#NetzCourage: Freispruch nach Strafanzeigen von Hass-Kommentatoren

Foto: Stadt Zug (vom Zugersee her gesehen)

Am 6. Januar 2020 verfügte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug die Einstellung von acht Strafverfahren gegen die Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin. Mehrere Personen, die wegen Hass im Internet verurteilt worden waren, hatten Spiess-Hegglin angezeigt.

Hintergrund war die Bekanntgabe der Adressen von Hass-Kommentatoren durch den Verein #NetzCourage an die Universität Zürich im Sommer 2019.

Das Soziologische Institut verwendete die Adressen, um zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie über Hasskommentare im Internet einzuladen. Die betreffenden Personen waren wegen Äusserungen im Internet in Strafverfahren verwickelt und deshalb von wissenschaftlichem Interesse.

In der Folge behaupteten einige Hass-Kommentatoren insbesondere, Spiess-Hegglin habe das Datenschutzgesetz verletzt. Sie stellten Strafantrag oder erhoben Strafanzeige.

Der Verein #NetzCourage, den Spiess-Hegglin gegründet hatte, kämpft gegen Diskriminierung, Hass und Rassismus im Internet. Die Adressen der Internet-Kommentatoren stammten aus den Aktivitäten von #NetzCourage.

Begründung der Staatsanwaltschaft

Keine Datenschutzverletzung

Dokument: Einstellungsverfügung vom 6. Januar 2020 (Auszug)

Die Staatsanwaltschaft hielt in ihren Einstellungsverfügungen unter anderem fest, dass keine strafbare Verletzung der datenschutzrechtlichen Auskunfts- und Meldepflicht (Art. 8 ff. u. 14 i.V.m. Art. 34 DSG) vorlag.

Einerseits waren keine (gültigen) Auskunftsbegehren gestellt worden, anderseits erfüllte das Soziologische Institut seine eigene Informationspflicht gemäss Kantonalzürcher Datenschutzrecht (§ 12 IDG). Im Ergebnis konnte auch kein unbefugtes Beschaffen von Personendaten (Art. 179novies StGB) vorliegen.

Ergänzend wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass Spiess-Hegglin als Vertreterin von #NetzCourage ein überwiegendes Interesse geltend machen könnte. Ein solches überwiegendes Interesse fällt in Betracht, wenn «Personendaten zu nicht personenbezogenen Zwecken insbesondere in der Forschung, Planung und Statistik bearbeitet und die Ergebnisse so veröffentlicht [werden], dass die betroffenen Personen nicht bestimmbar sind» (Art. 13 Abs. 2 lit. e DSG). Mit diesem Rechtfertigungsgrund fehlt es an einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. c DSG).

Keine Berufsgeheimnisverletzung

Ein Hass-Kommentator hatte Spiess-Hegglin vorgeworfen, ein Berufsgeheimnis verletzt und ihn in seiner Ehre verletzt zu haben. Da weder Spiess-Hegglin noch #NetzCourage einem Berufsgeheimnis gemäss Art. 321 StGB unterliegen, war der Straftatbestand nicht einschlägig.

Keine Ehrverletzung

Dokument: Einstellungsverfügung vom 6. Januar 2020 (Auszug)

Ein weiterer Vorwurf von einigen Hass-Kommentatoren gegen Spiess-Hegglin lautete auf Ehrverletzung wie insbesondere üble Nachrede (Art. 173 StGB).

Ein Strafantragsteller hatte beispielsweise vorgebracht, Spiess-Hegglin habe im Herbst 2017 (!) wahrheitswidrig behauptet, er sei per Strafbefehl wegen übler Nachrede gegen den Verein gegen Tierfabriken (VgT) verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hielt fest, dass der Hass-Kommentator am 29. August 2017 tatsächlich wegen Beschimpfung und übler Nachrede auf Facebook gegen den VgT schuldig besprochen worden sei.

Aus diesem Grund war die Behauptung von Spiess-Hegglin nicht strafbar (Wahrheitsbeweis gemäss Art. 173 Abs. 2 StGB). Die Frist für den erforderlichen Strafantrag war sowieso schon längst abgelaufen (Art. 31 StGB).

Ein anderer Strafantragsteller hatte beispielsweise erklärt, er fühle sich als «Opfer eines nie enden wollenden Rachefeldzuges und erachte eine Genugtuung von CHF 5’000.00 als angemessen». Auch für diesen Hass-Kommentator hielt die Staatsanwaltschaft fest, dass er wegen mehrfacher Beschimpfung und Drohung schuldig gesprochen worden war.

Freispruch durch Verfahrenseinstellung

Eine Einstellungsverfügung, die rechtskräftig wird, gilt als Freispruch (Art. 320 Abs. 4 StPO).

Spiess Hegglin äusserte sich gegenüber zentralplus unter anderem wie folgt:

«Als ich das erste Mal angezeigt worden bin, hat mich das aus der Bahn geworfen. Aber inzwischen habe ich realisiert, dass es die Absicht der Anzeigesteller ist, mich einzuschüchtern und zum Rückzug zu drängen – mit Strafanzeigen und Hasskommentaren.»

Die Strafantragsteller könnten die Einstellungsverfügungen beim Obergericht des Kantons Zug anfechten (Art. 322 Abs. 1 StPO).

Nationalfonds: Vorverurteilung von #NetzCourage

Der Schweizerischer Nationalfonds (SNF), welcher die geplante Studie finanzierte, schrieb gegenüber einer selbst ernannten «Expertin präventiver Opferschutz» aus dem Umfeld der Hass-Kommentatoren von einer «Datenschutzverletzung von netzcourage.ch» und behauptete, «netzcourage.ch [hätte] die Daten ohne Einwilligung gar nicht liefern dürfen».

Der SNF schrieb weiter, die Studie sei abgebrochen worden, soweit sie auf den von #Netzcourage gelieferten Daten beruht habe, und erklärte sein Bedauern, «dass es bei der Prüfung der Rechtmässigkeit der Datenlieferung von netzcourage.ch zu Unterlassungen kam.»

Mit seiner Stellungnahme verletzte der SNF die Unschuldsvermutung gegenüber #NetzCourage und Spiess-Hegglin. Es ist unverständlich, dass sich der SNF zu einer solchen Vorverurteilung hinreissen liess.

Siehe auch: Studie zu Hasskommentaren im Netz wurde vom Nationalfonds gestoppt (zentralplus).

Bild: Pixabay / artistico , Public Domain-ähnlich.

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