In Deutschland gilt seit dem 1. Januar 2018 das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Der Streit um das NetzDG ist in vollem Gang.
Was genau steht eigentlich im deutschen Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, wie das NetzDG vollständig heisst?
Geltungsbereich: Alle sozialen Netzwerke, nicht aber herkömmliche Medien
Das NetzDG gilt für Social Media-Plattformen beziehungsweise soziale Netzwerke (§ 1 Abs. 1 NetzDG):
«[…] Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke).»
Hingegen gilt das NetzDG weder für herkömmliche Medien («Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden») – auch nicht mit Leserkommentaren! – noch für Messaging-Plattformen («Plattformen, die zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind»).
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert trotzdem die Abschaffung des NetzDG, zumal Journalisten als Social Media-Nutzer direkt betroffen sind:
«Das NetzDG schiebt die Macht über das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit an Privatunternehmen wie Twitter und Facebook ab. Dort entscheidet keine fundierte rechtliche Abwägung über die Löschung von Postings, sondern die Angst vor staatlichen Bußgeldern. Eine paradoxe Situation.»
Rechtswidrige Inhalte: Beleidigung, Gewaltdarstellung, …
Als rechtswidrig gelten unter anderem Bedrohung, Beleidigung, Beschimpfung, Gewaltdarstellung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, üble Nachrede, Verleumdung und Volksverhetzung (§1 Abs. 3 NetzDG).
Die deutschen Behörden erklären, dass mit dem NetzDG «keine neuen Löschpflichten geschaffen» werden:
«Der Maßstab, was gelöscht werden muss, wird nicht von den sozialen Netzwerken gesetzt. Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze. […] Es soll vielmehr sichergestellt werden, dass bestehendes Recht eingehalten und durchgesetzt wird.»
Das NetzDG soll ausdrücklich auch für «Fake News» gelten, sofern diese die Grenze der Strafbarkeit überschreiten.
Immer: «Briefkasten» für Behördenanfragen, Auskunftsbegehren und Klagen in Deutschland
Soziale Netzwerke müssen in Deutschland «einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen. An diese Person können Zustellungen in Verfahren [wegen Ordnungswidrigkeiten] oder in Gerichtsverfahren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden. […]» (§ 5 Abs. 1 NetzDG).
Auch müssen soziale Netzwerke «[f]ür Auskunftsersuchen einer [deutschen] Strafverfolgungsbehörde […] eine empfangsberechtigte Person [in Deutschland] benennen», die verpflichtet ist, Auskunftsersuchen innert 48 Stunden zu beantworten (§ 5 Abs. 2 NetzDG).
Ausserdem gibt es einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch, der im Telemediengesetz (TMG) verankert wurde (§ 14 Abs. 3 ff. TMG):
«Der Diensteanbieter darf darüber hinaus im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte [gemäss Netzwerkdurchsetzungsgesetz] erforderlich ist.
Für die Erteilung der Auskunft […] ist eine vorherige gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erforderlich, die vom Verletzten zu beantragen ist. […] Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. […]»
Zwei Millionen oder mehr Nutzer: Lösch- und Sperrpflichten
Soziale Netzwerke mit zwei Millionen oder mehr Nutzern in Deutschland sind weiter zur Löschung oder Sperrung von rechtswidrigen Inhalten verpflichtet (§ 1 Abs. 2 NetzDG):
- Solche sozialen Netzwerke müssen «ein wirksames und transparentes Verfahren […] für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten.» Den Nutzern muss «ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung» gestellt werden (§3 Abs. 1 NetzDG).
- Die jeweilige Social Media-Plattform muss unverzüglich Kenntnis von Beschwerden nehmen und prüfen, ob die gemeldeten Inhalte rechtswidrig und zu entfernen oder ob der Zugang zum gemeldeten Inhalt zu sperren ist (§ 3 Abs. 2 Ziff. 1 NetzDG).
- Bei einem «offensichtlich rechtswidrigen Inhalt» muss dieser grundsätzlich «innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder de[r] Zugang zu ihm [ge]sperrt» werden (§ 3 Abs. 2 Ziff. 2 NetzDG).
- Jeder andere rechtswidrige Inhalte muss grundsätzlich «unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt oder de[r] Zugang zu ihm [ge]sperrt» werden (§ 3 Abs. 2 Ziff. 3 NetzDG).
- Der Beschwerdeführer und der betroffene Nutzer müssen «über jede Entscheidung unverzüglich informiert» werden, wobei die Entscheidung zu begründen ist (§ 3 Abs. 5 Ziff. 4 NetzDG). Ein Rechtsmittel für betroffene Nutzer ist nicht vorgesehen.
- Entfernte Inhalte müssen während zehn Wochen zu Beweiszwecken gesichert werden (§ 3 Abs. 2 Ziff. 4 NetzDG). Ausserdem müssen alle Beschwerden und die getroffenen Massnahmen dokumentiert werden (§ 3 Abs. 3 NetzDG).
Bei einer Löschung sind die betreffenden Inhalte weltweit nicht mehr verfügbar. Bei einer Sperrung hingegen sind die betreffenden Inhalte in Deutschland nicht mehr verfügbar.
Lösch- und Sperrpflichten: Bericht, Kontrollen und behördliche Überwachung
Die Führung der sozialen Netzwerke muss die Umsetzung der Löschpflichten mit monatlichen Kontrollen überwachen und den Personen, die Beschwerden bearbeiten, «regelmäßig, mindestens aber halbjährlich deutschsprachige Schulungs- und Betreuungsangebote» machen (§ 3 Abs. 4 NetzDG). Die behördliche Überwachung erfolgt insbesondere durch das deutsche Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz (§ 3 Abs. 5 NetzDG).
Die Social Media-Plattformen müssen ausserdem halbjährlich «einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erstellen», sofern sie pro Kalenderjahr «Kalenderjahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erhalten» (§ 2 NetzDG). Der erste Bericht muss für das erste Halbjahr 2018 erstellt werden (§ 6 Abs. 1 NetzDG).
Ordnungswidrigkeiten: Bussgelder bis zu 50 Millionen Euro
Wer das NetzDG fahrlässig oder vorsätzlich verletzt, handelt ordnungswidrig und kann mit Bussgeldern von bis zu 50 Millionen Euro bestraft werden – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch im (deutschen) Ausland (§ 4 NetzDG).
Die Einspruchsfrist gegen ein Bussgeld beträgt kurze zwei Wochen nach Zustellung. Als erstes Gericht ist jeweils das Amtsgericht Bonn zuständig.
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