Unschuldig verurteilt wegen DNA-Profil

Grafik: DNA-AbschnittAuch in der Schweiz kann man unschuldig verurteilt werden – zum Beispiel, weil Richterinnen und Richter in ihrer freien Beweiswürdigung die Zuverlässigkeit von genetischen Fingerabdrücken überschätzen:

2014 wurde ein Mann in erster Instanz verurteilt, weil er angeblich vier Audi-Neuwagen in einer Basler Autogarage angezündet hatte.

Der Beschuldigte hatte sich zum Tatzeitpunkt zwar nachweislich vier Flugstunden entfernt in Griechenland in den Ferien befunden, doch gleichzeitig war sein DNA-Profil am Tatort gefunden worden.

Das Strafgericht liess dieses Alibi deshalb nicht gelten und verurteilte den Beschuldigten in Dreierbesetzung unter anderem zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten.

Inzwischen wurde der Beschuldigte in zweiter Instanz vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt freigesprochen.

Das Urteil ist, wie Andreas Maurer in der «Schweiz am Sonntag» schreibt, inzwischen rechtskräftig geworden (Urteil SB.2015.10 vom 15. März 2016):

«[…] Fest steht aber: Der Angeklagte war in der besagten Nacht nicht am Tatort. Das höchste Basler Gericht hält zwei Varianten für möglich, wie sein genetischer Fingerabdruck auf die beiden Steine gelangt sein könnte. Die Velo- oder Arbeitshandschuhe des Mannes mit DNA-Material auf der Aussenseite könnten vom unbekannten Täter verwendet worden sein. Denkbar wäre gemäss den Richtern auch, dass der 29-Jährige die Steine vor dem Vorfall berührt hatte und der Täter diese später mit Handschuhen ins Audi-Schaufenster warf.

Selber hat der Mann keine Erklärung für seine DNA-Spur. Er leidet aber an einer seltenen Hautkrankheit: Schuppenflechte. Dadurch verliert er grosse Mengen an Hautschuppen und hinterlässt eine überdurchschnittliche DNA-Spur. Sie wurde ihm zum Verhängnis.»

Genetische Fingerabdrücke können nicht nur unschuldig Verurteilte rehabilitieren, sondern genauso zur Verurteilung von Unschuldigen führen.

Die erfolgreiche Verteidigung erfolgte durch Anwaltskollege Bernard Rambert, der nicht den ersten Justizirrtum dieser Art erlebte:

«Vor zehn Jahren fand man neben einer Leiche in Zürich ein Taschentuch mit DNA-Spuren einer Frau. Sie wurde deshalb des Mordes verdächtigt und sass ein halbes Jahr in U-Haft. Dabei war auch sie unschuldig.»

Die Verteidigung war schwierig, wie Anwaltskollege Rambert gegenüber der «Schweiz am Sonntag» sagte:

«‹In der Schweiz ist der Glaube an DNA-Beweise fast unumstösslich. In Deutschland ist die Sensibilität für das Problem höher.› Hierzulande habe er vergeblich nach einem DNA-Forensiker als Berater gesucht. Fündig wurde er bei einem deutschen Institut für forensische Genetik.»

Ein solches Strafverfahren ist für Beschuldigte äusserst belastend und kann auch bei einem Freispruch die gesamte Existenz ruinieren.

Für eine erfolgreiche Verteidigung gegen Staatsanwaltschaft und Strafgericht braucht ein Beschuldigter erhebliche persönliche Ausdauer, genügend finanzielle Mittel und einen engagierten Verteidiger. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Betroffene und Strafverteidiger wissen, dass ein DNA-Beweis nicht in Stein gemeisselt sein muss – eine Freispruchverteidigung kann trotz DNA-Beweisen angebracht sein!

Rechtsstaatlich stossend ist, dass selbst nach einem solchen Justizirrtum die beschuldigte Person lediglich einen Teil ihrer Anwaltskosten vom Staat ersetzt erhält. Gemäss Urteil wurden in der vorliegenden Angelegenheit knapp 70 Stunden zu einem Stundensatz von 250 Franken entschädigt. Die Leistung einer Genugtuung lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.

Lektüre für Politiker, Richter und Staatsanwälte

Richtern und Staatsanwälten – aber auch «Law and Order»-Politikern! –, die DNA-Beweise immer noch für zuverlässig halten, empfehle ich die Juni 2016-Ausgabe des «Atlantic» zur Lektüre, die sich mit dem «False Promise of DNA Testing» befasste.

Für vertiefte Lektüre ist «Inside the Cell – The Dark Side of Forensic DNA» ???? von Erin E. Murphy, Professorin an der New York University (NYU), empfehlenswert:

«We think of DNA forensics as an infallible science that catches the bad guys and exonerates the innocent. But when the science goes rogue, it can lead to a gross miscarriage of justice. Erin Murphy exposes the dark side of forensic DNA testing: crime labs that receive little oversight and produce inconsistent results; prosecutors who push to test smaller and poorer-quality samples, inviting error and bias; law-enforcement officers who compile massive, unregulated, and racially skewed DNA databases; and industry lobbyists who push policies of ‹stop and spit›.

DNA testing is rightly seen as a transformative technological breakthrough, but we should be wary of placing such a powerful weapon in the hands of the same broken criminal justice system that has produced mass incarceration, privileged government interests over personal privacy, and all too often enforced the law in a biased or unjust manner. Inside the Cell exposes the truth about forensic DNA, and shows us what it will take to harness the power of genetic identification in service of accuracy and fairness.»

Die Beispiele von Anwaltskollege Rambert zeigen, dass man nicht von einer Überlegenheit oder gar Unfehlbarkeit der Strafverfolgung in der Schweiz ausgehen kann. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Umgang mit der Unschuldsvermutung («in dubio pro reo»).

Gleichzeitig werden DNA-Beweise in der Schweiz immer wichtiger, früher oder später werden wir alle bei den Sicherheitsbehörden mit unseren genetischen Fingerabdrücken erfasst sein …

«[…] Der vom Bundesamt für Polizei verwaltete Datenschatz wächst. Aktuell sind 177 000 Personenprofile und 64 000 Tatortspuren registriert. Vor acht Jahren waren erst 80 000 Personen und 14 000 Spuren erfasst. Der Ausbau reicht bürgerlichen Politikern nicht. Sie fordern, dass DNA-Profile verurteilter Straftäter länger gespeichert werden.»

… weshalb es wichtig ist, dass alle Beteiligten die Grenzen der Zuverlässigkeit von DNA-Beweisen kennen.

Ich hoffe, dass die verantwortlichen Richter am Basler Strafgericht aus ihrem Fehlurteil gelernt haben, genetische Fingerabdrücke nur mit der notwendigen Skepsis als Beweise zu würdigen. Ein Rechtsstaat muss sich daran messen lassen, dass keine Unschuldigen in Strafverfahren verwickelt oder gar verurteilt werden.

2 Kommentare

    1. Wir lassen ständig überall unsere DNA Spuren zurück. Dementsprechend werden wir leider alle automatisch zu Verdächtigen, sobald unsere DNA an einem Tatort gefunden wird. Das Gleiche mit unseren digitalen Spuren (Handymetadaten, Googlesearches, IP-Traffic, etc., etc.). Und genau deswegen muss mit allen diesen Daten und Spuren ganz zurückhaltend und skeptisch umgegangen werden. Sonst enden in Zukunft noch viele Unschuldige in monatelanger U-Haft :-o
      In dubio pro reum!

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