Urheberrecht: USA setzen Schweiz auf «Watch List»

Titelseite: Amerikanischer «Special 301 Report» 2016

In der Schweiz soll das Urheberrechtsgesetz (URG) revidiert werden. Die Vernehmlassung ging Ende März 2016 zu Ende.

Die URG-Revision wird als «Modernisierung» bezeichnet. Sie würde aber vor allem eine verschärfte Repression mit Netzsperren, Selbstjustiz und Überwachung gemäss Forderungen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie bringen. Vor einigen Jahren noch hatte der Schweizerische Bundesrat gar keinen Handlungsbedarf gesehen.

Der amerikanischen Unterhaltungsindustrie geht die laufende URG-Revision aber weder schnell noch weit genug, weshalb insbesondere die einflussreiche Lobby-Organisation International Intellectual Property Alliance (IIPA) die Schweiz seit Jahren kritisiert. Im Zentrum der amerikanischen Kritik an der Schweiz stehen die «Piraterie» im Internet und das so genannte Logistep-Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE 136 II 508):

In diesem Urteil hatte das höchste Gericht in der Schweiz den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) darin bestätigt, dass die damalige Internet-Überwachung für urheberrechtliche Massenabmahnungen gegen Filesharer in der Schweiz das Datenschutzrecht verletzte. Mit Musterstrafverfahren gegen diese Rechtsprechung hatte die amerikanische Unterhaltungsindustrie in der Schweiz bislang keinen nennenswerten Erfolg.

Schweiz auf amerikanischer «Watch List»

«[…] Placing Switzerland on the Watch List at this stage would thus be completely unjustified, inappropriate and potentially counterproductive. […].»

Institut für Geistiges Eigentum (IGE)

In diesem Jahr ist der Handelsvertreter der Vereinigten Staaten von Amerika (United States Trade Representative, USTR) nun erstmals der Forderung der IIPA gefolgt, die Schweiz auf seine «Watch List» zu setzen. Auf der diesjährigen «Watch List» befindet sich die Schweiz in guter Gesellschaft unter anderem mit Brasilien, Kanada, Costa Rica, Griechenland, Mexiko, der Türkei und Vietnam.

Die «Watch List» ist im jährlichen «Special 301 Report» enthalten. Der Bericht dient als politisches Druckmittel gegenüber Staaten wie beispielsweise der Schweiz, deren Urheberrecht und sonstiges Immaterialgüterrecht noch nicht vollständig amerikanischen Wünschen entspricht. Mit Blick auf die laufende URG-Revision kann man den diesjährigen «Special 301 Report» als verspätete Vernehmlassungsantwort aus den USA verstehen.

In einer Stellungnahme vom 18. Februar 2016 hatte das IGE die Forderung, die Schweiz auf die «Watch List» zu setzen, deutlich zurückgewiesen:

«[…] Placing Switzerland on the Watch List at this stage would thus be completely unjustified, inappropriate and potentially counterproductive. […]»

Rechtlich gesehen haben der «Special 301 Report» und die «Watch List» keine direkten Auswirkungen. Politisch hingegen aber wird der amerikanische Druck mittels «Special 301 Report», am weiterhin bestehenden Runden Tisch hinter verschlossenen Türen und über Lobby-Organisationen seine Wirkung nicht verfehlen.

Amerikanische Kritik im «Special 301 Report»

«[…] Switzerland has become an increasingly popular host country for infringing websites […].»

Amerikanischer Handelsvertreter

Mit der laufenden URG-Revision soll unter anderem die Internet-Überwachung für urheberrechtliche Massenabmahnungen gegen Filesharer ausdrücklich wieder ermöglicht werden, was die USA begrüssen, aber nicht als ausreichend wahrnehmen (mit Hervorhebung und Verlinkung):

«[…] [T]he decision to place Switzerland on the Watch List this year is premised on U.S. concerns regarding specific difficulties in Switzerland’s system of online copyright protection and enforcement. Six years have elapsed since the issuance of a decision by the Swiss Federal Supreme Court, which has been implemented to essentially deprive copyright holders in Switzerland of the means to enforce their rights against online infringers; enforcement is a critical element of providing meaningful IPR protection. Since 2010, right holders report that Switzerland has become an increasingly popular host country for infringing websites, as indicated in the 2015 Notorious Markets List. The United States welcomes the steps taken by Switzerland in response to this serious concern, including the creation of stakeholder roundtables to develop recommendations to address these concerns and the introduction of draft copyright legislation. However, more remains to be done and the United States continues to encourage the Swiss government to move forward expeditiously with concrete and effective measures that address copyright piracy in an appropriate and effective manner, including through legislation, administrative action, consumer awareness, public education, and voluntary stakeholder initiatives. The United States looks forward to cooperating with Switzerland to address these and other intellectual property-related challenges.»

Ausserdem wird kritisiert, dass der Markenschutz im Zusammenhang mit der landesspezifischen schweizerischen TopLevel-Domain (ccTLD) .ch ungenügend sei.

Der genaue Grund für diese Kritik ergibt sich nicht aus dem «Special 301 Report». Mit gerichtlichen Möglichkeiten sowie dem Schlichtungsverfahren gemäss Uniform Domain-Name Dispute-Resolution Policy (UDRP) müssten sich markenrechtliche Ansprüche eigentliche auch bei .ch-Domainnamen durchsetzen lassen.

Urheberrecht à la USA ohne Rechtsstaat?

Letztlich ist den amerikanischen Forderungen gemeinsam, dass im Urheberrecht die üblichen rechtsstaatlichen Mittel und Wege ausgehebelt werden sollen, wie es teilweise auch die laufende URG-Revision vorsieht.

Im Entwurf für das revidierte URG ist beispielsweise vorgesehen, dass Netzsperren nicht etwa durch ein Gericht und nur bei erstellten Urheberrechtsverletzungen verfügt werden können, sondern das IGE würde als «Zensurbehörde» wirken und die Voraussetzungen für Netzsperren müssten lediglich glaubhaft gemacht werden. Das IGE ist dabei nicht unabhängig, sondern als Mitglied von STOP PIRACY einschliesslich Führung der Geschäftsstelle befangen.


Nachtrag: Anderer Meinung ist Anwaltskollege Dr. Kai-Peter Uhlig. Anwaltskollege Uhlig ist unter anderem für die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) tätig und führte Musterstrafverfahren gegen Filesharer in der Schweiz.

7 Kommentare

  1. Die Urheberrechts-Revision versucht im besten Fall einiges von dem nachzuholen, was andernorts – nicht nur in den USA, sondern auch und vor allem auf dem europäischen Kontinent – seit vielen Jahren Standard – notabene: rechtsstaatlicher Standard – ist. Im Erfolgsfall würde die Schweiz ein wenig von ihrem Sonderweg abkehren, den sie in diesen Jahren gegangen ist – vermeintlich im Konsumenten-, tatsächlich im Interesse einer IT-/Provider-Branche, die darin einen «Standort-Vorteil» sieht. Aber aufgepasst: Standort-Vorteile, die darauf beruhen, internationale Rechts-Standards zu unterlaufen, haben eine kurze Halbwertszeit; die Schwarzgeld-Finanzbranche weiss ein Lied davon zu singen. Eine Schwarzdaten-IT-Branche ist keine gute Standort-Idee. Von Zensur, das heisst: staatlicher Vorprüfung von Meinungen und Inhalten, durch das IGE steht nichts im Vorentwurf. Freilich, wer anderer Leute Rechte missachtet – zum Beispiel die von Musikern und Filmschaffenden, und keineswegs bloss amerikanischen – mag es als Zensur empfinden, wenn er daran gestört wird. Hier geht es nicht darum, den Rechtsstaat «auszuhebeln», sondern ihm endlich wieder Geltung zu verschaffen.

    1. Herr Uhlig lebt in einer anderen Schweiz als ich. Wo ist denn diese Schwarzdaten-IT-Branche? Und nachträgliche Zensur ist auch Zensur. Wenn Rechte missachtet werden, kann geklagt werden, in der Schweiz und im Ausland. Löschen statt sperren funktioniert, aber nicht mit Methoden aus dem Wilden Westen. Wir können stolz sein auf die Menschenrechte und müssen sie gegen Hollywood verteidigen. Erst schiessen, dann fragen ist nicht unsere Kultur!

    2. Gesetze sind nicht immer richtig, auch wenn sie rechtsstaatlich zustande gekommen sind. Sie wissen auch, dass die bestehenden globalen Urheberrechtsgesetze hauptsächlich durch intensives Lobbying bzw. durch die Beeinflussung der gesetzgeberischen Prozesse und der Ausgestaltung von internationalen Abkommen zustande gekommen sind. Es sind in den bisherigen Urheberrechtsrevisionen hauptsächlich die Interessen der Unterhaltungs- und Medienkonzerne eingeflossen. Erst in jüngster Zeit machen sich auch andere Anspruchsgruppen bemerkbar und das ist auch richtig so. Gerade in der Schweiz ist es zum Glück so, dass die mächtigen Konzerne nicht einfach Gesetze machen können. Nur weil Ihnen bzw. Ihren Klienten dies in anderen Ländern gelungen ist, heisst das noch lange nicht, dass das gut ist. Das Argument also, dass andere Länder strenge Regimes kennen, ist kein gültiges Argument um die Richtigkeit dieser Regimes zu begründen.

      Auch Ihre Behauptung, dass es darum ginge dem Rechtsstaat wieder Geltung zu verschaffen hat keinerlei Fundament. Wie wollen ja hoffentlich nicht ernsthaft behaupten, in der Schweiz funktioniere der Rechtsstaat nicht mehr? Sie können in der Schweiz jede urheberrechtliche Rechtsverletzung verfolgen und dass wissen sie ganz genau. Darum gibt es hierzulande auch kein einziges Beispiel von einem rechtswidrigen Angebot im Bezug auf das Urheberrecht. Weiterhin ist es so, dass ihre Kunden es ja geschafft haben, ihre Urheberrechtlichen Vorstellungen weltweit umzusetzen. Da müssen sie uns doch nicht weiss machen wollen, dass illegale Angebote nicht verfolgt werden können. Klar, ist das aufwendig, aber bitte schön, dass ist es für andere Branchen auch.

  2. Ist das nicht ein Sturm im Wasserglas? Wenn ich eine CD oder ein Video besitzen/speichern will, dann bezahle ich dafür, wenn es mir etwas wert ist.
    Unser Schweizer Urheber sind durch die hiesigen Institutionen (SUISA etc.) hinreichend geschützt. Dass amerikanische Künstler-Interessen von den USA wahrgenommen werden, lässt sich mit lamentieren nicht ändern. Am Schluss entscheidet wie immer der Konsument und dieser kauft halt zu einem massgebenden Teil noch immer amerikanische Musik und Filme.

  3. Wenn diese Urheberrechtsrevision unter dem Druck der amerikanischen Unterhaltungsindustrie wirklich kommt, werden ich und die Piratenpartei, sowie alle Gruppen in der Schweiz, die an freier Meinungsäusserung interessiert sind auf die Strasse gehen.

    Was man mit Netzsperren und Abmahnungen bewirkt ist die Leute ins Darknet zu treiben, wo sie niemand mehr überwachen kann. Auch die «Three-Strike» Rule, die der Bundesrat vorschlägt wird dazu führen, unbescholtene Bürger zu kriminalisieren, einfach weil sie die falsche Datei kopiert haben. Kopieren ist kein Raub, da das Original immer noch zur Verfügung steht und verkauft werden kann. Was schon einmal produziert oder porgrammiert wurde, sollte nicht noch einmal aufwenig produziert oder cordiert werden. Dies ist eine schlechte Antwort auf die Digitalisierung und die kommende Industrierevolution 4.0.

  4. Den Nachtrag/Edit am Ende finde ich super, auch wenn ich überhaupt nicht Uhligs Meinung bin(schon nur wegen all der Horrorstories die man aus Deutschland hört). Anyway respekt Mr. Steiger für dieses Update am Ende.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Felder mit * sind Pflichtfelder.