Wie kann man Internet-Unternehmen wie Facebook, Google und Twitter in der Schweiz stärker in die Verantwortung nehmen, ohne Grund- und Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit auszuhöhlen?
Mit Motion 18.3306 hat Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) die – unter anderem auch von mir stammende Idee – lanciert, grosse Internet-Plattformen zu einem «Briefkasten» in der Schweiz zu verpflichten. Für Behörden und Gerichte sowie Geschädigte und Opfer wäre es damit einfacher, direkt und in einer schweizerischen Landessprache mit rechtlichen Anliegen an solche Internet-Plattformen zu gelangen.
Die Motion von Balthasar Glättli unter dem Titel «Rechtsdurchsetzung im Internet stärken durch ein obligatorisches Zustellungsdomizil für grosse kommerzielle Internetplattformen» lautet wie folgt:
Wie lautet der Text von Motion 18.3306?
«Der Bundesrat wird beauftragt, die Rechtsdurchsetzung im Internet durch ein obligatorisches Zustellungsdomizil für grosse kommerzielle Internetplattformen zu stärken.
- Heute kann ein Gericht gemäss Art. 140 ZPO ein Zustellungsdomizil bezeichnen. Neu sollen grosse kommerzielle Internetplattformen obligatorisch ein Zustellungsdomizil bezeichnen müssen (zum Beispiel durch einen neuen Art. 140 Abs. 2 ZPO ‹Parteien mit Sitz oder Wohnsitz im Ausland, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzerinnen und Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzerinnen und Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen können und die mehr als 200’000 registrierte Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz haben, bezeichnen ein Zustellungsdomizil in der Schweiz und veröffentlichen das Zustellungsdomizil auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise.›)
- Auch in der Strafprozessordnung soll die Bezeichnung eines Zustellungsdomizil für grosse kommerzielle Internetplattformen obligatorisch sein (zum Beispiel durch einen neuen Art. 87 Abs. 1bis StPO ‹Adressatinnen und Adressaten mit Sitz oder Wohnsitz im Ausland, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzerinnen und Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzerinnen und Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen können und die mehr als 200’000 registrierte Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz haben, bezeichnen ein Zustellungsdomizil in der Schweiz.›)»
Begründung:
«Die Frage der Rechtsdurchsetzung im Internet ist komplex. Gemäss übereinstimmender Meinung der meisten ExpertInnen ist eine Lösung wie das Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Deutschland massiv überschiessend. Ein Risiko des Lösungsansatzes im NetzDG ist unter anderem, dass die Betreiber von Internetplattformen überreagieren und damit ein sogenannter ‹Chilling Effekt› eintritt, der aus Sicht der Grund- und Menschenrechte ebenfalls problematisch ist.
Ein unbestrittenes Element des deutschen NetzDG ist allerdings die Forderung nach einem inländischen Zustellungsdomizil. So würden Direktbetroffenen zum Beispiel bei Persönlichkeitsverletzungen wie Hate Speech etc. und bei Datenschutzverletzungen auf grossen kommerziellen Internetplattformen wie zum Beispiel Facebook ihre Klagen oder Massnahmebegehren deutlich erleichtert und beschleunigt.»
Die Motion, für die ich mit Balthasar Glättli in Kontakt stand, orientiert sich in dieser Hinsicht – und nur in dieser Hinsicht! – bewusst am bereits erwähnten «Briefkasten» gemäss dem deutschen NetzDG.
Welche Internet-Plattformen wären betroffen?
In Deutschland gibt es inzwischen Empfangsberechtigte beziehungsweise Zustellungsbevollmächtigte für Facebook, Google+, Instagram, Pinterest, SoundCloud, Twitter und YouTube.
Bei einer Grenze von mindestens 200’000 registrierten Nutzerinnen und Nutzern müssten in der Schweiz insbesondere folgende Internet-Unternehmen ein dauerhaftes Zustellungsdomizil einrichten:
- Facebook, auch für Instagram und WhatsApp
- Google, auch für Google+ und YouTube
- Microsoft, insbesondere für LinkedIn
- Snapchat
Grosse Ausländische Internet-Plattformen würden damit schweizerischen Internet-Plattform gleichgestellt. Gleichzeitig würden ausländische Startups durch die Beschränkung auf grosse Internet-Plattformen nicht benachteiligt.
Was schreiben die Medien?
Die Idee für ein Zustellungsdomizil wurde in den Medien schon verschiedentlich erwähnt, unter anderem bei «20 Minuten», im Blick und im Tages-Anzeiger.
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) widmet der Motion von Balthasar Glättli einen ausführlichen Artikel und schreibt unter anderem:
«Die Idee bezieht sich auf das «obligatorische Zustellungsdomizil», ein juristisches Mittel, das bereits heute in der Zivilprozess- wie auch in der Strafprozessordnung vorgesehen ist. Parteien im Ausland müssen dabei ein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnen – obligatorisch beziehungsweise auf Anordnung eines Gerichts. Glättlis Motion beantragt nun, dass grosse kommerzielle Internetplattformen von Gesetzes wegen eine solche Zustelladresse in der Schweiz bezeichnen müssen. «Gross» könnte zum Beispiel mehr als 200’000 registrierte Nutzer in der Schweiz bedeuten. Glättli glaubt, dass eine solche Vorschrift rasch und unkompliziert umgesetzt werden könnte – und deutliche Verbesserungen bringen würde.»
Die Motion von Balthasar Glättli ist auch als Alternative zur umstrittenen Motion 16.4082 von Ständerat Christian Levrat (SP) zu sehen. Die NZZ schreibt in diesem Zusammenhang:
«Glättlis Idee des Schweizer Zustellungsdomizils geht weniger weit als eine Forderung des SP-Ständerats Christian Levrat, die nächste Woche in der ständerätlichen Rechtskommission traktandiert ist. Levrats Motion will soziale Netzwerke verpflichten, in der Schweiz eine Vertretung einzurichten, die den hiesigen Strafverfolgungsbehörden im Bedarfsfall Daten direkt aushändigen kann. Damit soll keine internationale Rechtshilfe nötig sein.
Der Bundesrat hatte Levrats Motion vor einem Jahr abgelehnt, weil er daran zweifelt, dass sich die Forderung überhaupt durchsetzen lässt. […] Statt die Rechtshilfe einseitig zu umgehen, schreibt der Bundesrat, müsse vielmehr die internationale Kooperation gestärkt werden. Dem Vernehmen nach haben auch die vertieften Abklärungen im Auftrag der Kommission in den letzten Monaten an dieser Einschätzung nichts geändert.
Rechtsanwalt Steiger lehnt Levrats Idee ebenfalls ab, da die Firmen damit in ein Dilemma gebracht würden. Denn im Land, in dem die Daten lagern, gelten auch lokale Datenschutzgesetze. Gegen diese verstösst eine Firma womöglich, wenn sie die Daten herausgibt. Steiger gibt den umgekehrten Fall zu bedenken: ‹Wir würden es auch als Eingriff in unsere Souveränität verstehen, wenn ein mächtiges Land von einer Schweizer Firma die Herausgabe von Daten verlangen würde, ohne den Weg der internationalen Rechtshilfe zu beschreiten.›»
Bei der Motion Levrat kommt dazu, dass sie sich auf die Strafverfolgungsbehörden beschränkt. In der Praxis sind direkte zivilrechtliche Möglichkeiten für Geschädigte und Opfer aber bedeutender und – mit der Möglichkeit von (superprovisorischen) vorsorglichen Massnahmen – auch wesentlich schneller. Gerade bei Hasskommentaren ist zwar eine Bestrafung der verantwortlichen Personen häufig erwünscht, aber im Vordergrund steht die Löschung von bestehenden und die Verhinderung von künftigen Hasskommentaren.
Siehe auch: Social Media: Keine neue Regulierung gegen Fake News und Hate Speech.
Nachtrag vom 26. März 2018
Kaum im Nationalrat gefordert, nimmt die Kommission für Rechtsfragen im Ständerat (Rechtskommission, RK-S) das Anliegen der Motion Glättli mit einer eigenen Motion 18.3379 auf.
«Der Bundesrat wird beauftragt:
- Eine gesetzliche Grundlage mit folgendem Inhalt zu unterbreiten: Soziale Netzwerke, die sich mit ihren Dienstleistungen an Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten richten, verfügen über eine Vertretung oder ein Zustelldomizil in der Schweiz. Die Vertretung oder das Zustelldomizil ist Ansprechpartner für die schweizerischen Behörden und ermöglicht den Konsumentinnen und Konsumenten die einfache Einreichung von Beanstandungen.
- Auf internationaler Ebene aktiv darauf hinzuwirken, eine Lösung für das Problem der Rechtsdurchsetzung im Internet zu erzielen. Die Lösung soll schnell und effizient ausgestaltet sein, jedoch rechtsstaatliche Prinzipien wahren.»
Gleichzeitig wird die Motion Levrat 16.4082 zurückgezogen wird, wie die Rechtskommission schreibt:
«Die Kommission hat einstimmig eine Motion […] verabschiedet, die den Bundesrat beauftragt, dem Parlament eine gesetzliche Grundlage zu unterbreiten, welche die Sozialen Netzwerke verpflichtet, in der Schweiz über eine Vertretung oder ein Zustelldomizil zu verfügen. Ausserdem soll der Bundesrat auf internationaler Ebene darauf hinwirken, dass der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Daten im Ausland verbessert wird. Die Motion Levrat[…] wurde zugunsten der Kommissionsmotion zurückgezogen.»
Der Titel der Kommissionsmotion lautet zwar «Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Daten im Ausland», doch werden in der Motion ausdrücklich auch «Konsumentinnen und Konsumenten» erwähnt.
Aus meiner Sicht bleibt wichtig, dass sich alle betroffenen Personen in der Schweiz direkt zur Wehr setzen können. Gleichzeitig sollten in erster Linie grosse Internet-Plattformen in die Verantwortung genommen werden, damit weiterhin innovative Angebote durch Startups im Ausland möglich sind.
Hallo Herr Steiger – sie vergessen teilweise die weibliche Form in ihrem Text – Unternehmende sind nicht immer Männlich. Ansonsten steh ich hinter dem Text 🙂
Herzlich, Regula Sterchi
@Regula Sterchi:
Worauf genau beziehen Sie sich?