Adolf Hitler-Retweet vor Gericht: «Dölf» als Ehrverletzung?

Foto: Wort TWEET im Scrabble-Spiel

Wer einen mutmasslich ehrverletzenden Tweet als Retweet weiterverbreitet, kann vor Gericht landen, wie ein Beispiel aus Zürich zeigt:

Ein Twitterer unter dem Pseudonym @KueddeR hatte in einem Tweet den Namen eines Politikers der Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit dem Zusatz «Dölf» versehen. Dölf ist in der Schweiz ein Kosename für Adolf.

Ein Journalist der Wochenzeitung WOZ hatte diesen Tweet mittels Retweet weiterverbreitet. Gemäss Anklageschrift – so die NZZ am Sonntag – sei mit dem Zusatz «Dölf» suggeriert worden, der erwähnte Politiker sympathisiere mit Adolf Hitler und dessen nationalsozialistischem Gedankengut.

Strafrechtlich gesehen ist nicht überraschend, dass auch ein Retweet zu einem Strafverfahren führen kann:

«Dem auf Internetfragen spezialisierten Rechtsanwalt Martin Steiger ist nicht bekannt, dass in der Schweiz schon einmal ein Twitterer wegen eines blossen Retweets vor dem Richter gelandet wäre. Allerdings sei dies rechtlich problemlos möglich. Auch gebräuchliche Hinweise wie ‹retweets are not endorsements› schützten Twitterer nicht.»

Grund dafür ist, dass der Straftatbestand der üblen Nachrede gemäss Art. 173 StGB ausdrücklich auch die Weiterverbreitung umfasst. Die Widerrechtlichkeit kann auch bei Verwendung der Frage- oder Möglichkeitsform sowie bei Zitaten gegeben sein, ein «Endorsement» ist nicht notwendig. Für eine Verurteilung müssen allerdings alle Straftatbestandsmerkmale erfüllt sein. Journalisten können sich zu ihrer Verteidigung ausserdem auf die Medienfreiheit berufen, was aber nicht immer hilft.

Auch gegen @KueddeR, der den ursprünglichen Tweet veröffentlicht hatte, ist ein Strafverfahren hängig. Für einen etwaigen Strafbefehl oder eine etwaige Anklage vor Gericht müsste allerdings erst dessen Identität rechtshilfeweise bei Twitter ermittelt werden. Bei rassistischen Äusserungen auf Facebook hatte das Bundesgericht der Zürcher Cybercrime-Staatsanwaltschaft zuletzt den direkten Zugang zu solchen Informationen versperrt und Twitter selbst scheint vorliegend die Auskunft verweigert zu haben.

Unklar ist, ob der ursprüngliche Tweet noch abrufbar ist. Mindestens zwei «Dölf»-Tweets von @KueddeR sind bei Twitter weiterhin auffindbar.


Nachtrag I: Adolf Hitler-Retweet vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat hatte ursprünglich eine Nichtanhandnahme­verfügung erlassen, wogegen der erwähnte Politiker mit Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich gelangte. Das Obergericht hiess die Beschwerde gut (Beschluss UE140126-O vom 26. Januar 2015). Am 26. Januar 2016 wird das Bezirksgericht Zürich über die entsprechende Anklage verhandeln (Geschäftsnummer GG150250-L).


Nachtrag II: Persönlichkeitsverletzend, aber nicht strafbar

Das Bezirksgericht Zürich sprach den erwähnten Journalisten vom strafrechtlichen Vorwurf der Ehrverletzung frei, stellte zivilrechtlich aber eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung fest. Sofern dieses salomonische Urteil rechtskräftig wird, muss der Journalist deshalb als Genugtuung für den betroffenen Politiker folgenden Tweet veröffentlichen:

«Bezirksgericht Zürich: Retweet von ‹Hermann ‹Dölf› Lei› nicht strafbar, aber persönlichkeitsverletzend. Urteil Nr. GG150250-L.»

In strafrechtlicher Hinsicht begründete das Gericht sein Urteil – für beide Parteien überraschend – in erster Linie mit der strafrechtlichen Privilegierung für Medien gemäss Art. 28 Abs. 1 StGB:

«Wird eine strafbare Handlung durch Veröffentlichung in einem Medium begangen und erschöpft sie sich in dieser Veröffentlichung, so ist, unter Vorbehalt der nachfolgenden Bestimmungen, der Autor allein strafbar.»

Twitter sei ein solches Medium und ein Retweet sei eine Twitter-typische Verbreitungskette. Autor war nicht der erwähnte Journalist, sondern der anonyme @KueddeR, so dass sich die Straftat in der Tweet-Veröffentlichung erschöpft habe. In diesem Sinn sei, so das Gericht auf Nachfrage von anwesenden Journalisten, jeder (!) Retweet straffrei.

Das Gericht äusserte aber auch Bedenken, dass bei einer Verurteilung eine «Kommerzialisierung» von rechtswidrigen Tweets, die mittels Retweet weiterverbreitet wurden, einsetzen könnte und die Behörden dadurch unnötig belastet würden. Und eigentlich, so dass Gericht, hätte gar nie ein Strafverfahren eröffnet werden dürfen, wobei diese Äusserung allerdings nicht ohne weiteres mit dem obergerichtlichen Beschluss gegen die Nichtanhandnahmeverfügung in Übereinstimmung zu bringen ist.


Nachtrag III: Veröffentlichung von Tweet als Genugtuung

Tweet: «Bezirksgericht Zürich: Retweet von ‹Hermann ‹Dölf› Lei› nicht strafbar, aber persönlichkeitsverletzend. Urteil Nr. GG150250-L.»

Der erwähnte Journalist hat den Genugtuungs-Tweet am späten Freitagabend, 5. Februar 2016 veröffentlicht.


Nachtrag IV: Schriftliche Urteilsbegründung

Im April 2016 das Bezirksgericht Zürich die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht.


Nachtrag IV: Urteil aufgehoben

Da sich die Parteien im Oktober 2016 aussergerichtlich verständigt hatten und der entsprechende Strafantrag in der Folge zurückgezogen wurde, hob das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 17. Oktober 2016 (SB160135, rechtskräftig) das erstinstanzliche Urteil auf.

Bild: Flickr / Jonathan Rolande, «Tweet Scrabble», CC BY 2.0 (generisch)-Lizenz.

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