EuGH gegen Vorratsdatenspeicherung – und die Schweiz?

Foto: Europakarte mit vielen Pins

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union (EU) heute in einem überraschend deutlichen Urteil für ungültig erklärt (PDF).

Die Vorratsdatenspeicherung, so der EuGH, «beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt.» In der Schweiz hingegen soll nach dem Willen von Bundesrat und Ständerat die Vorratsdatenspeicherung weiter ausgebaut werden, gegen die bestehende Vorratsdatenspeicherung ist eine Beschwerde der Digitalen Gesellschaft hängig.

Gemäss EuGH handelt es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um «einen besonders schwerwiegenden Eingriff […] in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.» Ausserdem ist die Vorratsdatenspeicherung geeignet, das Gefühl zu erzeugen, dass das Privatleben aller Einwohnerinnen und Einwohner der EU Gegenstand einer ständigen Überwachung ist, das heisst sie führt zu einem so genannten Chilling Effect. Und auch wenn gemäss EuGH die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich der öffentlichen Sicherheit dient und die eigentliche Inhalte der Kommunikation nicht gespeichert werden, verletzt die Vorratsdatenspeicherung im Ergebnis den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

Der EuGH bemängelt insbesondere, dass sich die Vorratsdatenspeicherung «generell auf sämtliche Personen, elektronischen Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten» bezieht. Auch wird die Speicherung von Vorratsdaten zeitlich nicht auf die absolut notwendige Dauer beschränkt und es gibt keinen wirksamen Schutz vor Missbrauch der Vorratsdaten. Diese Vorratsdaten hält der EuGH dabei richtigerweise für bedeutsam, auch wenn die eigentlichen Inhalte der Kommunikation – bislang – nicht gespeichert werden.

Mit seinem Urteil schliesst sich der EuGH mehreren nationalen Verfassungsgerichten an. Das Urteil bedeutet hingegen nicht, dass in der EU gar keine Vorratsdatenspeicherung mehr möglich ist. Aber der EuGH stellt mit seinem Urteil die bisherige Vorratsdatenspeicherung EU derart grundlegend in Frage, dass fraglich ist, ob eine neue Variante der EU-Vorratsdatenspeicherung in Übereinstimmung mit dem nun erfolgten Urteil ausgestaltet werden kann. In jedem Fall wird es nach diesem EuGH-Urteil voraussichtlich nicht mehr rechtmässig sein, die Vorratsdaten aller über 505 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der EU präventiv und verdachtsunabhängig zu speichern. Inwiefern weiterhin Spielraum für nationale Varianten der Vorratsdatenspeicherung besteht, wird sich zeigen. Allenfalls wird der EuGH in einem künftigen Urteil entscheiden müssen, was in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung als absolut notwendig gilt, denn dazu hat sich der EuGH in seinem heutigen Urteil nicht direkt geäussert.

… und die Schweiz?

Im Bezug auf die Schweiz ist das EuGH-Urteil eine Niederlage für Bundesrat und Ständerat, welche die bestehende schweizerische Vorratsdatenspeicherung weiter ausbauen möchten. Der Ständerat leistete dabei nicht einmal dem Antrag der Digitalen Gesellschaft Folge, die Vorratsdatenspeicherung zu sistieren und auf ihren Nutzen zu prüfen. Der Nationalrat hat es in der Hand, diesen Fehler als zweite Kammer der Bundesversammlung zu korrigieren. Ansonsten ist nach dem EuGH-Urteil davon auszugehen, dass die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft gegen die schweizerische Vorratsdatenspeicherung spätestens beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erfolgreich sein wird.

Bild: Flickr/Charles Clegg, «Europe», CC BY SA 2.0 (generisch)-Lizenz.

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