Netzsperren: Staatliche Internet-Zensur in der Schweiz seit dem 1. Juli 2019

Foto: Burgmauer mit SchiessscharteSeit dem 1. Juli 2019 gibt es in der Schweiz erstmals staatliche Internet-Zensur mit Netzsperren. Grund dafür ist das neue Bundesgesetz über Geldspiele (Geldspielgesetz, BGS).

Art. 86 BGS verpflichtet Fernmeldedienstanbieterinnen wie green.ch, Init7, Salt, Sunrise, Swisscom und UPC zur «Sperrung des Zugangs zu nicht bewilligten Spielangeboten». Mit den Netzsperren sollen Online-Casinos in der Schweiz im Sinn von Heimatschutz und Protektionismus vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden.

Sperrlisten und Zensur-Infrastruktur

Screenshot: «Stoppseite» zur Information über Netzsperren

Nutzer, die auf eine zensurierte Website zugreifen möchten, sollen auf eine «Informationseinrichtung» weitergeleitet werden, wo sie informiert werden, dass das gewünschte Online-Angebot in der Schweiz gesperrt ist. Die entsprechende «Stoppseite» ist bereits online. (Wer findet mindestens einen Schreibfehler?)

Die interkantonale Lotterie- und Wettkommission (Comlot) und die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) führen jeweils eine Sperrliste. Die Sperrlisten werden auf der jeweiligen Behörden-Website veröffentlicht, jene der Comlot beispielsweise unter https://blacklist.comlot.ch. Momentan sind die beiden Sperrlisten noch leer.

Die Fernmeldedienstanbieterinnen werden für den Betrieb der neuen Zensur-Infrastruktur entschädigt. Sie haften nicht, wenn sie aufgrund der Netzsperren beispielsweise das Fernmelde- oder Geschäftsgeheimnis oder auch ausservertragliche sowie vertragliche Pflichten verletzen.

Anfang Juni 2019 hatte sich die ESBK mit der Veröffentlichung von leeren technischen Spezifikationen blamiert. Inzwischen sind die Spezifikationen online abrufbar. Momentan erfolgen die Netzsperren DNS-basiert, so dass sie durch die Verwendung von nicht zensurierten DNS-Servern vorläufig einfach umgangen werden können. Auch das Ausweichen auf VPN-Anbieter ohne Netzsperren ist möglich.

Volksabstimmung mit Angst-Kampagne der Geldspiel-Industrie

Bild: Plakat für das Geldspielgesetz mit Elefanten-Motiv

Am 10. Juni 2018 hatten die Schweizer Stimmberechtigten das BGS in einer Volksabstimmung deutlich angenommen. Die finanzstarken Profiteure in der Schweiz hatten eine aufwendige Angst-Kampagne für das BGS geführt. Die Geldspiel-Industrie hatte unter anderem behauptet, ohne das BGS würden Spielplätze verlottern und Tiergehege geschlossen …

Koordiniert hatte diese Kampagne der Berner Politikberater Mark Balsiger im Auftrag anscheinend von Casino-Verband und staatlichen Lotteriegesellschaften. Vereine beispielsweise wurden zur öffentlichen Unterstützung für das BGS «motiviert», indem man ihnen zu verstehen gab, ohne eine solche Unterstützung könnten sie in Zukunft nicht mehr mit Geld aus dem Geschäft mit Spielern rechnen.

Zukunft: Weitere staatliche Netzsperren in der Schweiz

Mit dem revidierten Fernmeldegesetz (FMG) folgen in Kürze weitere staatliche Netzsperren gegen verbotene Pornografie. Hingegen gelang es der Unterhaltungsindustrie bislang nicht, Netzsperren im Urheberrecht zu etablieren. Kürzlich scheiterte auch eine Musterklage gegen Swisscom vor Bundesgericht. Es ist aber absehbar, dass weitere Netzsperren folgen werden, denn es gibt viele Begehrlichkeiten in Politik und Wirtschaft.

Siehe auch: Geldspielgesetz – Neue Regeln für Gewinnspiele und Wettbewerbe in der Schweiz.


Nachtrag

Nach Angaben auf der Mailingliste der Swiss Network Operators Group (SwiNOG) wird die erste Sperrliste vermutlich im Herbst 2019 veröffentlicht. Ausserdem ist mit Blick darauf, dass fast alle Online-Casinos ihre Besucher mit TLS- / SSL-verschlüsselten Verbindungen schützen, unklar, wie Internet Access Provider ihre Kunden über die Netzsperren informieren können.

Einige Anbieter betreiben eigene «Stoppseiten», so zum Beispiel Swisscom mit gsg.bluewin.ch und sasag mit refused.shinternet.ch.

Bild: Pixabay / manfredrichter, Public Domain-ähnlich.

6 Kommentare

  1. danke für die info – ich hätte diesen «startpunkt» wohl verpasst. ich wollte gerade mal nachschauen welche der bösen casinos bereits gesperrt sind und musste feststellen – alles ist noch online … bin gespannt wann diese listenbetreiber anfangen die «berlinermauer» um die schweiz zu errichten…. und ich bin gespannt ob später nicht auch noch fremde online shops ausgesperrt werden (weil sie ja migros coop usw geld wegnehmen) und so weiter. bin wirklich gespannt wohin diese reise jetzt noch geht :) du hälst uns sicher auf dem laufenden, wenn du was siehst :)

  2. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass weitere Game-Clients gesperrt werden mit Games, die dem Staat nicht geheuer sind (z.B. Magic Arena, Blizzard-Client mit WoW, Starcraft, etc.). Da ja das Bundesgericht Poker als Glücksspiel einstuft (was ich immer noch nicht fassen kann!), und es sowohl bei Blizzard als auch bei Magic uvm. um grosse Gewinnsummen bei Turnieren geht, wäre das ja nicht erstaunlich, oder? Danke für ihre Einschätzung.

  3. Wie sieht es mit den Sportwetten aus weil noch fast alle Internetseiten aus den Ausland funkionieren also wurden noch nicht gesperrt? werden wirklich alles Sportwetten Anbieter aus dem Ausland gesperrt? oder haben einige schon eine Lizenz bekommen dass sie immernoch funktionieren. Ich danke Ihnen schon im voraus für eine Antwort.

  4. Ist es eigentlich legal, dass auf der Zwischenseite beim Aufruf von gesperrten Angeboten auch noch staatliche Werbung für Casinos und Lotterien der Schweizer Glücksspielmafia angezeigt werden soll?

    Auch im Sinne des Spieler-Schutzes (Suchtprävention) ist so etwas höchst fragwürfig.

    Andererseits: Das Problem mit der Phishing-Warnseite (statt staatliche Zwischenseite) bei https habe ich mal auf https://www.isoc.ch/de/archives/3228 genauer beschreiben. Die staatliche Werbung wird also so gut wie nie angezeigt… ;-)

    Gruss,
    Bernie

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