Filesharing: Massenabmahnungen bald wieder möglich?

Foto: Obergericht des Kantons Zürich

Die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) repräsentiert die globale Musikindustrie. Die IFPI Schweiz führt ein Musterstrafverfahren um zu klären, in welchem Rahmen Massenabmahnungen gegen Filesharing in P2P-Netzwerken wieder rechtskonform durchgeführt werden können.

Für Abmahnungen gegen Filesharing müssen die mutmasslichen Urheberrechtsverletzer identifiziert werden. Die Unterhaltungsindustrie lässt deshalb das Schweizer Internet durch private Dienstleister überwachen um mutmassliche Urheberrechtsverletzungen und die dafür verwendeten IP-Adressen zu ermitteln. In Strafverfahren gegen Unbekannt besteht mit diesen IP-Adressen grundsätzlich die Möglichkeit, über die Vorratsdatenspeicherung die Kundinnen und Kunden der verwendeten Internet-Anschlüsse zu identifizieren, so dass Abmahnungen zugestellt werden können.

Mit seinem so genannten Logistep-Urteil vom 8. September 2010 (BGE 136 II 508) setzte das Bundesgericht diesem Vorgehen allerdings datenschutzrechtliche Grenzen. Strafverfahren wegen Filesharing wurden durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden deshalb in vielen Fällen mit Verweis auf das Logistep-Urteil eingestellt – so auch im erwähnten Musterstrafverfahren.

Gemäss einem nun veröffentlichten Gerichtsbeschluss hat die IFPI Schweiz vor dem Obergericht des Kantons Zürich erwirkt, dass das erwähnte Musterstrafverfahren durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich fortgesetzt werden muss (Beschluss UE130087 vom 3. Februar 2014Zusammenfassung).

Nachfolgend die wichtigsten Abschnitte bezüglich Sachverhalt, Standpunkten und Rechtslage aus dem anonymisierten Gerichtsbeschluss (mit Hervorhebungen durch den Autor):

Sachverhalt: Filesharing mit Gnutella

«Die […] IFPI Schweiz […] erstattete am 7. Januar 2013 Strafanzeige und Strafantrag wegen Verletzung von Strafbestimmungen des […] Urheberrechtsgesetz[es]. Die Strafanzeige richtete sich gegen Unbekannt bzw. gegen den Nutzer der IP-Adresse … beim Provider A._____ (Schweiz) AG.

Im Einzelnen brachte die Anzeigeerstatterin vor, die unbekannte Täterschaft habe […] den Musiktitel ‹…› der Künstler B._____ und C._____ sowie weitere mindestens 1’482 Musiktitel von inländischen und ausländischen Interpreten […] ohne Einwilliung der Rechteinhaber im Internet zum Download zugänglich gemacht. […] Man habe ermittelt, dass […] die Täterschaft über den Provider A._____ (Schweiz) AG unter Verwendung der ihr zugewiesenen IP-Adresse … ohne Einwilligung der Rechtsinhaber mindestens 1’482 [sic!] Musikdateien über das I._____-P2P-Netzwerk anderen Nutzern dieses Netzwerks zum Herunterladen vom Speicherort angeboten und somit weltweit zugänglich gemacht habe.»

Beim I._____-P2P-Netzwerk handelt es sich nach Angaben (PDF) der amerikanischen International Intellectual Property Alliance (IIPA) um Gnutella. Bei der A._____ (Schweiz) AG handelt es sich vermutlich um die Swisscom.

«Aufgrund der zeitlich beschränkten Aufbewahrungspflicht der für die Teilnehmeridentifikation notwendigen Daten veranlasste die Staatsanwaltschaft […] beim Provider […] vorsorglich die Teilnehmeridentifikation des Anschlussinhabers. Die Ermittlungen ergaben, dass die vorerwähnte IP-Adresse im Tatzeitpunkt J._____ […] zugewiesen war.

Mit Verfügung vom 4. März 2013 […] stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung ein mit der Begründung, dass die auf Markenschutz spezialisierte und von der Beschwerdeführerin beauftragte [amerikanische] Firma MarkMonitor die fragliche IP-Adresse … unter Verletzung des Datenschutzrechts ermittelt habe. Daher sei die IP-Adresse nicht verwertbar.

Am 28. März 2013 erhob die IFPI Schweiz […] Beschwerde mit dem Antrag, die Einstellungsverfügung sei aufzuheben und die [Staatsanwaltschaft] anzuweisen, die Untersuchung fortzusetzen.

Die Staatsanwaltschaft nahm am 29. April 2013 zur Beschwerde Stellung mit dem Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen […].»

Standpunkte von IFPI Schweiz und Staatsanwaltschaft

Staatsanwaltschaft: Datenschutz, deshalb Beweisverwertungsverbot

«Die Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, die Strafanzeige stütze sich auf Hinweise, welche unter Verletzung des Datenschutzes gewonnen worden seien. Gemäss dem [Logistep-Urteil] sei es nicht zulässig, Übermittlungsdaten, namentlich IP-Adressen der von registrierten Benutzern verwendeten Anschlüsse, die Identifikationsnummer des geschützten Werks sowie das Datum und die Uhrzeit bzw. den Zeitraum der Verbindung der benutzten Software aufzuzeichnen, die ermittelten Daten an die Inhaber der Urheberrechte weiterzugeben, zur Identifikation des Inhabers des Internetanschlusses zu verwenden, Strafanzeige gegen Unbekannt einzureichen und sich im Rahmen des Akteneinsichtsrechts die Identitätsdaten des Anschlussinhabers zu verschaffen. […]

Gemäss dem Logistep-Entscheid überwiege das Datenschutzinteresse des privaten Dateninhabers das Interesse der Inhaber von Urheberrechten an der Durchsetzung dieser Rechte. Der Staatsanwaltschaft sei es bei der gegebenen Sach- und Rechtslage verwehrt, entsprechende Beweise selber zu erheben. Auch die Verwendung von durch Private unter Verletzung von Persönlichkeitsrechten beschafften Beweisen sei unzulässig. Solchermassen gesammelte Beweise seien nicht verwertbar. Nach dem Gesagten könne die von MarkMonitor ermittelte IP-Adresse … nicht verwertet werden, weshalb die beschuldigte Person zwecks Anklageerhebung nicht identifiziert werden könne.»

IFPI Schweiz: Kein Datenschutz, deshalb Beweisverwertung

«Dagegen ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, das Datenschutzgesetz komme im Rahmen eines hängigen Strafverfahrens nicht zur Anwendung, da die Strafprozessordnung die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen genügend schütze […]. Des Weiteren macht sie geltend, beim Logistep-Urteil des Bundesgerichts handle es sich um einen Einzelfallentscheid, dem keine allgemeine Tragweite zukomme. […]. Sie, die Beschwerdeführerin, habe sich […], um dem Vorwurf der Instrumentalisierung des Strafuntersuchungsverfahrens im Hinblick auf die Durchsetzung von Zivilforderungen entgegen zu treten, verpflichtet, allfällige Zivilforderungen erst nach der Verurteilung der Täter geltend zu machen […]. Sodann ist die Beschwerdeführerin der Ansicht, das Datenschutzgesetz sei in keiner Art verletzt worden. Bei IP-Adressen, insbesondere bei dynamischen, handle es sich nicht um personenbezogene Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes, da ohne entsprechende Auskünfte des Providers kein Personenbezug hergestellt werden könnte. […] Selbst wenn das Datenschutzrecht verletzt worden wäre, überwögen nach Ansicht der Beschwerdeführerin die privaten und öffentlichen Interessen an der Strafverfolgung die Interessen am Schutz der Persönlichkeitsrechte […]. Schliesslich liege auch kein Beweisverwertungsverbot vor, da keine Gültigkeitsvorschriften verletzt worden seien und sich Beweisverwertungsverbote ohnehin nicht an Private richteten […].»

Rechtslage gemäss Zürcher Obergericht

Klare Anwendbarkeit des Datenschutzgesetzes

«[…] Käme das Datenschutzgesetz auf Datenerhebungen, welche Private im Hinblick auf die Erstattung einer Strafanzeige vornehmen, nicht zur Anwendung, bestünde für die davon Betroffenen eine Rechtsschutzlücke. Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft diese Vorfrage unter Anwendung des Datenschutzgesetzes prüfte.»

Klare Datenschutzverletzung durch Internet-Überwachung

«Das Bundesgericht entschied im [Logistep-Urteil], dass IP-Adressen als bestimmbare Personendaten im Sinn von Art. 3 lit. a DSG zu betrachten sind, da der Aufwand zur Bestimmung der Namen der P2P-Teilnehmer durch das Einschalten der Strafverfolgungsbehörden nicht derart gross ist, dass die Urheberrechtsinhaber ihn nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht auf sich nehmen würden […]. Weiter erkannte das Bundesgericht, dass durch die Art, wie Logistep vorging, die Grundsätze der Transparenz (Art. 4 Abs. 4 DSG) und der Zweckbindung der Datenbearbeitung (Art. 4 Abs. 3 DSG) verletzt werden. […]

Bei der Prüfung der Rechtfertigungsgründe kam das Bundesgericht […] zum Schluss, dass die mit der rechtswidrigen Datenbearbeitung einhergehenden Persönlichkeitsverletzungen im konkreten Fall nicht durch das private (wirtschaftliche) Interesse von Logistep und das Interesse ihrer Auftraggeber an der wirksamen Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen aufgewogen werden […].

Das Vorgehen von MarkMonitor erscheint ähnlich wie dasjenige von Logistep. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin habe sie […] MarkMonitor mangels eigener Sachkompetenz beauftragt, anhand einer von ihr zusammengestellten Liste von Tonträgern zu prüfen, ob urheberrechtlich geschützte Werke im I._____-P2P-Netzwerk unautorisiert zum Download zugänglich gemacht worden seien. Wenn sich herausstelle, dass eines oder mehrere der Suchergebnisse über eine in der Schweiz angesiedelte IP-Adresse zugänglich gemacht worden sei, nehme MarkMonitor einen Testdownload vor und sammle mit einer speziellen Software Log-Dateien als Belege. MarkMonitor gebe der Beschwerdeführerin anonyme Testdownloads und die dazu gehörigen IP-Adressen heraus, wenn nachweislich über schweizerische Access-Provider Urheberrechte an aktuellen Werken verletzt worden seien […].

Wie das Bundesgericht festhielt, fallen IP-Adressen entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin in den Schutzbereich des Datenschutzgesetzes. Das datenschutzrelevante Vorgehen von MarkMonitor betrifft das Beschaffen, Aufbewahren und Bekanntgeben von Daten (vgl. Art. 3 lit. e DSG). Die Datenbearbeitung ist für die Nutzer des P2P-Netzwerks I._____ nicht erkennbar. Gleich wie im Fall Logistep ist daher eine Verletzung des Erkennbarkeits- und Zweckbindungsprinzip (Art. 4 Abs. 3 und 4 DSG) anzunehmen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin auf ihrer Homepage (Screenshot) auf Kontrollen über die Einhaltung der Urheberrechte durch MarkMonitor aufmerksam macht und zusichert, Zivilforderungen erst nach der Verurteilung mutmasslicher Täter zu stellen, ändert an der Beurteilung der Vorgehensweise von MarkMonitor unter datenschutzrechtlichen Aspekten nichts. Es ist somit davon auszugehen, dass die Ermittlung der IP-Adresse … durch MarkMonitor unter Verletzung des Datenschutzgesetzes erfolgte.

Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft diese Daten dennoch als Beweise im Strafverfahren verwenden darf, hat das Bundesgericht […] offen gelassen. Sie ist nach Massgabe der Strafprozessordnung zu prüfen.»

Unklare Verwertbarkeit von datenschutzverletzenden Beweisen

«Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise ist in Art. 141 StPO geregelt. Beweise, die unter Verletzung von verbotenen Beweiserhebungsmethoden […] erhoben wurden, sind in keinem Fall verwertbar […]. Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich […]. Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar […]. Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre […].

Art. 141 StPO richtet sich im Prinzip nur an die Strafverfolgungsbehörden […]. Das Bundesgericht geht unter Abstützung auf die Rechtslehre davon aus, dass von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel verwertbar sind, wenn sie an sich auch von den Strafbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht […].

Im vorliegenden Zusammenhang ist indessen zu berücksichtigen, dass die Einstellung des Strafverfahrens nur in Betracht kommt, wenn die Unverwertbarkeit der Beweise offensichtlich ist. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf ein Strafverfahren nur in rechtlich und sachverhaltsmässig klaren Fällen eingestellt werden. Im Zweifelsfall ist Anklage zu erheben […]. Dies gilt auch bei Zweifeln über die Verwertbarkeit von Beweismitteln […].

Die Staatsanwaltschaft lässt es bei der Vermutung eines gezielten und systematischen Vorgehens durch MarkMonitor (Rasterfahndung) bewenden. […] Für den vorliegenden Zusammenhang ist ausschlaggebend, dass aufgrund der Ausführungen der Staatsanwaltschaft die Frage, ob im konkreten Fall vor der Datenerhebung durch MarkMonitor bereits Hinweise auf Urheberrechtsverletzungen vorlagen, aufgrund derer die Beschwerdeführerin eine Strafanzeige hätte erheben können, nicht zweifelsfrei verneint werden kann. Wenn dies zu bejahen wäre, so hätte ein Anfangsverdacht einer Urheberrechtsverletzung bestanden und wäre die Staatsanwaltschaft befugt gewesen, selber Beweise zu erheben (vgl. Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO). Der Vorwurf der Beweiserhebung ‹auf’s Geratewohl› (Beweisausforschung) wäre unbegründet. Die Beschaffbarkeit der Beweise durch die Staatsanwaltschaft kann im konkreten Fall folglich nicht zweifelsfrei verneint werden. Dies spricht gegen die Einstellung des Strafverfahrens.

Sodann gilt es zu bedenken, dass die Frage der Verwertbarkeit illegal beschaffter Beweise durch Private von einer Abwägung der Interessen an der Strafverfolgung und am Persönlichkeitsschutz abhängt. Der Entscheid darüber erfordert eine Ermessensbetätigung. Im Logistep-Urteil liess das Bundesgericht die Frage der Verwertbarkeit explizit offen […]. Unter diesen Umständen kann nicht von einer klaren Rechtslage gesprochen werden. Dies erfordert, den Entscheid über die Verwertbarkeit der Beweise und die damit verbundene Interessenabwägung dem Sachgericht zu überlassen.

Insgesamt erweist sich die Sach- und Rechtslage betreffend die Frage der Verwertbarkeit der unter Verletzung des DSG beschafften Beweise somit als unklar. Aus diesem Grund verletzt die Einstellung des Strafverfahrens den Grundsatz ‹im Zweifel für die Anklageerhebung› (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 2 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO).»

Gerichtsbeschluss

«Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die [Staatsanwaltschaft] zurückzuweisen. […]

Im Hinblick auf den Untersuchungszweck wird der vorliegende Beschluss […] dem Nutzer der IP-Adresse … im deliktsrelevanten Zeitpunkt, J._____, […] vorerst nicht mitgeteilt, sondern die Staatsanwaltschaft damit beauftragt, J._____ in einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens darüber zu informieren.»

Zusammenfassung: In dubio pro duriore

Ja, das Datenschutzgesetz ist anwendbar: Auf Private, die das Internet überwachen um mutmassliche Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing und die dafür verwendeten IP-Adressen zu ermitteln – beispielsweise das amerikanische Unternehmen MarkMonitor –, ist das schweizerische Datenschutzgesetz anwendbar. IP-Adressen – auch dynamische IP-Adressen – fallen in den Schutzbereich des Datenschutzgesetzes.

Ja, das Datenschutzgesetz wurde verletzt: Die Internet-Überwachung durch MarkMonitor im Auftrag der IFPI Schweiz verletzte das Datenschutzgesetz – daran änderte auch nichts, dass die IFPI Schweiz auf ihrer Website über die Internet-Überwachung zur Verfolgung von mutmasslichen Urheberrechtsverletzungen in Abstimmung mit dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) informiert (Screenshot).

Aber in Strafverfahren gilt der Grundatz «In dubio pro duriore»: Die Schweiz kennt kein absolutes Beweisverwertungsverbot für rechtswidrig erlangte Beweise. Ein Strafverfahren darf nur eingestellt werden, wenn die Unverwertbarkeit der Beweise offensichtlich ist. Ansonsten muss im Zweifelsfall – auch bei Zweifeln über die Verwertbarkeit von Beweisen – Anklage erhoben werden («In dubio pro duriore»). Beruft sich der Beschuldigte auf ein Beweisverwertungsverbot, muss das Strafgericht darüber entscheiden.

Im vorliegenden Musterstrafverfahren ist die Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Verwertbarkeit von Beweisen, die unter Verletzung des Datenschutzgesetzes beschafft wurden, unklar und die Staatsanwaltschaft hätte Anklage erheben müssen. Die Frage der Beweisverwertung sowie die entsprechende Abwägung zwischen den Interessen an der Strafverfolgung und am Persönlichkeitsschutz wird das Sachgericht im Strafprozess gegen J._____ vornehmen müssen.

Ergebnis: Die Staatsanwaltschaft muss das Strafverfahren gegen J._____ fortsetzen. Sie kann einen Strafbefehl erlassen, Anklage erheben oder das Strafverfahren aus anderen Gründen einstellen (Art. 318 StPO). Sofern ein Strafbefehl erlassen oder Anklage erhoben wird, erfährt J._____ vom Strafverfahren und kann sich entsprechend vor Gericht verteidigen (lassen).

Ausblick: Warten auf ein Bundesgerichtsurteil

Die IFPI Schweiz liess sich bislang nicht zum vorliegenden Gerichtsbeschluss vernehmen. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie hat aber bereits angekündigt (PDF), ein höchstrichterliches Urteil – das heisst ein Bundesgerichtsurteil – anzustreben.

Bis zu einem solchen Urteil bleibt die Rechtslage in der Schweiz im Zusammenhang mit P2P-Filesharing und Massenabmahnungen unklar. Gleichzeitig werden sich die IFPI Schweiz und andere Repräsentanten der Unterhaltungsindustrie weiterhin für eine Bestandsdatenauskunft einsetzen, die Massenabmahnungen ohne den hürdenreichen Weg über Strafverfahren ermöglicht.

Bild: Martin Steiger, «Obergericht des Kantons Zürich», CC BY-SA 4.0 (international)-Lizenz.

7 Kommentare

  1. Ich wundere mich ob eventuell eine andere Lösung wie ein Netflix für die Schweiz sinnvoll und wahrscheinlich günstiger zu haben wäre für die amerikanischen Medienproduzenten? Ist die „Verfolgung“ von möglicher Kundschaft nicht kontraproduktiv und dazu teurer?

    Ich meinerseits habe seit es Torrents gibt mehr CDs gekauft als vorher. Wenn ein Album gut war, wurde es gekauft – wenn nicht, gelöscht. Ich habe erst langsam auf digitalen Download umgestellt. Aber Torrents zum Alben komplett anzuhören gehört immer noch dazu, obwohl inzwischen Spotify hier auch eine Alternative bietet…

    Filme miete ich über iTunes / Apple TV. Ich habe nie Filme gekauft, kaufe immer noch keine und habe es auch nicht vor!

    Serien sind da etwas ganz anderes. Die Verwertung in Europa etliche Monate später nach dem Ausstrahlen in den USA bringt wahrscheinlich mehr Geld ein, aber mein Interesse an der originalen Tonspur wird nie gestillt. Darum auf ins Internet und per Torrent gezogen. Ich behalte die Aufnahmen so oder so nicht, da ich sie nicht ein zweites Mal anschauen werde. Ich kaufe keine Videos.

    Da verlieren mich die Produzenten als Kunde.

    Das es immer Leute geben wird, die nicht bezahlen wollen und die Produkte „stehlen“ nehme ich stark an. Aber gibt es bessere Werbung als Kassetten / LPs / CDs zu tauschen und auszuleihen? Ich glaube nicht. HBO nimmt es hier genau so.

    Nebenbei gesagt, zahlen wir doch über die Suisa? Ist das nicht genug um uns das recht des Tausches zu erkaufen?

  2. Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen, eine Serie wie Game of Thrones von HBO wäre nie so erfolgreich gewesen, wenn die Leute diese nicht wie blöd getauscht hätten…

  3. Ist bekannt, ob dieses Urteil angefochten wird und ist zu erwarten, dass die kantonalen Strafverfolgungsbehörden ihre Praxis bereits gestützt auf dieses Urteil aufgeben werden?

    1. «Ist bekannt, ob dieses Urteil angefochten wird und ist zu erwarten, dass die kantonalen Strafverfolgungsbehörden ihre Praxis bereits gestützt auf dieses Urteil aufgeben werden?»

      Momentan liegen mir keine Informationen dazu vor.

  4. «Bei IP-Adressen, insbesondere bei dynamischen, handle es sich nicht um personenbezogene Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes, da ohne entsprechende Auskünfte des Providers kein Personenbezug hergestellt werden könnte. […]»
    Dazu sagt uns das Datenschutzgesetz:
    «DSG 3(a). Personendaten (Daten): alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen;»

    Wäre die IP Adresse nicht zwingend notwendig um die Person, zu bestimmen, so hätte man wohl kaum beim Provider nachgefragt.

    Scheint mir eine unhaltbare Argumentation.

  5. Finde es einfach schade, dass wenn p2p verboten (stärker kontrolliert) wird, mehr leute auf bezahlhoster gehen und den leuten noch mehr geld in den rachen kippen.
    Ich für mich muss sagen, habe mehr gekauft, seit ich p2p nütze. Gutes wird gekauft

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