Justizöffentlichkeit: Musterbrief für Zugang zu Gerichtsurteilen

Bild: Justitia mit verbundenen Augen vor blauem Hintergrund

«Das Prinzip der Justizöffentlichkeit und die daraus abgeleiteten Informationsrechte sind von zentraler rechtsstaatlicher und demokratischer Bedeutung. Sie sorgen für Transparenz in der Rechtspflege, was eine demokratische Kontrolle durch das Volk erst ermöglicht, und bedeuten damit eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz […].» (BGE 137 I 16)

Leider veröffentlichen viele Gerichte keine oder nur wenige Urteile. Dagegen hilft der Musterbrief einschliesslich Kurzanleitung, den der engagierte Journalist Dominique Strebel veröffentlicht hat:

«Schreibe ein konkretes schriftliches Gesuch um Herausgabe des Urteils. Eine Mustervorlage findest Du auf den nächsten Seiten. Sie enthält die derzeit besten juristischen Argumente. Passe den Brief auf Deine Bedürfnisse an. Und falls die Antwort abschlägig ist: Unbedingt anfechten und weiterziehen. Spätestens vor Bundesgericht hast Du sehr gute Chancen.»

Wer kein Journalist ist, muss die entsprechenden Hinweise im Musterbrief weglassen.

Leider sind Urteile bei vielen Gerichten nur für Journalistinnen und Journalisten auf Anhieb und kostenlos erhältlich. Auch die einschlägige Rechtsprechung geht vor allem auf Rechtsbegehren von Journalisten zurück, wobei gemäss Bundesgericht «den Medien die Rolle eines Bindeglieds zwischen Justiz und Bevölkerung zukommt» (BGE 137 I 16). Die entsprechende Privilegierung der Medien schafft eine Zweiklassengesellschaft bei der verfassungsrechtlich garantierten Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV).

Forderung: Justizöffentlichkeit durch Veröffentlichung im Internet

Die Medien erfüllen mit ihrer Berichterstattung über die Justiz eine wichtige rechtsstaatliche Funktion. Aber unabhängig davon sollte jede Person in der Schweiz grundsätzlich jedes Urteil selbst lesen können und sich nicht nur auf die Medienberichterstattung abstützen müssen. Dabei sollten für den Zugang zu Urteilen keine Kosten erhoben werden.

Letztlich sollte man Urteile gar nicht bestellen müssen, sondern grundsätzlich sollte jedes Urteil anonymisiert im Internet veröffentlicht werden. Das Bundesgericht und andere Gerichte des Bundes haben in dieser Hinsicht eine Vorbildfunktion für alle anderen Gerichte.

Alltag: Justizöffentlichkeit mit Kosten und anderen Hindernissen

Kantonale Gerichte, gerade auch auf erster Instanz, bekunden häufig grosse Mühe mit der Justizöffentlichkeit. Bei Urteilsbestellungen muss man oftmals nachhaken und teilweise wird der Zugang zu Urteilen ohne Begründung verweigert. Bisweilen wird auch die fehlende Rechtskraft als Begründung genannt, was aber nicht mehr zulässig ist. Bei Urteilen, die man erhält, werden teilweise Kosten für Anonymisierung und Kopien auferlegt oder Auflagen erlassen.

Am 20. April 2017 beispielsweise hatte ich zwei Entscheide bei einem kantonalen Gericht erster Instanz bestellt. Das Gericht reagierte erst, nachdem ich mit Schreiben vom 4. Juli 2017 nachgehakt hatte.

Ein Entscheid wurde mir zugestellt, ein zweiter Entscheid hingegen ohne Begründung nicht («[…] nicht zugestellt werden kann»). Und das Gericht hielt fest, die Zustellung sei «selbstverständlich […] ausschliesslich für berufliche Zwecke» erfolgt und es sei «eine Weitergabe […] nicht zulässig». Immerhin wurden mir bislang keine Kosten für diese nur teilweise Gewährleistung der Justizöffentlichkeit auferlegt.

Bild: Pixabay / WilliamCho, Public Domain-ähnlich.

Ein Kommentar

  1. Daß das Verwaltungsgericht Graubünden nur selektiv und das Kantonsgericht Graubünden nur solche Urteile mit Rechtskraft-Erlangung veröffentlicht, ist stoßend.

    Gerade die Urteile, die keine Rechtskraft erlangen konnten, sind ja besonders interessant.

    Jeder, der schon einmal gegen ein falsches Urteil wehren mußte, weiß, wie bedeutend es ist, daß gerade solche Urteile publiziert werden, die eben keine Rechtskraft erlangen konnten.

    Gerichtspräsident Norbert Brunner kann hier jedoch kein öffentliches Interesse erkennen:

    http://www.rhätische-zeitung.ch/goldener-bremsklotz-2018-geht-an-jean-luc-addor/

    Dabei ermutigt es, lesen zu können, daß man sich gegen falsche Urteile durchaus wehren kann. So, daß sie keine Rechtskraft erlangen.

    Und man kann dadurch auch nachlesen, was (um welche Sachlage ging es?) und warum etwas keine Rechtskraft erlangt hat.

    Und deswetgen sind gerade solche (Fehl)-Entscheide von Bedeutung.

    Und gehen die Öffentlichkeit etwas an.

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