Bilder sind im schweizerischen Urheberrecht nur geschützt, wenn sie individuellen Charakter haben. Bilder ohne die notwendige Schöpfungshöhe sind nicht urheberrechtlich geschützt. Die unerwünschte Verwendung solcher Bilder ist nicht strafbar und es ist auch kein Schadenersatz geschuldet.
Diese Rechtslage hält Wladyslaw Sojka, einen langjährigen Wikipedianer aus dem deutschen Lörrach, nicht davon ab, für die Verwendung seiner Bilder kostenpflichtige Abmahnungen durch die schweizerische Anwaltskollegin Martina de Roche versenden zu lassen.
In mindestens einem Fall zog Wladyslaw Sojka in Basel vor Gericht und erlitt eine vernichtende Niederlage:
Am Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hatte Wladyslaw Sojka für die unerwünschte Verwendung des obigen Panoramabildes auf die Zahlung von 574 Franken zuzüglich Zins geklagt. Sojka hatte das Bild unter der exotischen Lizenz «Freie Kunst» bei Wikimedia Commons beziehungsweise Wikipedia veröffentlicht, wo man es auch heute noch findet – neben einigen 1000 weiteren Bildern, die ebenfalls von Sojka veröffentlicht wurden.
Die Klage wurde mit Entscheid ZK.2015.9 vom 20. Mai 2016 abgewiesen. Sojka musste Gerichtskosten von 600 Franken bezahlen und der obsiegenden Gegenpartei eine (bescheidene) Entschädigung von 864 Franken einschliesslich Mehrwertsteuer bezahlen.
Das Gericht begründete sein Urteil unter anderem mit dem fehlenden urheberrechtlichen Schutz, sah aber unabhängig davon keinen Anlass für Schadenersatz, wie die ausführliche Urteilsbegründung zeigt.
Urteilsbegründung: Kein urheberrechtlicher Schutz …
Die Klage scheiterte bereits daran, dass Wladyslaw Sojka die falsche Gegenpartei eingeklagt hatte:
«[…] Wie der Kläger vor diesem Hintergrund die Passivlegitimation einer anderen Gesellschaft […] herleitet, geht aus der klägerischen Begründung nicht hervor. Die Behauptungs- und Beweislast für die Tatsachen, welche die Passivlegitimation begründen, obliegt aber dem Kläger. Dieser Obliegenheit ist er nicht genügend nachgekommen, weshalb die Klage bereits mangels Passivlegitimation der Beklagten abzuweisen ist.»
Die Klage war auch aus urheberrechtlichen Gründen abzuweisen, wie das Gericht ausdrücklich festhielt (mit Hervorhebungen):
«Der Kläger stützt seinen Anspruch auf das Urheberrecht ab. Die Beklagte bestreitet, dass es sich bei der Fotografie des Klägers um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handle […].
Gemäss Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG) sind urheberrechtlich geschützte Werke, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben. […] Eine Fotografie ist demnach dann ein Werk im Sinne des Urheberrechts, wenn sie eine geistige Schöpfung mit individuellem Charakter ist. Lediglich handwerklich gekonnte Fotografien sind nicht geschützt. Nicht der Herstellungsvorgang, sondern das Ergebnis muss Ausdruck einer Gedankenäusserung mit individuellem Charakter sein […]. Als geistige Schöpfung muss das Werk auf menschlichem Willen beruhen und es muss Ausdruck einer Gedankenäusserung sein […].
Der Kläger behauptet, bei der Fotografie handle es sich um ein aufwändiges sogenanntes Stichting, bei dem Einzelbilder mit Hilfe einer speziellen Software zu einer Panoramaaufnahme zusammengerechnet würden […]. Zwar dienten das Rheinknie mit dieser Perspektive des Rheins und das Kleinbasel seit langer Zeit als Bildmotiv und die Aussicht vom Münsterturm stelle ein klassisches Postkartenmotiv dar, aber gerade das Kleinbasel befinde sich seit Jahrhunderten im Wandel. Seit der Panoramaaufnahme von Anton Winterlin um das Jahr 1865 […] habe sich die gesamte Stadtanordnung geändert, insbesondere kämen immer mehr Hochhäuser, unter anderem der Messeturm, dazu. Die klägerische Bildkomposition verfüge daher über eine andere Bildkomposition als z.B. das aktuelle Bild der Beklagten, auf dem auch der Rocheturm zu sehen sei. Damit sei die statistische Einmaligkeit […] gegeben […]. Eine Rolle spielten auch der Zeitpunkt des Auslösens sowie die Nachbearbeitung der Einzelbilder des Klägers […].
Die Beklagte bestreitet die Werkqualität der klägerischen Fotografie. Sie macht geltend, es liege keine besondere Bildgestaltung vor, zumal sich die panoramische Sichtweise von dieser Stelle aus aufdränge. Besondere Lichteffekte oder Einstellungen seien auf dem Bild nicht ersichtlich. Auch wenn das Bild des Klägers allenfalls handwerklich gekonnt sei, weise es im Ergebnis keine Individualität auf. Die klägerische Fotografie lasse sich ohne nennenswerten Aufwand beliebig reproduzieren, was unter anderem ein ‹Experiment› mit einem iPhone 6 und einer Canon Powershot mit einfacher Stichting Software zeige […]. Der Bereich der klägerischen Fotografie lasse sich nicht monopolisieren; das Motiv werde seit langer Zeit gewählt und dargestellt. Von statistischer Einmaligkeit könne keine Rede sein […].
Den Ausführungen der Beklagten kann vorbehaltlos gefolgt werden: Bildausschnitt und Proportionen der klägerischen Fotografie sind nicht originell oder individuell; es handelt sich bei der klägerischen Fotografie um ein Bild, das – vor allem mit den heute vorhandenen technischen Hilfsmitteln – auch andere in gleicher oder zumindest sehr ähnlicher Weise zustande bringen können […]. Es hebt sich vom allgemein Üblichen nicht in relevanter Weise ab […]. Mit welcher Technik oder welchem Aufwand das Ergebnis erzielt wurde, ist nicht relevant. Dass sich die Stadt baulich verändert und damit auch die Ansicht auf das Kleinbasel, hat nichts mit der Bildkomposition und der statistischen Einmaligkeit beziehungsweise Originalität zu tun. Nicht das abgebildete Motiv muss originell sein und individuellen Charakter aufweisen, sondern das Werk; es geht um die statistische Einmaligkeit der Bildgestaltung […]. Mit seinen anderslautenden Ausführungen […] verkennt der Kläger die Anforderungen an ein Werk im Sinne von Art. 2 URG. Der klägerischen Fotografie kommt somit keine Werkqualität im Sinne des Urheberrechts zu. Eine Verwendung der Fotografie kann daher auch keine Verletzung von Urheberrechten darstellen. Damit kann offen gelassen werden, ob es sich bei der Fotografie […] überhaupt um diejenige des Klägers handelt. Die Klage ist daher auch aufgrund dieser Erwägungen abzuweisen.»
Das Panoramabild ist nicht urheberrechtlich geschützt, das heisst es ist gemeinfrei und Teil der Public Domain in der Schweiz.
… und in jedem Fall auch kein Schadenersatz
Auch bei einem urheberrechtlichen Schutz wäre kein Schadenersatz geschuldet gewesen, wie das Gericht weiter ausführte (mit Hervorhebungen):
«Der Kläger macht einen Anspruch auf Schadenersatz gestützt auf Art. 62 Abs. 2 URG in Verbindung mit Art. 41 OR geltend […]. Wie soeben ausgeführt, liegt kein urheberrechtlich geschütztes Werk vor, weshalb es bereits an der für die Zusprechung von Schadenersatz erforderlichen Widerrechtlichkeit fehlt. Vorausgesetzt wäre zudem das Vorliegen eines Schadens. Schaden im Rechtssinn ist eine unfreiwillige Vermögenseinbusse […]. Dabei kann es sich um eine Verminderung der Aktiven, eine Erhöhung der Passiven oder um entgangenen Gewinn handeln. Der Schaden ist vom Kläger substantiiert zu behaupten und soweit möglich nachzuweisen (Art. 8 ZGB). Nur der ziffernmässig nicht nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Gerichts abzuschätzen (Art. 42 Abs. 1 und 2 OR).
Der Kläger behauptet, der eingeklagte Betrag von CHF 574.− setzte sich aus CHF 200.− (Schadenersatz in Höhe einer Lizenzgebühr), CHF 324.− (Schadenersatz für Anwaltskosten inkl. MWST) und CHF 50.− (Auslagenpauschale) zusammen. Er macht geltend, bei der Bemessung des Schadenersatzes werde gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Sinne der Lizenzanalogie auf den Betrag abgestellt, welcher der Verletzer als Lizenzgebühr hätte aufwenden müssen. CHF 200.− seien für einen solchen Fall üblich. Die Anwaltskosten seien ein mittelbarer Schaden und im Umfang einer Stunde geschuldet, zuzüglich MWST und CHF 50.− Auslagen […]. Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger einen Schaden erlitten habe. Die Lizenzanalogie komme nur bei der Schadensberechnung zum Zuge, setzte aber einen tatsächlich erlittenen Schaden voraus, etwa, dass dem Kläger tatsächlich eine Lizenzgebühr entgangen sei […]. Der Kläger habe jede substantiierte Behauptung zu einem eingetretenen Schaden unterlassen […]. Hinzu komme, dass die veröffentlichte Fotografie des Klägers kostenlos benutzt werden dürfe, wenn sein Name und seine Internetseite genannt würden. Dass die Unterlassung dieser Angaben zu einem Schaden geführt haben soll, lege der Kläger nicht dar […]. Dazu führt der Kläger in der Replik aus, die Nutzung seiner Fotografie sei nur zulässig und kostenlos, wenn die Bedingungen der Lizenz ‹Freie Kunst› eingehalten würden. Als Gegenleistung für die kostenlose und nichtgewerbliche Nutzung müssten die Lizenzbedingungen eingehalten werden. Da die Beklagte diese Bedingungen nicht eingehalten habe, bedürfe die gewerbliche Nutzung eines Lizenzvertrags […]). Da die Beklagte den Namen und die Webseite des Klägers nicht genannt habe, müsse sie die gewerbliche Nutzung entgelten. Dies sei der entgangene Gewinn des Klägers. Die Beklagte hält dem entgegen, dem Kläger sei keine Lizenzgebühr entgangen, denn bei Abschluss eines Lizenzvertrages gemäss den vom Kläger verlangten Bedingungen wäre die Nutzung kostenlos erfolgt […].
Bei der Berechnung des Schadens ist zu prüfen, welchen Stand das klägerische Vermögen tatsächlich hat und welchen Stand es hätte, wenn das – vorliegend gar nicht gegebene – schädigende Ereignis ausgeblieben wäre […]. Hätte die Beklagte die Fotografie des Klägers gar nicht verwendet, wäre dem Kläger keine Lizenzgebühr zugekommen. Hätte die Beklagte die Fotografie unter Nennung des Namens und der Webseite des Klägers verwendet, wäre ihm ebenfalls keine Lizenzgebühr zugekommen. Der Kläger beabsichtigt gar nicht, seine Bilder gegen Entgelt anderen zur Verwendung zur Verfügung zu stellen. Von daher ist nicht schlüssig, inwiefern ihm ein Schaden in Form von entgangenem Gewinn entstanden sein soll. Der Kläger behauptet denn auch nicht einmal, es sei ihm tatsächlich eine Lizenzgebühr entgangen oder er habe aufgrund der unterlassenen Namensnennung eine Vermögenseinbusse erlitten. In diesem Punkt hat der Kläger keinen Schaden nachgewiesen.
Anwaltskosten und Auslagen des Anwalts werden im Schweizerischen Zivilprozessrecht grundsätzlich im Rahmen der und nach den Regeln betreffend die Prozesskosten (Art. 95 ff. ZPO) beurteilt. Ausserhalb dieses Rahmens sind sie nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Zusprechung von Schadenersatz zuzusprechen. Insbesondere müsste der Kläger darlegen, dass es sich bei den geltend gemachten Beträgen um Schaden im Rechtssinne, also um eine unfreiwillige Vermögenseinbusse, handelt. Das hat er nicht im Ansatz getan. Die Ausführungen in der Replik, wonach die Fotografien des Klägers jährlich etwa 200mal widerrechtlich verwendet würden und die Beschreitung des Rechtswegs notwendig sei, was Geschädigte auch bei guter Allgemeinbildung rasch überfordere […], sind nicht belegt und ohne Bezug zum konkreten Fall. Nicht belegt und auch nicht substantiiert sind der behauptete Aufwand von einer Stunde oder die angeblichen Auslagen. Inwiefern im Übrigen bei einem Kläger mit Wohnsitz im Ausland MWST geschuldet sein soll, wird ebenfalls nicht erläutert. Auch in diesem Punkt hat der Kläger keinen Schaden nachgewiesen.
Die Klage ist daher auch mangels Nachweises eines Schadens abzuweisen.»
Das Basler Urteil entspricht der deutschen Creative Commons-Rechtsprechung. Anwaltskollege Markus Kompa in Deutschland hat erst kürzlich einen Überblick über diese Rechtsprechung veröffentlicht.
In der Schweiz haben Abgemahnte den zusätzlichen Vorteil, dass Schadenersatz für aussergerichtliche Anwaltskosten faktisch nicht durchsetzbar ist.
Wladyslaw Sojka: Weiterhin Abmahnungen trotz Urteil
Das Urteil hält Wladyslaw Sojka bis heute nicht davon ab, weiterhin kostenpflichtige Abmahnungen für das Panoramabild und vergleichbare Bilder, die bei Wikimedia Commons / Wikipedia veröffentlicht wurden, versenden zu lassen. Mit diesen Abmahnungen wird neben der Zahlung von Schadenersatz auch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gefordert, wie man es ansonsten vor allem von deutschen Abmahnanwälten kennt.
Der geforderte Gesamtbetrag beträgt weiterhin rund 574 Franken, wobei Anwaltskollegin de Roche immer noch behauptet, ihrem ausländischen Mandanten die schweizerische Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen. Der Gesamtbetrag ist so gewählt, dass zahlreiche Abmahnte «freiwillig» zahlen dürften, zumal die Abmahnungen – zumindest für Laien – einschüchternd formuliert sind:
«Mein Mandant ist grundsätzlich an einer gütlichen Erledigung der Angelegenheit interessiert und hofft, auf rechtliche Schritte verzichten zu können. Trotzdem weise ich Sie vorsorglich darauf hin, dass ich für den Fall des fruchtlosen Fristablaufes bereits beauftragt bin, die Schadenersatz- und Unterlassungsansprüche meines Mandanten ohne weitere Mitteilung gerichtlich durchzusetzen. Da Ihre Handlungen gemäss Art. 68 und 69 URG einen strafrechtlich relevanten Tatbestand erfüllen, bin ich ebenfalls beauftragt, eine Strafanzeige gegen Sie zu erstatten.»
Angesichts der Rechtslage ist klar, wieso Sojka an einer «gütlichen Erledigung der Angelegenheit» interessiert ist, denn rechtliche Schritte wären aussichtslos. Insofern ist es unglaubwürdig, dass Anwaltskollegin de Roche für den Fall, dass nicht bezahlt wird, bereits mit straf- und zivilrechtlichen Schritten beauftragt sein soll.
Die Abmahnfalle scheint aber auch so zu funktionieren, denn ansonsten würde Sojka nicht weiterhin seine fragwürdigen Abmahnungen versenden lassen.
Wer mit Verweis auf das schweizerische Urheberrecht behauptet, das Panoramabild sei urheberrechtlich geschützt, setzt sich dem Vorwurf aus, Copyfraud zu begehen.
Bilder: Rheinknie in Basel – Wikimedia Commons / Wladyslaw (Sojka), Lizenz «Freie Kunst»; Wasserkraftwerk Laufenburg – Wikimedia Commons / Wladyslaw (Sojka), Lizenz «Freie Kunst».