Kabelaufklärung: Bundesverwaltungsgericht verweigert Recht auf Beschwerde gegen Massenüberwachung

Foto: GlasfaserkabelMit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) wurde per 1. September 2017 in der Schweiz unter anderem die Kabelaufklärung legalisiert:

Telekommunikationsunternehmen müssen den Datenverkehr im Internet – auch Inhalte – für die Massenüberwachung durch den Geheimdienst zur Verfügung stellen. Der Datenverkehr wird vom militärischen Zentrum für elektronische Operationen (ZEO) gefiltert und die Ergebnisse gehen an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB).

Da sich der Geheimdienst geweigert hatte, die Kabelaufklärung zu unterlassen, gelangte die Digitale Gesellschaft am 30. Oktober 2017 mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Wie die Digitale Gesellschaft heute schreibt, weigerte sich das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil A-6143/2017 vom 4. Juni 2019, in der Sache zu entscheiden:

«Kabelaufklärung – Mutloses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Massenüberwachung durch den schweizerischen Geheimdienst

Die Kabelaufklärung ist ein Teil der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den schweizerischen Geheimdienst. Mit der Kabelaufklärung wird der Datenverkehr zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt umfassend erfasst und überwacht.

Die Kabelaufklärung verletzt schwerwiegend das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre, höhlt Berufsgeheimnisse aus und untergräbt den Quellenschutz sowie das Redaktionsgeheimnis. […]

Nun liegt das Urteil vor. Das Bundesverwaltungsgericht spricht den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern das Recht auf Beschwerde ab. Es begründet seine mutlose Haltung damit, dass mit dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht die Möglichkeit bestehe, die Verletzung von Grundrechten durch den Geheimdienst zu rügen und damit eine ‹rechtmässige› Überwachung gerichtlich durchzusetzen.

Und weiter:

«Diese Darstellung ist offensichtlich nicht zutreffend, denn die Massenüberwachung beginnt bereits beim automatisierten Scannen der Datenströme. Dabei wird gerade nicht nur verdächtige Kommunikation beziehungsweise nicht nur die Kommunikation (bereits) verdächtiger Personen erfasst. Es wird im Gegenteil möglichst viel Kommunikation möglichst vieler Personen erfasst, um diese gesamthaft scannen und mit tausenden geheimen Suchbegriffen auswerten zu können. Die Massenüberwachung erfolgt durch das Zentrum für elektronische Operationen (ZEO) der Schweizer Armee, das Treffer an den Geheimdienst weiterreicht.

Die überwachten Personen verfügen gerade nicht über ein Auskunftsrecht, das bereits diese Massenüberwachung umfasst. Ein – beschränktes – Auskunftsrecht besteht lediglich für Daten, die nachträglich in einem geheimdienstlichen Informationssystem abgespeichert werden. Eine solche Speicherung beim Geheimdienst erfolgt erst, nachdem die gescannten Datenströme zu einem Treffer geführt haben und ein solcher Treffer einer Person zugeordnet wurde. In jedem Fall kann die Auskunft aufgeschoben werden und Auskunft wird nur erteilt, ‹sobald kein Geheimhaltungsinteresse mehr besteht›.

Die Kabelaufklärung betrifft alle Menschen in der Schweiz und viele Menschen in aller Welt. Mit seinem Urteil nimmt das Bundesverwaltungsgericht den überwachten Personen den rechtsstaatlichen Anspruch, sich gegen Massenüberwachung wehren zu dürfen. Ausserdem entzieht sich das Bundesverwaltungsgericht der Verantwortung, sich inhaltlich mit der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den Geheimdienst auseinandersetzen zu müssen.

Brisant am Urteil ist, dass das Bundesverwaltungsgericht auch dafür zuständig ist, Aufträge zur Kabelaufklärung zu genehmigen. Das Gericht hält seine Genehmigungsentscheide geheim. Gemäss NDG genehmigt das Gericht nicht etwa einzelne Suchbegriffe, sondern erhält vom NDB lediglich Kategorien von Suchbegriffen vorgelegt.

[…]

Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern auf Seiten der Digitalen Gesellschaft sind [unter anderem] Serena Tinari (Recherchejournalistin und Präsidentin von investigativ.ch), Noëmi Landolt (Journalistin und Buchautorin «Mission Mittelmeer»), Marcel Bosonnet (Rechtsanwalt von Edward Snowden), Andre Meister (netzpolitik.org) [und] Heiner Busch (Solidarité sans frontières) […].

Das Gericht urteilte in der Besetzung mit Kathrin Dietrich (CVP, Vorsitz) sowie Christoph Bandli (SVP) und Jürg Steiger (SVP). Gerichtsschreiber war Benjamin Strässle-Kohle.»

Das Verfahren geht voraussichtlich am Bundesgericht weiter:

«Die Digitale Gesellschaft wird gegen das Urteil an das Schweizerische Bundesgericht gelangen. Das Verfahren ist Teil der strategischen Klagen der Digitalen Gesellschaft für Freiheitsrechte in einer digitalen Welt. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist bereits die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz hängig

Die Digitale Gesellschaft setzt sich für Freiheitsrechte in einer vernetzten Welt ein. Dafür benötigt sie Unterstützung durch Gönner, Mitglieder und Spender.

Bild: Flickr / Dennis Knake (QSC AG), «Glasfaser für die Gropiusstadt», CC B-SA 2.0 (generisch)-Lizenz.

4 Kommentare

  1. Sehr fragwürdig ist meiner Ansicht nach, dass das BVGer von einem innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeht, namentlich dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht. Mit einem Auskunftsgesuch kann aber keine Unterlassung einer Handlung gefordert werden. Ein innerstaatliches Rechtsmittel, welche alle Forderungen der Beschwerdeführenden abdeckt, ist nicht vorhanden, weshalb eine Klage beim EGMR zulässig ist. Nebenbei: Es handelt sich um eine konkrete Normenkontrolle, nicht um eine abstrakte, wie das BVGer weismachen will.

  2. Heute muss jeder Mensch seine Privatsphäre selber mit Verschlüsselung schützen. In der Schweiz haben wir dafür wichtige gegen Massenüberwachung geschützte APPs: ProtonMail für verschlüsselte E-Mails und VPN Verbindungen, OpusTel mit verschlüsselten Telefongesprächen und Festnetz-Nummer auf dem Handy und Threema für abhörsicheren Chat. Massnahmen gegen Massenüberwachung sind erlaubt, aber jeder Bürger muss es selber gezielt installieren und nutzen.

    1. @Urs Loeliger:

      Die erwähnten Dienste schützen gerade nicht vor Massenüberwachung in der Schweiz. Nehmen wir Ihr eigenes OpusTel-Angebot (via TelePhoenix AG):

      Wie verhindern Sie Massenüberwachung? Wie halten Sie Ihr Versprechen von «überprüfbar abhörsichere verschlüsselte Telefongesprächen»?

      Als schweizerische Fernmeldedienstanbieterin unterliegen Sie umfassenden Auskunfts-, Aufbewahrungs- und Überwachungspflichten.

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