Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) ist jeder verdächtig und wird überwacht. Einen Hinweis darauf, dass dies die Schweiz auch sicherer macht, gibt es allerdings nicht.
Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), über das in der Schweiz bald abgestimmt wird, ist jeder verdächtig und wird überwacht. Der schweizerische Geheimdienst, der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), erhält in fast jeder Hinsicht freie Hand.
Die Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden und der Schweizer Fichenskandal von 1989 scheinen vergessen, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit werden mit dem neuen Gesetz ausgehöhlt.
Geheimdienst als mächtige Geheimpolizei
Der NDB soll zu einer mächtigen Sicherheitsbehörde ausgebaut werden, Vorbild ist die amerikanische NSA. Der Geheimdienst würde zur Geheimpolizei, die auf schwammigen Rechtsgrundlagen den «Schutz wichtiger Landesinteressen» auch parallel zu den bestehenden Strafverfolgungsbehörden verfolgen könnte. Der NDB dürfte unter anderem Cyberkrieg führen, mit Trojanern hacken und Massenüberwachung ohne Anlass und Verdacht durchführen.
Der Paradigmenwechsel beim NDG soll angeblich mehr Sicherheit durch noch mehr Überwachung bringen. Dabei handelt es sich um Sicherheitsesoterik, denn kritische wissenschaftliche Erkenntnisse werden ausgeblendet und durch Anekdoten ersetzt. Die präventive Abschaffung von Freiheit sorgt nicht für mehr Sicherheit, wie die Anschläge in Frankreich gezeigt haben. Die zahlreichen neuen Kompetenzen würden zu schwerwiegenden Eingriffen in Menschenrechte wie das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führen, aber auch Berufsgeheimnisse wie das Arztgeheimnis aushebeln.
Cyberkrieg, Massenüberwachung und Trojaner
Mit dem NDG darf der Geheimdienst in Computer und Netzwerke – auch im Ausland – eindringen. Der NDB könnte damit anderen Staaten den Cyberkrieg erklären und die schweizerische Neutralität verletzen. Das Eindringen in Computer würde auch mit Trojanern erfolgen, wie sie von kriminellen Hackern eingesetzt werden. Dafür kauft der Staat neue Sicherheitslücken, die in der Folge nicht behoben werden können. Mit Steuergeldern würde ein Schwarzmarkt für Sicherheitslücken geschaffen und die Datensicherheit der Allgemeinheit weltweit gefährdet.
Das NDG erlaubt dem Geheimdienst vollen Zugriff auf die umfassenden Vorratsdaten der Telekommunikation. Für jede Person in der Schweiz wird während mindestens sechs Monaten ohne Anlass oder Verdacht gespeichert, wer wo und wann mit wem kommuniziert hat. Im Big-Data-Zeitalter kann mit diesen Randdaten auch ohne gespeicherte Inhalte jeder Einzelne umfassend profiliert werden. Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung als besonders schweren Grundrechtseingriff für unzulässig erklärt. Die Vorratsdatenspeicherung verletzt wie jede Massenüberwachung die Unschuldsvermutung und das Verhältnismässigkeitsprinzip.
Mit der Kabelaufklärung legalisiert das NDG die Massenüberwachung von Internetverbindungen mit dem Ausland. Der Datenverkehr mit allen Inhalten wird durch das Zentrum für elektronische Operationen der Schweizer Armee mit unzähligen Suchbegriffen für den NDB ausgewertet. Die gesammelten Daten können automatisch mit dem Ausland ausgetauscht werden. Das Verbot, inländischen Datenverkehr auszuwerten, scheitert daran, dass es kein schweizerisches Internet gibt. Die Internetnutzung erfolgt fast immer auch über Netzwerke und Server im Ausland. Menschenrechte gelten im Übrigen universell und nicht nur in der Schweiz.
Geheimjustiz und Vertrauensprinzip
Mit dem Verweis auf Aufsicht und Richtervorbehalt wird das NDG verharmlost. Sofern der NDB im Einzelfall überhaupt eine Genehmigung benötigt, gewährleistet die Geheimjustiz durch einen einzelnen Richter keinen wirksamen Rechtsschutz. Es fehlt an Transparenz, denn die Entscheide unterliegen nicht der Gerichtsöffentlichkeit. Auskunftsrecht und Mitteilungspflicht sind im NDG nur lückenhaft ausgestaltet, und der NDB ist weitgehend vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen. Der nachträgliche Rechtsschutz verspottet mit seiner Einseitigkeit und Geheimhaltung den Rechtsstaat.
Die bisherige Aufsicht über den NDB ist gescheitert, wie zahlreiche an die Öffentlichkeit gelangte Missstände bestätigen. Diese wurden meist nur nachträglich und zufällig entdeckt, was sich mit der geplanten und theoretisch unabhängigen zusätzlichen Aufsichtsbehörde nicht ändern wird. Geheimdienstaufsicht beruht auf dem Vertrauensprinzip und ist deshalb ein rechtsstaatliches Feigenblatt.
Alternative: Sicherheit ohne Bevölkerung unter Generalverdacht
Mit dem NDG würde unter Missachtung von Grund- und Menschenrechten ein mächtiger Geheimdienst nach amerikanischem Vorbild geschaffen. Für eine sichere Schweiz braucht es aber kein NDG, das die eigene Bevölkerung unter Generalverdacht stellt. Die neutrale Schweiz muss sich als Demokratie positionieren, die ihre Bevölkerung auf rechtsstaatlichen Grundlagen vor Terrorismus und anderen Bedrohungen schützt.
Wo ist das Problem? Einfach NEIN stimmen und die Sache ist erledigt.
Lieber Martin,
Deine Überlegungen scheinen schön logisch. Nur sind sie nicht bis zum Ende durchdacht.
Auch ein Nein zum neuen NDG verhindet nicht, dass ausländische Geheimdienste genau diese Überwachungen auch in der Schweiz vornehmen. Mit einem Nein verhindern wir also nur, dass wir gegenüber den ausländischen Geheimdiensten gleich lange Spiesse erhalten. Wir lassen es also zu, dass fremde Geheimdienste unser Land ausspionieren, ohne dass wir uns dagegen wehren können. Der NDB kann uns ohne dieses Gesetz also auch nicht vor Spionen schützen.
Das Ganze ist vergleichbar mit dem Radio und Fernsehen: Wir können alle Webung für Tabak und Alkohol auf schweizerischen Sendern verbieten, aber die Reklame auf ausländischen Sendern, die wir bei uns frei empfangen können, können wir nicht beeinflussen.
Ein Nein ist also Augenwischerei. Wir werden dann von den Ausländern überwacht, ohne uns wehren zu können. Und ohne das NDG kann die Bevölkerung eben gerade nicht vor Terrorismus und anderen Bedrohungen schützen!
@Karl Hunkeler:
Der Schweizer Geheimdienst schützt uns nicht vor Überwachung durch ausländische Geheimdienste, sondern arbeitet mit diesen zusammen, ein Beispiel:
https://steigerlegal.ch/2013/10/30/nsa-schweizerisch-amerikanische-zusammenarbeit/
Für den Schutz gegen ausländische Überwachung wären die Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz zuständig, die bereits über erhebliche Kompetenzen verfügen. Leider sind diese Strafverfolgungsbehörden aber nicht bereit, gegen ausländische Überwachung in der Schweiz vorzugehen:
https://steigerlegal.ch/2014/10/15/nsa-co-kein-strafverfahren-in-der-schweiz/
Die Behauptung, man brauche das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) für eine sichere Schweiz, ist klassische Sicherheitsesoterik. Das NDG schafft im Gegenteil neue Unsicherheiten, zum Beispiel durch Cyberkrieg und Trojaner-Hacking.
Das Ganze kommt mir vor wie eine Variante von blinde Kuh:
Ich mach die Augen zu, dann siehst Du mich nicht!
Lieber Herr Steiger, leider beeindruckt den Durchschnittsschweizer der Satz «Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten.» mehr als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik. Im Grunde ist es ganz einfach: Gib Menschen Macht, hebele das Öffentlichkeitsprinzip und sämtliche wirksamen Kontrollmechanismen aus und du kannst mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Macht massivst missbraucht wird. Und selbst wenn man dem Geheimdienst nur die besten Absichten unterstellt, so vertraue ich nicht eine Sekunde darauf, dass die Daten s
@Anonymus:
Wenn Sie Ihren Kommentar noch vervollständigen möchten, so schreiben Sie mir bitte, gerne auch verschlüsselt.
Ups, mir fiel gar nie auf, dass der Kommentar nur verkürzt verschickt wurde. Wollte nur noch schreiben, dass ich nicht darauf vertraue, dass der NDG auch nur im Geringsten in der Lage ist, die gesammelten Daten «sicher» aufzubewahren.
Ob Schweiz oder ein anderer EU-Land, die Aushöhlung des Grundrechtsschutzes wird planmäßig vorangetrieben. Man hat seit 15 Jahren einen anscheinend berechtigten Vorwand gefunden, Terrorprävention, Kriminalprävention, Sicherheit der Bürger. Gleichzeitig entsteht ein dichtes Netz der Zusammenarbeit der Geheimdienste und anderer Behörden die ihre Daten gegenseitig austauschen dürfen, also auch die empfindlichen persönlichen Daten der Bürger ohne das Recht die Grundrechte dieser Bürger achten zu müssen.
Solange man selbst nicht betroffen wird, kann man sich nicht vorstellen mit welchen Methoden und Maßnahmen dauerhaft zu schweren Grundverletzungen kommen muss, weil man das Recht schon vorher hatte alles zu verbergen was nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollte. Wenn man es merkt, die ganze Angelegenheit, die Hintergründe mit ausreichenden Beweisen vorlegt, wird niemand mehr gar nichts wissen wollen. Man glaubt, der Betroffene hat den Anspruch auf einen Rechtsweg, letztendlich die Rechtsweggarantie steht jedem zur Verfügung.
Nein, steht nicht, die massiven Grundrechtsverletzungen, so gar bei der dauerhaften rechtswidrigen Eingriffen der Geheimdienste bleiben rechtlich unantastbar. Man sollte endlich die Augen aufmachen und den weiteren Abbau der Grundrechte entschlossen dagegen zu treten:
https://viktorkossnachrichtendienste.wordpress.com/eine-seite/1358-2/
Den Satz: Einen Hinweis darauf, dass dies die Schweiz auch sicherer macht, gibt es allerdings nicht. Ist da wo die Diskussion ansetzen müsste. Jedes Gesetz hat Ziele und man muss überprüfen, ob diese erreicht werden.
1. Das Sammeln von Daten bringt nur eines: Noch mehr Daten die nicht interpretiert werden können. Mehr Daten verhindern geradezu, dass wir Gefahren erkennen. Das ist ja auch der Grund, weshalb es immer noch Attentate von Leuten gibt (und letzthin ausschliesslich von solchen) die der Polizei bekannt waren und als Gefahr eingeschätzt wurden. Wenn mehr Kontrolle, dann dort wo ein Verdacht besteht. Ein Attentat verhindern, das aus dem Nichts kommt, ist sowieso praktisch unmöglich.
2. Es ist geradezu erwiesen, dass die Schweiz eine generelle Überwachung durchführen wird. Denn sie hat es schon immer versucht. Missbrach von Daten ist nicht die Ausnahme sondern Regel in der Schweiz. Es ist möglich, dass die Schweiz es tut, um Informationen handeln zu können. Um zb auch den Amis sagen zu können, wir machen das ab jetzt, ihr braucht es nicht zu tun. Dann wäre das rechtlich nicht nur heikel, es wäre hochgradig verboten. Und etwas zu tun weil es Andere auch tun das erinnert mich an Fritzli aus der Schule. Ich vermute, dass solche Sprüche von Freisinnigen kommen.
3. Haben wir überhaupt die Kraft, einen solchen Cyberkrieg zu stämmen? Wer den ersten Trojaner ansieht wird sich vom Lachkrampf noch nicht erholt haben, um antworten zu können. Das VBS hat noch nicht bewiesen, dass es etwas (irgendetwas was über die Anforderungen eine Bleistiftes herausgeht) beschaffen kann das taugt. Ja nicht einmal, dass es die Anforderungen richtig bestimmen kann. Haben wir überhaupt genügen (gutes) Personal, um mithalten zu können.
Man soll mir einen einzigen Beweis geben, dass das Gesetz ein Ziel (welche?) auch erreichen kann.
«Der NDB dürfte … Massenüberwachung ohne Anlass und Verdacht durchführen.» Können wir das etwas genauer haben? Welche(r) Artikel? … als nur eine von X Rückfragen, die ich nach der Lektüre dieses sehr «missionarisch» wirkenden Meinungsbeitrag habe – ich wünschte er wäre mehr MeinungsBILDUNGbeitrag.
@H. U. Wiedmer:
Art. 26 Abs. 1 lit. a nNDG (Vorratsdatenspeicherung) und Art. 39 ff. nNDG (Kabelaufklärung) betreffen jeweils Massenüberwachung ohne Anlass und Verdacht.
Und gleich noch eine Frage: wer hat’s erfunden? Doch wohl das bürgerlich dominierte Parlament, richtig? Vieles von dem, was hier grundsätzlich erwogen ist, ist durchaus eingeflossen in der Debatte. Eine differenziertere Sichtweise, im Sinne von: «wo hat das Parlament die Linie verfehlt, ist auf die falsche Seite abgewichen», könnten die eine oder den anderen mehr zu einem Nein überzeugen als ein solch pauschaler Rundumschlag. Oder vielleicht auch eine Ausführung dazu, wie rechtsstaatlich legitimierte Überwachung – wo notwendig – konzipiert werden müsste, und dass es dafür das NDG nicht (?) braucht.
@H. U. Wiedmer:
Mein Meinungsbeitrag ist kein «pauschaler Rundumschlag», sondern befasst sich – wenn auch notwendiger in knapper Form – mit den Tatsachen rund um das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG).
Der Überwachungsstaat kennt leider viele Freunde – links und rechts in der Politik, aber auch bei jenen, die sich als liberal bezeichnen. Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismässigkeit sind in erster Linie das Thema von Schönwetterreden, viele Bekenntnisse dazu überstehen die Realpolitik nicht.
Zur weiteren Lektüre empfehle ich Ihnen die Kommentare der Digitalen Gesellschaft zum Bundesbüchlein über die NDG-Abstimmung:
https://www.digitale-gesellschaft.ch/2016/08/07/broschuere-zur-abstimmung-vom-25-september-zum-neuen-nachrichtendienstgesetz/