In der Schweiz bestand bis Mitte der 1990er-Jahre Telefonbuchzwang: Wer über einen Telefonanschluss bei der damaligen PTT verfügte, musste sich mit Adresse und Telefonnummer in das so genannte Abonnentenverzeichnis eintragen lassen. Für den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) in der Schweiz wird dieser «Telefonbuchzwang» per 1. November 2014 wieder eingeführt.
Der ERV findet per E-Mail über verschiedene so genannte elektronische Zustellplattformen statt. Das Bundesamt für Justiz (BJ) führt ein übergeordnetes Teilnehmerverzeichnis («Telefonbuch») aller Nutzer. Heute nutzen vor allem Justizbehörden und Rechtsanwälte – leider meist nur widerwillig – solche Zustellplattformen, doch ist eine breite Nutzung geplant und der ERV deshalb beliebigen Nutzern zugänglich.
Private Nutzer konnten bislang selbst bestimmen, ob sie über das Teilnehmerverzeichnis auffindbar sein wollten. Nun hat das Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) von Bundesrätin Simonetta Sommaruga entschieden, diesen Datenschutz aufzuheben und erlaubt künftig auch Wildcard-Suchen. Ab dem 1. November 2014 kann somit nur noch am ERV in der Schweiz teilnehmen, wer sich als privater Nutzer diesem «Telefonbuchzwang» mit einem beliebig durchsuchbaren Teilnehmerverzeichnis unterwirft.
Elektronischer Rechtsverkehr ohne Datenschutz?
Bundesrätin Simonetta Sommaruga begründete (PDF) den Telefonbuchzwang insbesondere damit, dass das Teilnehmerverzeichnis nicht öffentlich sei. Ausserdem sei eine Abgrenzung zwischen Behörden und Privatpersonen nicht immer einfach, weil sich verschiedene Gerichte nur als private Nutzer eingetragen hätten und deshalb allenfalls nicht mehr auffindbar seien. Im Ergebnis sah die Bundesrätin keinen datenschutzrechtlichen Handlungsbedarf und zog nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung, einen Widerspruch gegen die Auffindbarkeit im Teilnehmerverzeichnis («Opt-out») vorzusehen.
Bundesrätin Sommaruga ignoriert, dass das Teilnehmerverzeichnis faktisch öffentlich ist: Alle ERV-Nutzer können darauf zugreifen und der ERV ist beliebigen Nutzern zugänglich. Ein faktisch öffentliches «Telefonbuch» ist öffentlich, auch wenn man es als «nicht öffentlich» bezeichnet. Und die Bundesrätin kapituliert vor einigen Gerichten, deren Mitarbeiter offensichtlich nicht in der Lage sind, zwischen gerichtlicher und privater Tätigkeit zu unterscheiden und anscheinend auch nicht dazu verpflichtet werden können, sich bei Zustellplattformen als Behörden-Nutzer zu registrieren.
Im Gegensatz zu Bundesrätin Sommaruga sah der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) durchaus datenschutzrechtlichen Handlungsbedarf (PDF):
«[…] Die Sichtbarmachung der Teilnehmerdaten im Verzeichnis stellt eine Bekanntgabe resp. eine Bearbeitung von Personendaten im Sinne des DSG dar (vgl. Art. 3 lit. e und f DSG). Die bis heute gewährte Wahlmöglichkeit der Benutzer, ob sie für andere sichtbar sein wollen oder nicht stellt ein Widerspruchsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. b DSG dar. In der Version 2 des Kriterienkatalogs für Zustellplattformen wird diese Wahlmöglichkeit […] jedoch nicht mehr gewährt, ohne dass dafür Gründe aufgeführt werden. Auch sind uns keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich, welche gegen die weitere Gewährung dieser Wahlmöglichkeit sprechen würden. Im Sinne von Art. 12 Abs. 2 lit. b DSG soll deshalb […] Version 2 dahingehend angepasst werden, dass den Benutzern weiterhin die Wahlmöglichkeit gewährt wird, ob sie für andere im Verzeichnis sichtbar sein wollen oder nicht (ausgenommen die Behörden).»
«Telefonbuchzwang» im Elektronischen Rechtsverkehr
Der «Telefonbuchzwang» wird im Kriterienkatalog «Zustellplattformen» geregelt. In Version 1.0 vom 17. November 2010 (PDF) waren gemäss Ziff. 3.4 Wildcard-Suchen verboten und private Nutzer konnten selbst entscheiden, ob sie im «Telefonbuch» auffindbar sein wollten:
«Im Hinblick auf die plattformübergreifende Vermittlung von elektronischen Nachrichten wird ein übergreifendes Teilnehmerverzeichnis aufgebaut und betrieben. Dieses Verzeichnis ist nicht öffentlich, d.h. es dürfen nur registrierte Behörden und identifizierte Benutzer über ihre Plattform auf das Verzeichnis zugreifen. […] Die Verwendung von Wildcards ist dabei nicht zulässig.
Zudem kann für jeden Teilnehmer ein Attribut vorgesehen sein, das es erlaubt, zu entscheiden, ob es sich bei diesem Teilnehmer um eine registrierte Behörde oder einen identifizierten Benutzer handelt. Im zweiten Fall kann ein zusätzliches Sichtbarkeitsattribut vorgesehen sein, das es dem Benutzer erlaubt, festzulegen, ob er für andere Benutzer sichtbar sein will (für Behörden sind Verzeichniseinträge allerdings immer sichtbar).»
In Version 2.0 des Kriterienkatalogs «Zustellplattformen» vom 16. September 2014 (PDF) mit Inkrafttreten per 1. November 2014 fehlt die Möglichkeit, auf die Auffindbarkeit beziehungsweise Sichtbarkeit im Teilnehmerverzeichnis zu verzichten und Wildcard-Suchen werden ausdrücklich vorgeschrieben (Ziff. 7 Abs. 1 u. 8.3 Abs. 2):
«Für die Vermittlung von elektronischen Nachrichten zwischen Zustellplattformen führt das BJ ein übergeordnetes, nicht öffentliches Teilnehmerverzeichnis. Auf das Verzeichnis darf nur über anerkannte Plattformen zugegriffen werden. Die Verwendung von Einträgen für Werbe- oder andere Marketingzwecke ist nicht zulässig. […] Für die Endbenutzerin und den Endbenutzer sind Wildcard-Suchen auf dem übergeordneten Verzeichnis erlaubt.»
Rückblick: Telefonbuchzwang in der Schweiz
Der Telefonbuchzwang in der Schweiz wurde erst mit dem revidierten Fernmeldegesetz (FMG) von 1997 aufgehoben, dessen Art. 21 Abs. 3 ursprünglich wie folgt gelautet hatte (PDF):
«Den Kundinnen und Kunden steht es frei, sich in Verzeichnisse eintragen zu lassen. Sie können die einzutragenden Daten selber bestimmen.»
Heute findet sich die entsprechende Bestimmung in Art. 12d Abs. 1 FMG:
«Die Verzeichnisse der Kundinnen und Kunden von Fernmeldediensten können veröffentlicht werden. Den Kundinnen und Kunden steht es frei, sich in diese Verzeichnisse eintragen zu lassen.»
1996 noch hatte der Telefonbuchzwang Anlass zu Diskussionen im Parlament gegeben, nachdem der Ständerat bei der Revision des Fernmeldegesetzes von 1991 den Telefonbuchzwang gegen den Willen des Nationalrates durchgesetzt hatte (Art. 13 FMG 1991, PDF).
Keinen Erfolg hatten rechtliche Schritte gegen den Telefonbuchzwang (PDF):
«Das Bundesgericht hat einen St.Galler Anwalt abblitzen lassen, der die Telefonnummer seiner Wohnung im Telefonbuch nicht drucken lassen wollte: Es sei nicht rechtswidrig, wenn die PTT verlangten, jeder Telefon-Anschluss müsse im Telefonbuch verzeichnet sein.»
Immerhin verriet Markus Felber, damals wie heute als Bundesgerichtskorrespondent tätig, einen Trick, wie zumindest eine Telefonnummer geheim gehalten werden konnte, denn der Telefonbuchzwang besteht nur pro Kunde und nicht für jene einzelne Telefonnummer:
«Wie wenig sinnvoll im übrigen [sic!] das Urteil des Bundesgerichts ist, hat ein Bundesgerichtskorrespondent aufgezeigt: Markus Felber […] macht in seinem Bericht darauf aufmerksam, man müsse in einem solchen einem solchen Fall einfach zwei Telefonanschlüsse für die gleiche Adresse bestellen, dann könne man beim einen, der im Telefonbuch steht, einfach den Stecker ausziehen, und der andere bleibe geheim. […] Wer aber nicht will, dass seine Privatadresse bekannt wird, dem nützt diese Möglichkeit nichts.»