Flugsicherung Skyguide verletzte Arbeitsrecht in Hunderten von Fällen

Foto: Schweizerisches Bundesgericht

Die staatliche Flugsicherung Skyguide verletzte während Jahren das schweizerische Arbeitsrecht. Die Ferienlöhne von mehreren hundert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Stundenlohn wurden rechtswidrig abgerechnet. Die meisten Betroffenen wurden von Skyguide bislang nicht oder nur teilweise entschädigt.

In der Schweiz dürfen Ferien grundsätzlich nicht durch Geld abgegolten werden, sondern müssen zwingend in natura bezogen werden (Art. 329d Abs. 2 i.V.m. Art. 361 Abs. 1 OR). Grund für dieses Abgeltungsverbot ist der Erholungszweck der Ferien, damit sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich erholen können.

In langjähriger Rechtsprechung hat das Schweizerische Bundesgericht folgende Ausnahme zugelassen:

Bei unregelmässigen Beschäftigungen können die Ferien mit einer Ferienentschädigung, die zusätzlich zum Lohn bezahlt wird, abgegolten werden. Die Ausnahme besteht unter der Voraussetzung, dass der Ferienlohnanteil sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf jeder einzelnen Lohnabrechnung ausdrücklich ausgewiesen wird.

Arbeitnehmer sollen aufgrund der Lohnabrechnungen erkennen können, in welcher Höhe zusätzlich zum Lohn eine Ferienentschädigung entrichtet wird, damit dieses Geld während den Ferien auch tatsächlich zur Verfügung steht. Arbeitgeber, welche diese Voraussetzung missachten, verletzen schweizerisches Arbeitsrecht und riskieren eine Ferienlohn-Nachzahlung.

Skyguide: Rechtswidrige Ferien­lohn-Ab­rech­nungen

Skyguide ist das Unternehmen der Schweizerischen Eidgenossenschaft für militärische und zivile Flugsicherung. Der Bundesbetrieb mit hoheitlichen Aufgaben unterliess es während Jahren sowie gegenüber mehreren hundert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Ferienlohnanteil in den einzelnen Lohnabrechnungen auszuweisen. Die betroffenen Arbeitnehmer waren mehrheitlich im Skyguide Training Center (STC), der Skyguide-Ausbildungsabteilung in Genf und Zürich, im Stundenlohn tätig.

Skyguide unterliess es, arbeitsrechtliches Grundwissen umzusetzen, wie man es als Laie beispielsweise einem «Beobachter»-Ratgeber entnehmen kann – trotz eigenen Personal- und Rechtsabteilungen, wo dieses Wissen hätte vorhanden sein müssen. Skyguide setzte die Verletzung von schweizerischem Arbeitsrecht selbst dann noch einige Jahre fort, als 2009 ein Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten ausdrücklich auf die rechtswidrigen Lohnabrechnungen hingewiesen hatte.

Arbeitsgericht, Obergericht und Bundesgericht: Urteile gegen Skyguide

Auf Klage eines betroffenen Arbeitnehmers hin wurde Skyguide vom Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil LA140029 vom 16. Dezember 2014 dazu verpflichtet, Ferienlohn in Höhe von über 16’000 Franken brutto zuzüglich Verzugszins nachzuzahlen. Skyguide gelangte dagegen mit Beschwerde an das Bundesgericht. Die Beschwerde wurde mit Urteil 4A_72/2015 vom 11. Mai 2015 (PDF) vollumfänglich abgewiesen.

Die Vorinstanz, das Arbeitsgericht Uster, hatte mangels Vergleichsbereitschaft von Skyguide bereits zu Gunsten des Arbeitnehmers geurteilt (Urteil AH130034 vom 22. Juli 2014). Auch anlässlich der vorgängigen Schlichtungsverhandlung beim Friedensrichter und danach am Zürcher Obergericht hatte Skyguide keine ernsthafte Vergleichsbereitschaft erkennen lassen.

Im Herbst 2014 war noch der Berner Anwaltskollege Guy Emmenegger als Verwaltungsratspräsident von Skyguide tätig. Sein Mandat wurde 2014 mit insgesamt CHF 137’358 entschädigt. Als oberster Verantwortlicher zeigte er sich an einem Vergleich nicht interessiert und verwies knapp auf die mandatierte Grosskanzlei Schellenberg Wittmer. Auch die anderen Verwaltungsratsmitglieder, darunter Personalvertreter Reto Hunger, sowie Geschäftsführer Daniel Weder zeigten zu keinem Zeitpunkt sichtbare Vergleichsbereitschaft.

Die Anwaltskollegen von Schellenberg Wittmer waren anscheinend mandatiert, jeglichen anwaltlichen Aufwand zu betreiben und sämtliche Rechtsmittel auszuschöpfen. Angesichts der klaren Rechtslage zu Ungunsten von Skyguide versuchten die Anwaltskollegen insbesondere mit Rechtsmissbrauch zu argumentieren und zielten direkt auf die Person des klagenden Arbeitnehmers – vergeblich, wie das Bundesgerichtsurteil zeigte. Das aufwendige Vorgehen und die umfangreichen Rechtsschriften – teilweise unaufgefordert – lassen Anwaltskosten von über 100’000 Franken vermuten.

Das Vorgehen der Rechtsanwälte von Skyguide ist allenfalls damit zu erklären, dass für arbeitsrechtliche Forderungen eine Verjährungsfrist von fünf Jahren besteht (Art. 128 OR). Skyguide war deshalb vermutlich daran interessiert, die Angelegenheit entgegen der eindeutigen Rechtslage so lange wie möglich hinauszuzögern:

Im Frühjahr 2013 hatte Skyguide die Lohnabrechnungen endlich angepasst und die Ferienentschädigungen wurden rechtskonform ausgewiesen. Etwaige Rechtsansprüche blieben deshalb auf fünf Jahre vor Frühjahr 2013 beschränkt und mit jedem Tag an Verzögerung verringerten sich die einklagbaren Ansprüche von anderen betroffenen Arbeitnehmern …

Skyguide: Geschäftsleitung und Verwaltungsrat ohne Verantwortung

Letztlich gelang es Skyguide, weitere Ferienlohn-Nachzahlungen trotz dem klaren Bundesgerichtsurteil weitgehend zu vermeiden:

Einerseits verzichtete Skyguide darauf, alle Betroffenen über die jahrelangen Rechtsverletzungen zu informieren und ihnen eine Wiedergutmachung anzubieten. Jene betroffenen Arbeitnehmer, die Kenntnis von den Rechtsverletzungen hatten und sich wagten, ihre arbeitsrechtlichen Ansprüche anzumelden, wurden – soweit ersichtlich – andererseits erst entschädigt, nachdem sie sich anwaltlich vertreten liessen oder trotz Einzelgesprächen mit Skyguide, teilweise mit Geschäftsführer Daniel Weder, ausdrücklich an ihren Ansprüchen festhielten. Auch solche Betroffene wurden aufgrund der Verjährung nicht vollumfänglich entschädigt. Skyguide behauptete ausserdem gegenüber einzelnen Betroffenen, die arbeitsrechtlichen Ansprüche seien gar nicht berechtigt oder man könne sich Entschädigungen aus finanziellen Gründen gar nicht leisten.

Der neue Skyguide-Verwaltungsratspräsident Walter T. Vogel, der für die jahrelangen Rechtsverletzungen nicht verantwortlich war, verweigerte sich der Forderung nach einer vollumfänglichen Entschädigung aller betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Vogel ging auch auf die Forderung nach Sanktionen gegen die operativen Verantwortlichen bei Skyguide – insbesondere Geschäftsführer Daniel Weder und Chefjuristin Simone Rossier – nicht ein.

Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sowie die Personal- und Rechtsabteilungen von Skyguide entzogen sich im Ergebnis weitgehend ihrer Verantwortung. Der Bund, der Skyguide eigentlich beaufsichtigen müsste, hat – soweit ersichtlich – bislang in keiner Art und Weise auf die jahrelangen Rechtsverletzungen reagiert.

Der Verwaltungsrat nahm meines Erachtens seine unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben in dieser Angelegenheit nicht wahr (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR). Geschäftsführer Daniel Weder ist immer noch für Skyguide tätig und wurde 2014 mit CHF 704’907 (davon CHF 174’795 an die berufliche Vorsorge) entlöhnt. Personalchef Hans Bracher wurde inzwischen in die Geschäftsleitung befördert. Juristin Simone Rossier leitet weiterhin die Rechtsabteilung.

Fritz Messerli, der das Skyguide Training Center von 2007 bis 2014 geleitet hatte, arbeitet mittlerweile als Chef «Flight Operations» bei der Fluggesellschaft Edelweiss Air und leistet Militärdienst als Oberst im Generalstab. Der frühere Skyguide-Personalchef François Mouchet und Vorgänger von Bracher ist seit Ende 2013 bei der Krankenkassengruppe Assura in der gleichen Funktion tätig. Walter T. Vogel ist seit Sommer 2015 hauptberuflich als Verwaltungsratspräsident bei der Aebi Schmidt Holding (AHS) Group von Alt-Nationalrat Peter Spuhler tätig.

Nachtrag: Weitere verantwortliche Personen wurden inzwischen befördert, so der bisherige operative Leiter Alex Bristol zum neuen Geschäftsführer von Skyguide (per 1. Juli 2017) und Verwaltungsratsmitglied Bernhard Müller zum neuen Kommandanten der Schweizer Luftwaffe (per 1. Januar 2018).

Schweiz: Schwierige Rechtslage für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Skyguide nutzte aus, dass sich auch innerhalb der Verjährungsfrist die meisten betroffenen Arbeitnehmer nicht leisten konnten oder wollten, ihre Ansprüche gegenüber Skyguide geltend zu machen. Die meisten Betroffenen verfügten über keine eigene Rechtsschutzversicherung und erhielten auch keine finanzielle oder rechtliche Unterstützung von der zuständigen Gewerkschaft Syndicom.

Generell besteht in der Schweiz das Problem, dass Arbeitnehmer, die arbeitsrechtliche Ansprüche anmelden, mit erheblichen beruflichen Nachteilen bis hin zur Kündigung rechnen müssen, sofern sie ein rechtliches Vorgehen überhaupt finanzieren und riskieren können. Ausserdem profitierte Skyguide davon, dass das schweizerische Recht keine Sammelklagen kennt, so dass ein Arbeitnehmer in einer solchen Situation auf sich allein gestellt ist.

Fazit: Können die Skyguide-Verantwortlichen die Flugsicherheit gewährleisten?

Bei Skyguide hätten die Verantwortlichen im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung sowie die Personal- und Rechtsverantwortlichen wissen müssen, dass Ferien gemäss schweizerischem Arbeitsrecht grundsätzlich nicht durch Geld abgegolten werden dürfen. Sie hätten wissen müssen, dass die bundesgerichtliche Ausnahme unter anderem zwingend voraussetzt, dass der Ferienlohnanteil in jeder einzelnen Lohnabrechnung ausdrücklich ausgewiesen wird. Skyguide verletzte trotzdem während Jahren und gegenüber mehreren hundert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das schweizerische Arbeitsrecht – selbst nach entsprechenden Hinweisen ab 2009.

Das Verhalten von Skyguide – darunter auch die Weigerung, die Angelegenheit aufzuarbeiten und sämtliche Betroffenen vollumfänglich zu entschädigen – ist enttäuschend und verwerflich. Die Verantwortlichen auf allen Ebenen von Skyguide dürfen sich darin bestärkt sehen, Rechtsverletzungen gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszusitzen.

Bedenklich erscheint dieses Verhalten vor dem Hintergrund, dass Skyguide ein Bundesbetrieb mit hoheitlichen Aufgaben im Bereich der Flugsicherung ist. Kann ein Unternehmen mit solchen Verantwortlichen die Flugsicherheit über der Schweiz und ihren Nachbarländern gewährleisten?

Die Konsumententenzeitschrift K-Tipp fasste die Angelegenheit unter dem Titel «Arbeit im Stundenlohn: Skyguide muss Ferien nachzahlen» zusammen. Für Skyguide verzichtete Kommunikationschef Roger Gabarell ausdrücklich auf eine Stellungnahme zum vorliegenden Beitrag.

Offenlegung: Rechtsanwalt Martin Steiger war von 2008 bis 2013 als Arbeitnehmer für die Flugsicherung Skyguide tätig und erwirkte – vertreten durch Rechtsanwältin Myriam Jäger – das erwähnte Bundesgerichtsurteil. Im Bereich der Flugsicherung war er Mitbegründer einer Gewerkschaft und setzte sich später bei der Gewerkschaft Syndicom für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein.

Bild: Wikimedia Commons / Norbert Aepli, «Bundesgericht (Schweiz) in Lausanne», CC BY 3.0 (nicht portiert)-Lizenz.

Ein Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr RA Steiger
    Besten Dank für diesen ausführlichen Artikel, der ein schlechtes Licht auf Skyguide wirft, bundesgerichtlich bestätigt. Dass es sich dabei um einen Bundesbetrieb handelt, macht die Sache umso schlimmer.
    Und dass sich die Syndicom – ich bin ehemaliges Mitglied – hier nicht engagieren wollte, ist der zweite Skandal.
    Skyguide ist ja wiederholt negativ in den Medien präsent, ich erinnere an den Flugzeugzusammenstoss von Überlingen mit beinahe 100 Toten und das Verhalten von Skyguide damals.

    Beste Grüsse und herzlichen Dank, Alois Amrein

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