Zensur im Internet: Wie geht es weiter mit Netzsperren in der Schweiz?

Foto: StacheldrahtDie Geldspiel-Industrie in der Schweiz hat es geschafft: Mit viel Geld und einer faktenfreien Kampagne im Stil von Donald Trump wurde erreicht, dass Parlamentarier und Stimmvolk dem neuen Geldspielgesetz (GSG, offiziell abgekürzt BGS) und damit insbesondere Heimatschutz mit Netzsperren zugestimmt haben.

Wie geht es nun weiter mit Netzsperren in der Schweiz?

Geldspielgesetz: Netzsperren gegen ausländische Konkurrenz

Mit dem neuen Geldspielgesetz werden Fernmeldedienstanbieter in der Schweiz – zum Beispiel Init7, Salt, Sunrise, Swisscom und UPC – erstmals gesetzlich verpflichtet, den Zugang zu Angeboten im Internet zu sperren (Art. 86 ff. BGS). Die Schweiz gehört damit zu den Staaten, die Internet-Zensur betreiben:

  • Zwei Behörden – die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) und die interkantonale Behörde (Comlot) – führen und veröffentlichen entsprechende Sperrlisten von Online-Geldspielen, die in der Schweiz nicht bewilligt sind. Fernmeldedienstanbieter müssen solche Angebote sperren.
  • Ausländische Anbieter haben keine Möglichkeit, eine Bewilligung zu erhalten, denn mit den Netzsperren sollen die schweizerische Geldspiel-Industrie vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden («Das Parlament schützt Kasinos statt Spieler»).

Momentan läuft die Vernehmlassung zu den Verordnungen zum neuen Geldspielgesetz. Das neue Geldspielgesetz könnte am 1. Januar 2019 in Kraft treten.

Fernmeldegesetz: Netzsperren gegen verbotene Pornografie

Mit dem revidierten Fernmeldegesetz (FMG) sollen Fernmeldedienstanbieter in der Schweiz gesetzlich verpflichtet werden, den Zugang zu Internet-Angeboten mit verbotener Pornografie gemäss Art. 197 Abs. 4 u. 5 StGB zu sperren (Art. 46a Abs. 2 E-FMG):

  • Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) würde eine geheime Sperrliste führen, an die sich die Fernmeldedienstanbieter halten müssten. Heute sperrt ein Teil der Fernmeldedienstanbieter solche Angebote freiwillig.
  • Netzsperren dieser Art bedeuten, dass man – an Zynismus kaum zu überbieten! – insbesondere die Augen vor kinderpornografischen Angebote verschliesst anstatt den bewährten Ansatz «Löschen statt Sperren» zu verfolgen.

Die Revision wird momentan von den parlamentarischen Kommissionen beraten. Die nationalrätliche Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF-N) führte in diesem Frühjahr Anhörungen unter anderem im Zusammenhang mit den geplanten Netzsperren durch. Es ist noch nicht absehbar, wann das revidierte Fernmeldegesetz in Kraft treten könnte.

Urheberrechtsgesetz: Netzsperren gegen «Internet-Piraterie»

Für das revidierte Urheberrechtsgesetz (URG) waren ursprünglich Netzsperren gegen «Internet-Piraterie» geplant, sind im aktuellen Entwurf aber nicht mehr enthalten.

Allerdings zählen Netzsperren zu den zentralen Forderungen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Sie wurden deshalb sowohl von amerikanischen Lobbyisten in der Schweiz als auch am vertraulichen Runden Tisch zwischen der Schweiz und den USA gefordert. Aus taktischen Gründen verzichtete die Unterhaltungsindustrie im Vorfeld der Volksabstimmung über das Geldspielgesetz weitgehend auf Äusserungen zu Netzsperren.

Eigentlich kann die amerikanische Unterhaltungsindustrie nur gewinnen:

  • Mit den Netzsperren gemäss BGS kann die Unterhaltungsindustrie gegenüber dem Parlament argumentieren, auch das revidierte Urheberrechtsgesetz müsse – wie ursprünglich geplant – Netzsperren vorsehen.
  • Gleichzeitig versucht die Unterhaltungsindustrie, mit einem Musterprozess gegen Swisscom vor dem Handelsgericht des Kantons Bern und danach allenfalls vor dem Bundesgericht die Einführung von Netzsperren auf dem Rechtsweg zu erreichen, was in anderen Ländern bereits funktioniert hat. Sollte der Rechtsweg nicht funktionieren, kann auf die Notwendigkeit von Netzsperren im revidierten Urheberrechtsgesetz verwiesen werden.
  • Weiter kann die Unterhaltungsindustrie darauf zählen, dass der langjährige Druck – durch ihre Lobbyisten und direkt über die USA – früher oder später Wirkung zeigt. Die heutige Schweiz möchte sich nicht leisten, die Amerikaner in wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu verärgern.

Netzsperren: Weitere Begehrlichkeiten in anderen Branchen

Mit Begehrlichkeiten aus anderen Branchen ist zu rechnen, zum Beispiel:

  • Die schweizerische IT-Industrie könnte fordern, dass der Zugang auf die meist funktional und preislich überlegenen Software as a Service (SaaS)-Angebote von amerikanischen Anbietern – beispielsweise WhatsApp – gesperrt wird («Datenschutz»).
  • Der Einzelhandel könnte versuchen, den digitalen Einkaufstourismus weiter einzuschränken («Konsumentenschutz»).
  • Die Hotellerie könnte fordern, dass man Airbnb und Booking.com nicht nur reguliert, sondern gleich verbietet und dieses Verbot mit Netzsperren durchzusetzen versucht. Dito die Taxifahrer für Uber …
  • Die traditionellen Massenmedien könnten nicht nur zusätzliche Subventionen fordern, sondern auch Netzsperren gegen unliebsame Konkurrenz («Fake News»), zumal zahlreiche Staaten bereits entsprechende Schritte planen («Rapid Response Mechanism», RRM) …

Weitere Informationen über Netzsperren in der Schweiz


Nachtrag

«Die Swisscom ist nicht dafür verantwortlich, dass Kunden illegal kopierte Filme streamen. Ein Berner Gericht hat die Klage eines Zürcher Filmverleihs abgewiesen.»

(Via @dhuerlimann.)

Bild: Pixabay / elljay, Public Domain.

14 Kommentare

  1. Tragisch, dass es bei den Diskussionen um das Urheberrecht immer nur um das Geldmachen geredet wird. Dabei geht völlig vergessen, worum es beim Urheberrecht wirklich geht: Kunst und Kultur!

    1. @Simon:

      «Dabei geht völlig vergessen, worum es beim Urheberrecht wirklich geht: Kunst und Kultur!»

      Das geht nicht vergessen, aber dafür benötigt man längst kein Urheberrecht mehr. Es gibt ja erfreulicherweise keinen Mangel an Kultur und Kunst …

  2. Ich bin total erschrocken über das so positive Resultat von heute, welches mit der Abstimmung für die Casinos und gegen das Internet geführt wurde.
    Wir bewegen uns klar in die Richtung von China… die Leute werden mit fake News gefüttert und merken es nicht. Subtil werden nun mehr und mehr Bereiche geschlossen werden. Und bald haben wir ein China in der Schweiz, wo die Leute bevormundet werden.
    Und Gesetze, die auf mehr Überwachung in öffentlichen Räumen zielen, haben immer weniger Widerstand. Ständig wird mit Angst argumentiert.
    Die Einnahmen aus den Casinos der Schweiz werden bestimmt massiv tiefer ausfallen als erwartet. Aber der erste Schritt in einen Staat, der uns mehr und mehr kontrolliert und die Leute merken es nicht, ist mit dem heutigen Resultat vollbracht. Ein schwarzer Sonntag für mich.
    Das muss unbedingt mit einer Initiative bekämpft werden, dass das ausgeschlossen wird.

  3. Wie ist die Situation bei Online-Spiele wie zbsp PSN oder Xbox? Oder CS:GO und der gleichen? Vor allem bezüglich Mikro-Transaktionen / Ingame Purchases oder Skin-käufe/Tausch etc. Oder ist das davon gar nicht betroffen?

    1. Eine interessante Frage. Soweit Mirkotransaktionen einfach Kauf/Tausch sind (ingame-Purchases), scheint das BGS mir eher nicht anwendbar. Mit Blick auf die Mirkotransaktionen, die eine Zufallskomponente enthalten und nicht einfach ein gewöhnlicher Kauf oder Tausch sind, scheint es mir aber nicht so klar. Daruf abgezielt hat der Gesetzgeber sichier nicht. Allein vom Wortlaut des Gesetzes her kann ich es zumindest auf den ersten Blick aber auch nicht ausschliessen. Geldspiele werden definiert als «Spiele, bei denen gegen Leistung eines geldwerten Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts ein Geldgewinn oder ein anderer geldwerter Vorteil in Aussicht steht.» Eine in-game gekaufte Loot-Box, die einem zufällig einen virtuellen Gegenstand gibt (oder eben auch nicht), könnte meines Erachtens in gewissen Konstellationen schon unter diese Definition fallen. Gerade wenn entsprechende virtuelle Gegenstände auch käuflich erworben werden könnten (oder allenfalls verkauft werden können), wäre es wohl schwierig, zu sagen, sie seien kein geldwerter Vorteil. Analoges gilt für den «Wetteinsatz» in virtueller Spielwährung. Lieber Herr Kollege Steiger, wissen Sie, ob sich mit diesem Aspekt in der Schweiz schon jemand näher befasst hat?

      1. PS: Die gleiche Frage hätte man wohl schon unter geltendem Lotteriegesetz stellen können, das eine ähnliche Definition für «Lotterien» kennt. Dort ist die Anwendbarkeit auf Loot-Boxen – vermutlich – eher zu verneinen. Zumindest war es wohl in der Praxis bisher nie ein Thema. Allerdings scheint es im Ausland sogar Bemühungen zu geben, spezialgesetzlich entsprechende Verbote für Loot-Boxen (etc.) zu erlassen:
        https://www.bbc.com/news/technology-43906306

  4. Sportwetten – hab nochmals den Gesetzestext nachgelesen. Dort steht 1. Kapitel, Art.1
    Dieses Gesetz gilt nicht für:
    a) Geldspiele im privaten Kreis
    b) Geschicklichkeitsspiele, die weder automatisiert noch interkantonal noch online durchgeführt werden
    c) Sportwettkkämpfe
    Was gilt nun in Bezug auf Sportwetten?

  5. Sogar meine Beschwerde über eine erfolgte Zensur vom Migros-Magazin hinsichtlich meines Kommentars zur Antwort auf eine Kinderfrage wurde gelöscht. Sie hatte folgenden Wortlaut:

    «Ich verstehe nicht, warum mein Kommentar gelöscht wurde, welcher darauf hinwies, daß es nie einen «Urknall» gegeben hat. Dürfen unangenehme Wahrheiten sogar in der Schweiz nicht bekannt werden? Insbesondere sollten doch nicht schon Kinder falsch indoktriniert werden!»

    Hinweis:
    Die auf der nicht von mir betriebenen, sondern lediglich meine Person betreffenden Website angegebene Adresse ist nicht mehr gültig.

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