Open Office: Umstrittene Textbausteine am Bundesgericht

Foto: Schweizerisches Bundesgericht

Am Schweizerischen Bundesgericht kommt seit über 10 Jahren Open Source-Office-Software zum Einsatz. Daniel Brunner, Dienstchef Informatik, hielt dazu an der LibreOffice-Konferenz 2014 einen informativen Vortrag (PDF), dessen Aufzeichnung bei YouTube veröffentlicht wurde.

Für Schlagzeilen sorgte nun aber nicht Kritik aus Privatwirtschaft, das Open Source-Geschäftsmodell oder der Vergleich zwischen der Abhängigkeit von externen Software-Anbietern mit dem Schnupfen von Kokain, sondern dass Äusserungen zur Verwendung von Textbausteinen am Bundesgericht nachträglich «zensuriert» wurden, wie die NZZ am Sonntag schreibt:

«Auch Richter arbeiten heute am Computer […]. Dass sich Informatik in Gerichten zunehmender Beliebtheit erfreut, hat damit zu tun, dass sie die Arbeit erleichtert. […] [A]n einzelnen Gerichten gibt es inzwischen ganze Systeme von offiziellen Textbausteinen. Die Rechtsprechung mit dem Legokasten hat indes ihre Tücken, denn nicht jedes Gebilde von ineinander passenden Steinen stimmt am Schluss auch.

Etliche Richter […] sehen das Ganze denn auch sehr skeptisch. Ihnen fiel vergangene Woche der neue Leiter des Informatikdienstes in den Rücken, als er an einer Open-Source-Tagung in Bern behauptete, die Urteile des Bundesgerichts seien schon zu 60 bis 70 Prozent generiert, wenn sie aus dem System kämen. Und Textbausteine würden besonders gekennzeichnet, damit der Richter sie nicht mehr anschauen müsse. Und auch weitere Elemente seien so vorfabriziert, dass der Benutzer nicht mehr zu denken brauche.

Solch lockeres Mundwerk eines Informatikers, der vom Handwerk des Richters kaum allzu viel versteht, ist noch kein Skandal. Anders verhält es sich mit der Tatsache, dass die fragwürdigen Passagen im Video auf der Website des Veranstalters umgehend weggeschnitten wurden, nachdem der Kolumnist darauf gestossen war und Fragen stellte. […]»

Foto: Schweizerisches Bundesgericht

Aus meiner Sicht ist die umfassende Verwendung von Textbausteinen und sonstigen Vorlagen durch das Bundes­gericht vorbildlich. Wer regelmässig Entscheide des Bundesgerichts liest, stellt ohne weiteres fest, dass sich viele inhaltliche Elemente tatsächlich wiederholen – je nach Entscheid manchmal mehr, manchmal weniger als die erwähnten 60 bis 70 Prozent.

Im Idealfall erlauben Vorlagen den Richtern und Gerichtsschreibern am Bundesgericht, sich auf die Rechtsprechung als Kernaufgabe zu konzentrieren und dort ihre richterliche Kompetenz einzusetzen. Wieso sollten inhaltliche Elemente jeweils neu formuliert werden, wenn man sie nach erfolgter Entscheidung in der Sache oder Teilsache effizient als Vorlage abrufen kann?

Bei einem Vortrag, der im Rahmen einer Konferenz aufgezeichnet wurde, empfinde ich es als legitim, wenn nachträglich nicht die gesamte Aufzeichnung veröffentlicht wird. Wenn allerdings aufgrund einer journalistischen Nachfrage eine Aufzeichnung nachträglich «zensuriert» wird, droht der Streisand-Effekt

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