Urteil: Twitter-Nutzer = Relative Person der Zeitgeschichte

Bild: Lego-Figur, die einen Computer nutzt

Wer unter seinem eigenen Namen öffentlichkeitswirksam twittert und bloggt, kann zur relativen Person der Zeitgeschichte werden – zu diesem Ergebnis gelangte das Obergericht des Kantons Zürich im Zusammenhang mit dem «Kristallnacht-Twitterer».

Eine relative Person der Zeitgeschichte muss sich im Vergleich zu Normalbürgern eher Eingriffe in ihre Persönlichkeitsrechte gefallen lassen. Vorliegend ging es um die Nennung von Name und Alter in der Medienberichterstattung über ein noch nicht rechtskräftiges Strafurteil.

Das Obergericht begründete seine entsprechenden Beschlüsse UH140149-O und UH140152-O vom 31. März 2015 identisch unter anderem wie folgt (noch nicht rechtskräftig, im Original ohne Weblinks):

«[…] Mit seinen Publikationen auf Twitter äusserte er sich gegenüber einer grösseren Anzahl Personen auf eine provokative Art und Weise. Er setzte sich zudem aktiv dem Verdacht der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis StGB aus. Verfahren, welche diese Strafbestimmung zum Gegenstand haben, stossen häufig auf ein grosses Interesse in den Medien und in der Öffentlichkeit. Dieses wurde vorliegend dadurch vergrössert, dass der Beschwerdegegner 1 die beiden Begriffe ‹Kristallnacht› und ‹Moschee› in Verbindung brachte. Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdegegner 1 […] ‹als politisch interessierter Mensch öffentlich (via seinen Internet-Blog) zu aktuellen Themen äussert› […] und dies unter Nennung seines Namens. Nach Einleitung der Strafuntersuchung konnte sich der Beschwerdegegner 1 sodann unter anderem in einem umfangreichen Artikel in den Printmedien präsentieren […].»

Hintergrund: Strafprozess gegen «Kristallnacht-Twitterer»

Hintergrund für die obergerichtlichen Beschlüsse ist die öffentliche Verhandlung in erster Instanz am Bezirksgericht Uster, wo den anwesenden Medienvertretern gerichtlich verboten worden war, Angaben zum beschuldigten «Kristallnacht-Twitterer» zu veröffentlichen. Auf Beschwerden von Medienvertretern hin wurde dieses Verbot nun in Bezug auf Name und Alter aufgehoben. Hingegen bleibt die Veröffentlichung von Bildern («[…] Aussehen des beschuldigten Textverfassers völlig irrelevant. […]») sowie von Angaben zu Arbeitgeber und Wohnort wie auch zum Weblog weiterhin verboten.

In Bezug auf den erwähnten «umfangreichen Artikel in den Printmedien» überzeugen die Beschlüsse nicht. Bei diesem Artikel handelte es sich wohl um das Ergebnis eines Vergleichs mit der betreffenden Publikation, die den «Kristallnacht-Twitterer» vorgängig mutmasslich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt hatte. Solche Artikel sind im schweizerischen Medienrecht gängig um rechtliche Auseinandersetzungen über mutmassliche Persönlichkeitsverletzungen beizulegen.

In seinem Weblog kommentiert kündigt der «Kristallnacht-Twitterer» an, voraussichtlich Beschwerde beim Bundesgericht zu erheben und kommentiert die Beschlüsse wie folgt:

Der Zeitpunkt des Urteils ist kein Zufall. Nach mehreren Monaten Untätigkeit von Seiten des Zürcher Obergerichts kommt es passend zur Gerichtsverhandlung im Verfahren gegen mich, welches Ende April stattfindet. Die Richter wollen damit wohl den Weg für die Medien frei machen, mich dann wieder namentlich diffamieren und in den Dreck ziehen zu können. Darum geht es ihnen wohl. Sie wollen wohl an mir ein politisches Exempel statuieren und dafür sorgen, dass es alle mitbekommen. Ich […] neige […] dazu, das Urteil weiterzuziehen. Denn solange es nicht rechtskräftig ist, dürfen mich die Journalisten nicht wieder namentlich in den Dreck ziehen. So kann ich den linken Richtern und Journalisten einem Strich durch die Rechnung machen.»

Die oben erwähnten Beschlüsse wurden – so weit ersichtlich – noch nicht veröffentlicht, anscheinend weil sie erst noch anonymisiert werden müssen. Die erwähnte Berufungsverhandlung findet am 27. April 2015 am Obergericht des Kantons Zürich statt und ist voraussichtlich öffentlich (Geschäftsnummer SB140436-O). Die erstinstanzlichen Entscheide in dieser Angelegenheit wurden durch das Bezirksgericht Uster bislang leider nicht veröffentlicht.

Bild: Flickr/Kenny Louie, CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

2 Kommentare

  1. Ich halte das Urteil der Zürcher Oberrichter für absurd. Denn nach Definition der Richter würde es auf Facebook und Twitter nur so von Personen der Zeitgeschichte wimmeln. Ob ein Tweet oder ein Facebook-Eintrag öffentlichkeitswirksam wird, hängt von den Medien ab. Tweets und Facebook-Einträge werden einer breiten Öffentlichkeit in der Regel erst nach Publikation in den klassischen Medien bekannt. In meinem Fall wurde monatelang auf allen Kanälen darüber berichtet und ich konnte diesem Treiben nur noch wehrlos zuschauen. Der Schweizer Rechtsstaat bietet nur unzureichend bis gar keinen Schutz gegen solche schwere Persönlichkeitsverletzungen. Ich spreche hier aus Erfahrung.

    Der im Urteil erwähnte «umfangreiche Artikel» war ein Interview im Tagesanzeiger. Nachdem ich über den Zeitraum von mehreren Monaten von den Medien in den Dreck gezogen wurde, erhielt ich dort erstmals unter fairen Bedingungen die Möglichkeit zur Sache Stellung zu nehmen. Wenn ein Shitstorm in den Medien tobt, hat man als Betroffener keine Möglichkeit mehr zu intervenieren und sollte sich auch nicht mehr in den Medien äussern. Erst, wenn sich der Shitstorm gelegt hat und bei den Medienleuten wieder Vernunft einkehrt, kann man es als Betroffener wagen wieder mit den Medien zu sprechen. Leider ist das, was mich angeht, bei vielen Medien bis heute nicht der Fall. Wenn die Richter neben dem Twitterkonto und dem Blog das Interview dazu verwenden, mich zur Person der Zeitgeschichte zu erklären, dann verwechseln sie Ursache und Wirkung.

    Wären meine Persönlichkeitsrechte nicht auf gravierende Art und Weise in Medien verletzt worden, hätte es wohl auch das Interview im Tagesanzeiger nicht gegeben. Aber das haben die Oberrichter wohl nicht verstanden.

    Übrigens, das Gericht hält in seinem Urteil fest, dass nicht jedes beliebige Amt seinen Inhaber zu einer absoluten Person der Zeitgeschichte macht. Kreisschulpfleger sind nach Ansicht der Richter keine absoluten Personen der Zeitgeschichte.

    Dass die NZZ-Journalistin geklagt hatte, erstaunte mich übrigens. Denn noch im Jahr 2013 anonymisierte die NZZ auf meine Anfrage hin, alle ihre Artikel. Insofern stellte sich vor Gericht auch die Frage nach einem Interessen der Beschwerdeführerinnen.

    Die Oberrichter haben mir mit dem Urteil eindeutig geschadet. Denn obwohl kein aktueller Anlass mehr dazu bestand, namentlich über mich zu berichten, brach die NZZ ihr Versprechen, welches sie mir 2 Jahre zuvor gegeben hatte und nannte mich wieder namentlich. Dies im Artikel über das Urteil, welches im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren vom Mai 2014 steht.

    Die Ironie der Geschichte ist, dass die meisten Leute, welche mir auf der Stasse begegnen nicht wissen, wer ich bin. Sie kennen mich schlicht nicht.

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