachfrage zum eigenen Vorteil zu befriedigen. Kulturschaffende müssen ihre Urheberrechte nicht mehr mit Knebelverträgen an Verleger und Verwerter abtreten, sondern können mit einfachen Mitteln direkt an ihre Fans gelangen. Filesharing und Download von Inhalten verliert gleichzeitig rasant an Bedeutung und wird durch mehrheitlich kommerzielles Streaming – kostenpflichtig und/oder mit Werbung – ersetzt. Inhalte liegen immer häufiger in der Cloud, damit sie durch Nutzerinnen und Nutzer immer und überall abgerufen werden können.
Im Ergebnis ist unverständlich, wieso Rechteinhaber, auch aber Kulturschaffende repressive Massnahmen von zweifelhafter Wirksamkeit und mit vielen Kollateralschäden fordern anstatt die Chancen der Digitalisierung endlich zu nutzen. Sie gefährden damit in kurzsichtiger Art und Weise den freiheitlichen Rechtsstaat – letztlich auch zum eigenen Nachteil, denn Kulturschaffen benötigt ein freiheitliches Umfeld mit einem Urheberrecht, das Innovationen fördert. Auch deshalb ist zu hoffen, dass die Empfehlungen der AGUR12 für repressive Massnahmen durch Durchsetzung des Urheberrechts im schweizerischen Internet mangels Handlungsbedarf Empfehlungen bleiben. Die Schweiz muss an ihrem bewährten Urheberrecht festhalten und darf amerikanischem Druck – auch in laufenden geheimen Gesprächen mit den USA – nicht nachgeben.
Bild: Wikimedia Commons / Columbia Copyright Office, Public Domain.
Danke für Ihre verständliche Darlegung des Sachverhalts. Der 308-Seiten lange Bericht mit seinen extrem gegensätzlichen Standpunkten ist für Laien doch einigermassen schwer verständlich.
Was unbeantwortet blieb:
Wie geht es mit diesen Empfehlungen nun weiter?
Wann werden diese – wenn überhaupt – im Parlament behandelt?
Werden wir – das gemeine CH-Volk – jemals dazu befragt?
@Interessierter Bürger:
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) wird den Schlussbericht der AGUR12 analysieren und danach über das weitere Vorgehen entscheiden. Ausserdem wird der Schlussbericht als eine der Grundlagen für die Beantwortung hängiger parlamentarischer Vorstösse zum Urheberrecht dienen.
Änderungen am Schweizer Urheberrecht müssten – zumindest auf Gesetzesebene – im Parlament behandelt werden. Ausserdem besteht die Möglichkeit für parlamentarische Verstösse, wie sie bereits hängig sind.
Änderungen am Schweizer Urheberrecht auf Gesetzesebene würden dem Referendum unterliegen.
Nach dem unrühmlichen Abgang des Knebelungsversuches mittels ACTA Abkommen hätte man erwartet, dass die eidgenössischen Amtsschimmel hellhöriger geworden wären.
Schade für die zum Fenster raus geworfenen Sitzungsgelder dieser sog. «Arbeits-» Gruppe. Ein derart einseitiges Ergebnis wäre kostenfrei in den USA erhältlich gewesen!
Danke Martin — wieder mal ein gelungener wie erhellender Kommentar!
«halt du sie dumm ….» sagt der feldherr zum priester.
unterm strich ist zensur immer [neo-] konservativ,
ein versuch zur erhaltung des status quo.
arme bleiben arm, reiche bleiben reich.
zensur? dummheit? armut?
zensiert werden vor allem «interessante» inhalte,
die im widerspruch zum mainstream stehen.
die «aufstand» und «dekadenz» verstärken können.
die «terroristen» und «kriminelle» ausbilden können.
die «ketzer» und «aufstandsführer» bestetigen können.
die «konkurrenz» und «opposition» stärken können.
einfach nur infokrieg, um die masse dumm zu halten,
und um die wahre dekadenz noch weiter zu verzögern.