Edward Snowden: Politisches Asyl in der Schweiz?

Bild: Porträt von Edward Snowden vor amerikanischer Flagge und Siegel der National Security Agency (NSA)

Edward Snowden könnte in der Schweiz möglicherweise Asyl erhalten oder müsste voraussichtlich zumindest vorläufig aufgenommen werden. In einem Artikel bei «sui-generis.ch» gelangt Sarah Progin-Theuerkauf, Professorin an der Universität Freiburg, zu diesem Ergebnis.

Für ein Asylgesuch müsste sich Snowden allerdings in die Schweiz begeben. Das Beispiel von Präsident Morales (Bolivien) zeigt, dass die USA vermutlich versuchen würden, eine Reise von Snowden in die Schweiz zu verhindern.

Genfer Flüchtlingskonvention

In Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sieht Progin-Theuerkauf zwei Anhaltspunkte für eine drohende Verfolgung, die für eine Flüchtlingseigenschaft von Snowden unter anderem notwendig wäre:

«[…] Zum einen könnte eine Verfolgungshandlung in Form eines unfairen Prozesses, der zu einer exzessiven Bestrafung führt, vorliegen, zum anderen könnten auch die ihm drohenden äusserst scharfen Haftbedingungen als Verfolgung angesehen werden. Wie der Fall Chelsea (ehemals Bradley) Manning gezeigt hat, […] drohen Whistleblowern in den USA äusserst harte Strafen. Dem Verfahren Mannings war zudem eine lange Untersuchungshaft unter extremen Bedingungen vorangegangen. Ihre Anwälte bezeichnen den Prozess als zu lang und unfair; wichtige Zeugen seien nicht gehört und der Zugang zu Dokumenten verweigert worden. Auch die Haftbedingungen (u.a. Isolationshaft ohne jegliche menschliche Interaktion, Verweigerung von Decken, Kopfkissen und Kleidung, mangelndes Tageslicht, etc.) von Manning wurden […] angeprangert und sogar als Folter bezeichnet. Auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments äusserten […] in einem offenen Brief an die amerikanische Regierung, den Senat und das Repräsentantenhaus Bedenken betreffend Menschenrechtsverletzungen gegenüber Manning.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Snowden ein ähnliches Schicksal wie Manning droht, auch wenn er kein Angehöriger der U.S. Army war und daher […] nicht nach dem Uniform Code of Military Justice beurteilt würde. Insofern gelten für Snowden zwar weniger harte Regeln, ihm wird aber bislang Diebstahl von Regierungseigentum, widerrechtliche Weitergabe geheimer Informationen sowie Spionage […] vorgeworfen. Auf jedes einzelne dieser Delikte steht bereits eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Auch könnte die Staatsanwaltschaft diese Strafe jeweils pro Anklagepunkt (d.h. für jedes weitergegebene Dokument) fordern; eine jahrzehntelange Haftstrafe ist daher wahrscheinlich. Insofern dürfte sich das Snowden drohende Strafmass kaum von dem unterscheiden, das Manning erhalten hat.»

In Bezug auf den unter anderem auch notwendigen Verfolgungsgrund kommt gemäss Progin-Theuerkauf nur das Kritium der «politischen Überzeugung» in Frage. Progin-Theuerkauf schliesst diesbezüglich nicht aus, dass eine politische motivierte Verfolgung von Snowden vorliegt.

Keine Flüchtlingseigenschaft würde vorliegen, wenn Snowden ein schweren nichtpolitischen Verbrechen begangen hätte. Aus schweizerischer Sicht erscheint aber klar, dass «die durch Snowden begangenen Delikte aus politischen Motiven begangen worden» sind.

Europäische Menschenrechtskonvention

Aus Art. 3 der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) leitet Progin-Theuerkauf aufgrund des Non-Refoulement-Prinzips ab, dass Snowden durch die Schweiz auch bei fehlender Flüchtlingseigenschaft nicht an die USA ausgeliefert oder abgeschoben werden dürfte:

«Zu beachten ist, dass die EMRK zwar keinen Anspruch auf Asyl beziehungsweise Aufenthalt von Ausländern garantiert, aber eine Auslieferung oder Abschiebung für den Aufenthaltsstaat konventionsrechtlich relevant sein kann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Person im Empfangsstaat einem tatsächlichen Risiko der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen ist. In der Übergabe des Betroffenen in die Gewalt des ausländischen Staates liegt dann eine dem ausweisenden Staat unmittelbar zurechenbare Handlung, die seine Verantwortlichkeit nach der EMRK begründet.

Der EGMR verlangt für einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK den Nachweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer konkreten und ernsthaften Gefahr (‹real risk›). Die Beweislast liegt bei der betroffenen Person. Sofern es Edward Snowden also gelingt, schlüssig nachzuweisen, dass ihm in den USA im Rahmen seiner Haft eine unmenschliche Behandlung droht, müsste ihm jedenfalls über Art. 3 EMRK Schutz gewährt werden. Eine Auslieferung kann unter Umständen auch gegen Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) verstossen.»

Schweizerisches Asyl- und Ausländerrecht

In der Schweiz sind neben dem direkt anwendbaren Völkerrecht gemäss Flüchtlings- und Menschenrechtskonvention das Asylgesetz (AsylG) und das Ausländergesetz (AuG) einschlägig.

«Im Ergebnis müsste Edward Snowden wohl Asyl gewährt werden, zumindest aber müsste er nach Art. 44 AsylG i.V.m. Art. 83 AuG vorläufig aufgenommen werden (als Flüchtling oder als Ausländer). Die Rechtsstellung vorläufig aufgenommener Personen ist allerdings nicht mit der von Personen zu vergleichen, die Asyl erhalten haben. Sie gewährt auch […] keinen besonderen Rechtsstatus, sondern zeugt lediglich davon, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung (derzeit) nicht möglich ist. Es wird periodisch geprüft, ob die Voraussetzungen für die vorläufige Aufnahme noch gegeben sind (Art. 84 AuG)

Fazit

Progin-Theuerkauf endet mit dem vorsichtigen Fazit, dass «es durchaus Anhaltspunkte dafür gibt, dass Edward Snowden die Kriterien der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt und er daher Asyl erhalten sollte.» Und weiter:

«In jedem Fall aber müsste [Edward Snowden] – sofern die Gefahr besteht, dass er unter ähnlichen Bedingungen wie Chelsea Manning inhaftiert würde – aus menschenrechtlichen Aspekten (Grundsatz des Non-Refoulement, insbesondere auf der Grundlage von Art. 3 EMRK) Schutz gewährt werden. […] In der Schweiz müsste Snowden, sofern ihm kein Asyl gewährt würde, jedenfalls vorläufig aufgenommen werden.»

Bild: Flickr / DonkeyHotey, «Edward Snowden», CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

Ein Kommentar

  1. Schade nur, dass all diese Ergebnisse und Interpretationen eines vergessen: Die Schweiz wirft sämtliche genannten Konventionen und Rechtsgrundlagen innerhalb weniger als einer Sekunde über Bord, wenn Mr. President anruft und BR Sommaruga herzlichst (aber ebenso unmissverständlich) auffordert, für einen sicheren Transport von Ziurik to the greatest country ever – oder auch nur nach Rammstein – sicherzustellen.

    Es wäre äusserst naiv von Edward Snowden irgendwelchen Versprechen aus der Schweiz zu glauben. Die Schweiz wird jedem anderen Menschen auf der Welt Asyl gewähren. Niemals aber Edward Snowden. Der Druck der USA würde nur kurz erhöht und z.B. die Stichworte «Bank» oder «Export» enthalten. Jedes Regierungsmitglied würde erstarren vor Angst und mit schweissnassen Händen sofort die weisse Fahne schwenken.

    Leider sind wir in der Schweiz längst kein neutrales Land mehr. Und schon gar keines, dass jemandem wie Edward Snowden ausreichend Schutz bieten könnte. Wenn er irgendwo auf der Welt noch einigermassen sicher ist, dann in dem Land, aus dem die Schweiz die Kunstflugstaffel lieber kurzerhand «neutralerweise» auslädt, dafür aber 4 Inspektoren der Streitkräfte auf unsere Kosten einlädt.

    Mein Fazit:

    Herr Snowden, bitte überlegen Sie es sich dreimal, ob Sie uns wirklich besuchen kommen wollen. Viel mehr als ein Kurzaufenthalt wird das mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht.

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