Urteil: Freispruch für Flugverkehrsleiter nach Beinahe-Kollision am Flughafen Zürich

Foto: Flugzeug beim Rollen am Boden (am Flughafen Manchester)

Am Flughafen Zürich hatte am 15. März 2011 ein Flugverkehrsleiter der Flugsicherung Skyguide zwei Flugzeugen auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 jeweils die Startfreigabe erteilt. In der Folge kam es, so die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle (SUST) in ihrem Schlussbericht 2136 vom 2. Mai 2012, zu einer «unbeabsichtigten Annäherung», die ein «hohes Kollisionsrisiko aufwies.»

Auf Grundlage des SUST-Schlussberichtes eröffnete die Staatsanwaltschat Winterthur / Unterland am 22. Mai 2012 ein Strafverfahren gegen den betreffenden Flugverkehrsleiter und erhob schliesslich Anklage am Bezirksgericht Bülach wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 StGB).

Mit Urteil GG140060 vom 7. Dezember 2016 sprach das Bezirksgericht Bülach den beschuldigten Flugverkehrsleiter frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, nachdem die Staatsanwaltschaft Berufung beim zuständigen Obergericht des Kantons Zürich erklärt hat. Damit dauert das Strafverfahren inzwischen über sechs Jahre.

Urteil vom 7. Dezember 2016 im Volltext

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hatte das erstinstanzliche Urteil wie folgt auf den Punkt gebracht:

«Das Bezirksgericht Bülach entlastet einen Fluglotsen, der zwei Flugzeugen auf sich kreuzenden Pisten die Startfreigabe erteilte. Kritik äussert der Richter dagegen an der Flugsicherung Skyguide.»

Das Urteil ist bislang nicht veröffentlicht worden, weshalb ich es im anonymisierten Volltext beim Bezirksgericht Bülach bestellte. Die Kosten für diese Förderung der Justizöffentlichkeit betrugen einen Franken pro Urteilsseite, das heisst insgesamt 76 Franken.

Gefährdung der «Just Culture» in der Schweizer Luftfahrt

Das Urteil ist ein Beispiel dafür, wie schweizerische Behörden die Fehlerkultur beziehungsweise «Just Culture» in der Luftfahrt gefährden:

Die hohe Sicherheit in der Zivilluftfahrt geht insbesondere darauf zurück, dass konsequent aus Fehlern gelernt wird. Fehler müssen von Flugverkehrsleitern, Piloten und anderen Beteiligten deshalb straffrei gemeldet werden können. Alle Beteiligten in der Luftfahrt müssen ohne Angst vor Strafverfolgung arbeiten können, denn ansonsten leidet die Flugsicherheit.

Die Fehlerkultur wird einerseits durch die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle
(SUST) in Frage gestellt. Die rechtliche Würdigung von Unfällen und Vorfällen ist erklärtermassen nicht Aufgabe der SUST, aber unter der Leitung von Daniel Knecht hat die SUST einen inquisitorischen Stil entwickelt, seit die Möglichkeit einer Prüfung durch die Eidgenössische Flugunfallkommission als Rechtsmittel per 1. November 2011 abgeschafft wurde.

Andererseits eröffnen Bundesanwaltschaft und kantonale Staatsanwaltschaften seit einigen Jahren gezielt Strafverfahren gegen Flugverkehrsleiter und Piloten, wofür üblicherweise der SUST-Schlussbericht die Grundlage bildet. Im vorliegenden Fall dauerte es nicht einmal drei Wochen vom Bericht bis zum Strafverfahren …

Im vorliegenden Fall fällt ausserdem auf, dass eine Mitarbeiterin beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) vom Gericht als Gutachterin beauftragt wurde. Das BAZL übt die Aufsicht über die Flugsicherung Skyguide aus, was eigentlich einen Ausstandsgrund für die betreffende Mitarbeiterin hätte darstellen müssen (Art. 56 lit. b StPO). Immerhin scheint dieses Gutachten – soweit ersichtlich – dem Beschuldigten nicht geschadet zu haben

Fazit: Strafverfahren statt «Just Culture»

Im Ergebnis können sich Flugverkehrsleiter, Piloten und andere Beteiligte in der schweizerischen Luftfahrt nicht (mehr) auf die «Just Culture» verlassen:

Sie müssen von einer «Blame Culture» ausgehen und jederzeit damit rechnen, aufgrund von Fehlern in belastende und langwierige Verfahren verwickelt zu werden. Eine Untersuchung der SUST sollte deshalb im Zweifelsfall wie ein Strafverfahren behandelt werden, wozu unter anderem die Begleitung durch einen Rechtsanwalt gehört. Ansonsten erhöht sich das Risiko, dass betroffene Personen der SUST erleichtern, den Strafverfolgungsbehörden eine Steilvorlage für eine Verurteilung zu liefern.

Siehe auch: Flugsicherung Skyguide – Anklage und Urteile im Überlingen-Prozess.

Offenlegung: Rechtsanwalt Martin Steiger war von 2008 bis 2013 als Arbeitnehmer für die Flugsicherung Skyguide tätig.

Foto: Pixabay / Hiljon, Public Domain-ähnlich.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Felder mit * sind Pflichtfelder.