Mit Kabinettspolitik hinter verschlossenen Türen soll das Urheberrecht in der Schweiz – das heisst insbesondere das Urheberrechtsgesetz (URG) – revidiert werden. Ausgewählte «betroffene Kreise» verhandeln hinter verschlossenen Türen unter anderem darüber, wie Internet Provider zu «Hilfspolizisten» der amerikanischen Unterhaltungsindustrie ausserhalb von rechtsstaatlichen Verfahren verpflichtet werden sollen.
Für die Digitale Gesellschaft versuche ich, etwas Licht in die Dunkelkammer beim zuständigen Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) zu bringen. Auf meine entsprechenden Fragen vom 6. September 2016 zur entsprechenden Arbeitsgruppe AGUR12 beziehungsweise «AGUR 2.0» oder «AGUR12 II» habe ich vom IGE zu Händen der Digitalen Gesellschaft nun erste Antworten erhalten:
Antworten vom Institut für Geistiges Eigentum
«1. AGUR12-Sitzung vom 30. August 2016: Traktanden, Teilnehmer, Protokoll?»
Traktanden:
- Teilrevision URG, wie weiter? (Bundesrätin Simonetta Sommaruga)
- Vorläufige Ergebnisse aus der bisherigen Auswertung der Vernehmlassung (Präsentation von Dr. Catherine Chammartin, IGE-Direktorin)
- «Tour de table» (Diskussion mit allen Anwesenden)
- Bemerkungen zu Arbeitsprogramm und Arbeitsmethodik (Dr. Catherine Chammartin)
- Zusammenfassung und Verabschiedung (Dr. Catherine Chammartin)
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
«[…] Verbandsverantwortliche der bisherigen AGUR12 und weitere Betroffene […]:»
- Bundesrätin Simonetta Sommaruga
- «Kulturschaffende»: Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS), Schweizerische Interpretengenossenschaft, Société Suisse des Auteurs (SSA), SUISA und Suisseculture
- «Konsumenten»: Fédération Romande des Consommateurs (FRC), Konsumentenforum (kf), Stiftung für Konsumentenschutz (SKS)
- «Nutzerverbände»: Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN), economiesuisse, Schweizerischer Gewerbeverband (sgv)
- «Produzenten»: AudioVision Schweiz, ProLitteris, Verband Schweizer Medien
- «Provider»: Interessengemeinschaft Internet Service Provider (IG ISP), Swiss Internet Industry Association (simsa)
- «Verwaltung:» Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE, Vorsitz durch Dr. Catherine Chammartin, IGE-Direktorin, stellvertretender Vorsitz durch Prof. Felix Addor, stellvertretender IGE-Direktor und Rechtskonsulent), Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), Bundesamt für Kultur (BAK), Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
Protokoll:
«Wie bei den vorherigen Sitzungen der AGUR12 wird kein Protokoll erstellt. […]»
«2. Angekündigte AGUR12-Sitzung vom 28. September 2016: Traktanden, eingeladene Teilnehmer?»
Traktanden:
«Das IGE hat der AGUR12 II folgende Traktanden vorgeschlagen:»
- Verabschiedung der Arbeitsmethodik
- Überarbeitung des Revisionsvorschlages mit Bezug auf: Massnahmen betreffend Internet Access Provider, Bestandesverzeichnisse, Leerträgervergütung (Mehrfachvergütung)
- Präsentationen durch AGUR12-Mitglieder zu weiteren Themen, die sie im Rahmen einer zu bildenden Untergruppe vertiefen möchten
- Information über die Sitzung
Eingeladene Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
- «Kulturschaffende»: Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS), Schweizerischer Interpretengenossenschaft, Société Suisse des Auteurs (SSA), SUISA und Suisseculture
- «Konsumenten»: Fédération Romande des Consommateurs (FRC), Konsumentenforum (kf), Stiftung für Konsumentenschutz (SKS)
- «Nutzerverbände»: Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN), economiesuisse, Schweizerischer Gewerbeverband (sgv)
- «Produzenten»: AudioVision Schweiz, ProLitteris, Verband Schweizer Medien
- «Provider»: Interessengemeinschaft Internet Service Provider (IG ISP), Swiss Internet Industry Association (simsa).
- «Verwaltung:» Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), Bundesamt für Kultur (BAK), Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
«3. Angekündigte AGUR12-Sitzung vom 18. Oktober 2016: Traktanden, eingeladene Teilnehmer?»
Traktanden:
«Das IGE hat der AGUR12 II folgende Traktanden vorgeschlagen:»
- Rückmeldungen zu den Ergebnissen der ersten Sitzung
- Überarbeitung des Revisionsvorschlages mit Bezug auf: Massnahmen betreffend Hosting Provider, Verantwortlichkeit der Provider, Eidgenössischen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK), Nutzermeldung(en) an die Verwertungsgesellschaften
- Diskussion über eine mögliche Informationskampagne
- Information über die Sitzung
Eingeladene Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
«Voraussichtlich dieselben wie [an der angekündigten AGUR12-Sitzung vom 28. September 2016], mit Ausnahme des Vertreters des kf (auf Wunsch des kf).»
«4. Weitere geplante AGUR12-Sitzungstermine?»
«Allfällige weitere Sitzungstermine und das Programm werden von der AGUR12 II zu einem späteren Zeitpunkt und in Abhängigkeit der Ergebnisse der ersten beiden Sitzungen festgelegt werden.»
«5. Wie sind die erwähnten «betroffenen Kreise» definiert?»
«[…] Bundesrätin Sommaruga [hatte] zur ursprünglichen AGUR12 eingeladen und die Kreise und Anzahl Vertreter bestimmt. Die Verbände und Organisationen mussten sich dann selber untereinander organisieren und ihre Vertreter melden. Neu hinzu kommen nun die Vertreter der Provider, welche von den Massnahmen, wie sie im Entwurf zum URG vorgeschlagen werden, besonders betroffen sind und über entsprechendes Fachwissen verfügen.»
«6. Wann werden die URG-Vernehmlassungsantworten veröffentlicht?»
«In die Vernehmlassungsantworten kann auf Anfrage jedermann schon heute beim IGE Einsicht nehmen. Da es sich um über tausend Stellungnahmen handelt, ist ein Versand von Kopien (sei es elektronisch oder in Papier) nicht sinnvoll. Alle Stellungnahmen werden auf der Homepage des IGE in elektronischer Form zugänglich gemacht, sobald der Bundesrat vom Ergebnisbericht Kenntnis genommen hat.»
»7. Wann erscheint der Bericht zu den Ergebnissen der URG-Vernehmlassung?»
«[…] Gestützt auf die Ergebnisse der Vernehmlassung wird der Bundesrat im zweiten Halbjahr 2016 den Bericht zur Kenntnis nehmen und über das weitere Vorgehen entscheiden. Dieser Zeitplan gilt weiterhin. Mehr lässt sich zum weiteren Vorgehen bis zu diesem Entscheid nicht sagen.»
«8. Haben seit dem 28. Oktober 2015 weitere Sitzungen des amerikanisch-schweizerischen Runden Tisches zum Urheberrecht im Internet (einschliesslich Sitzungen von etwaigen Arbeitsgruppen) stattgefunden? Falls ja: Sitzungstermine, Traktanden, Teilnehmer, Protokoll?»
«Für diese Fragen müssen wir Sie an das SECO verweisen, das in diesem Dossier federführend ist.»
URG-Revision hinter weitgehend verschlossenen Türe …
Meine Fragen für die Digitale Gesellschaft haben dazu geführt, dass das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) die Türen zur URG-Revision ein Stück weit öffnen musste. Auch auf der eigenen AGUR12-Website hat das IGE einige wenige Informationen veröffentlicht, zuletzt heute Nachmittag zur gestrigen Sitzung:
«Die AGUR12 II hat sich am 28. September 2016 zu einer ersten Sitzung getroffen. Sie hat dabei den Revisionsvorschlag mit Bezug auf folgende Themen diskutiert:
- Massnahmen betreffend die Access Provider (Zugangssperren, Identifikationsverfahren);
- Bestandesverzeichnisse;
- Leerträger- bzw. Mehrfachvergütung.
Ausserdem wurde eine Reihe weiterer Themen eingebracht, um zu prüfen, ob diese weiterverfolgt werden sollen.»
Transparenz zu Gunsten der Öffentlichkeit möchte das IGE aber offensichtlich nicht schaffen. Der Verzicht auf Sitzungsprotokolle verhindert, dass Transparenz in dieser Hinsicht erzwungen werden kann.
Antworten und Informationen wurden bislang nur summarisch vermittelt, so dass bestenfalls in groben Zügen klar ist, worüber diskutiert wurde, nicht aber, was tatsächlich diskutiert wurde. Das IGE hat auch keine eigentlichen amtlichen Dokumente wie beispielsweise Traktandenlisten zur Verfügung gestellt, sondern bloss eigene Zusammenfassungen. Der aktuelle Entwurf für das revidierte URG wurde bislang nicht veröffentlicht.
… ohne inhaltliche Auseinandersetzung unter Einbezug aller Betroffenen
Bei den Antworten beziehungsweise Stellungnahmen zur Vernehmlassung ist unklar, wieso das IGE diese erst veröffentlichen möchte, sobald der Bundesrat vom Ergebnisbericht zur Vernehmlassung Kenntnis genommen hat. Das IGE dürfte gemäss die Stellungnahmen heute bereits in elektronischer Form auf der eigenen Website zugänglich machen und müsste damit nicht abwarten (Art. 9 Abs. 1 lit. a u. Abs. 2 VlG).
Mit der vorläufigen Beschränkung auf die Einsicht vor Ort beim IGE im Berner Breitenrain-Quartier wird erheblich erschwert, dass sich alle Betroffenen mit den einzelnen Positionen inhaltlich auseinandersetzen können. Das IGE verhindert damit, dass eine tragfähige Lösung für das revidierte URG unter Einbezug aller Betroffenen erarbeitet werden kann. Auch die Wissenschaft kann sich nicht zu den neusten Revisionsplänen äussern.
In Bezug auf den amerikanisch-schweizerischen Runden Tisch zum Urheberrecht kollidiert das IGE mit dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ), indem es auf das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verweist. Massgeblich ist nicht, welche Behörde federführend ist, sondern ob sich amtliche Dokumente im Besitz einer Behörde befinden (Art. 5 Abs. 1 lit. b BGÖ). Da das IGE in der Vergangenheit jeweils am Runden Tisch vertreten war, wäre es überraschend, wenn dazu keine amtlichen Dokumente beim IGE vorhanden sein sollten …
In der Sache bleibt im Übrigen unklar, wieso überhaupt Massnahmen gegen schweizerische Provider erforderlich sein sollen, obwohl das heutige schweizerische Urheberrecht ohne weiteres erlaubt, gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Löschen statt Sperren funktioniert mit «Follow the Money», ohne dass Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismässigkeit auf der Strecke bleiben.
Digitale Gesellschaft: Wie weiter in der URG-Revision?
Die Digitale Gesellschaft wird sich weiterhin bemühen, Licht in die Dunkelkammer beim IGE zu bringen. Die Digitale Gesellschaft hält an Ihren bereits veröffentlichten Forderungen:
«Die Digitale Gesellschaft und die Digitale Allmend fordern, dass der Vernehmlassungsbericht und alle Stellungnahmen unverzüglich veröffentlicht werden und die Arbeitsgruppe AGUR12 sofort aufgelöst wird. Erst wenn der Ergebnisbericht und die einzelnen Stellungnahmen veröffentlicht sind, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Positionen und damit die Erarbeitung einer tragfähigen Lösung für das revidierte Urheberrecht unter Einbezug aller Betroffenen möglich.»
Die Digitale Gesellschaft hält auch an ihrer Vernehmlassungsantwort zur URG-Revision fest.
Informationen zur «AGUR12 2.0» erreichen die Digitale Gesellschaft insbesondere per E-Mail an office@digitale-gesellschaft.ch. Für anonyme Hinweise kann die «Privacy Box» via Tor genutzt werden (Kurzanleitung).