Braucht die Schweiz einen Cybermobbing-Straftatbestand?

Symbolbild: Cybermobbing

In der Schweiz wird ein Straftatbestand gegen Cybermobbing gefordert. Als Vorbild wird häufig der Cybermobbing-Straftatbestand in Österreich genannt. Braucht die Schweiz tatsächlich einen solchen Straftatbestand?

Cybermobbing-Straftatbestand § 107c StGB in Österreich

Der österreichische Cybermobbing-Straftatbestand § 107c StGB trägt den etwas sperrigen Titel «Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems» und lautet wie folgt:

  • (1) Wer im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems in einer Weise, die geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt
    1. 1. eine Person für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar an der Ehre verletzt oder
    2. 2. Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Person ohne deren Zustimmung für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar macht,

    ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

  • (2) Hat die Tat den Selbstmord oder einen Selbstmordversuch der im Sinn des Abs. 1 verletzten Person zu Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Strafanzeigen und Verurteilungen in Österreich seit 2016

Der österreichische Cybermobbing-Straftatbestand ist seit dem 1. Januar 2016 in Kraft.

2016 erfolgten 359 Anzeigen, 2017 359 Anzeigen und 2018 308 Anzeigen gemäss den Lageberichten Cybercrime 2017 und 2018.

Gemäss Verurteilungsstatistik kam es 2016 zu 4 Verurteilungen, 2017 zu 7 Verurteilungen und 2018 wiederum zu 4 Verurteilungen. Die Verurteilten waren mit einer Ausnahme männlich.

Braucht es einen Cybermobbing-Straftatbestand in der Schweiz?

In der Schweiz wurde ein Straftatbestand gegen Cybermobbing bislang nicht für notwendig gehalten. In der Social Media-Standortbestimmung von 2017 fasste der Bundesrat dieses Erkenntnis wie folgt zusammen:

«Der Bundesrat resümierte im Social Media-Bericht 2013, dass das Schweizer Recht zwar keine spezifische Cyberstalking- oder Cyberbullying-Bestimmung kennt, dieses Verhalten aber unter die geltenden strafrechtlichen (Art. 173-178 StGB) und zivilrechtlichen (Art. 28f. ZGB) Normen subsumiert werden kann. Die Hauptschwierigkeit sah der Bundesrat auch hier im Bereich der Rechtsdurchsetzung.»

Und:

«[…] Die strafrechtlichen Bestimmungen reichten aus, um die Täter wirkungsvoll bestrafen zu können. In einem 2016 publizierten Aufsatz zum Cyberbullying hat der Thurgauer Staatsanwalt Brun festgehalten, es sei sinnvoller, sich eher auf eine Stärkung prospektiver Opfer zu konzentrieren als auf weitere strafrechtliche Massnahmen. Der Autor verweist auf die zentrale Bedeutung der Förderung von Selbstbewusstsein und Zivilcourage bei Kindern und Jugendlichen.»

Anspruchsvolle Rechtsdurchsetzung bei Cybermobbing

Aus meiner anwaltlichen Sicht kann ich diese Erkenntnis bestätigen. Beim Vorgehen gegen Cybermobbing fehlt es nicht an Straftatbeständen, sondern die aufwendige Rechtsdurchsetzung ist das Problem. Die Opfer müssen sich die erforderlichen Verfahren leisten können und über viel Ausdauer verfügen.

Wenn die Löschung und Unterlassung von Äusserungen erwirken möchte, ist ausserdem ein zivilrechtliches Vorgehen erforderlich und ein Strafverfahren genügt nicht oder ist nicht zielführend. In Zivilverfahren ist es im Rahmen von superprovisorischen vorsorglichen Massnahmen möglich, innerhalb von Tagen oder zumindest wenigen Wochen einen ersten Entscheid zu erhalten.

Anspruchsvoll ist vor allem die Rechtsdurchsetzung gegen mitwirkende Internet-Unternehmen im Ausland oder die Identifizierung von unbekannten Gegenparteien. Gerne geht vergessen, dass Gegenparteien sich zur Wehr setzen können und die Behörden nicht automatisch auf der Seite der Opfer stehen.

Cybermobbing-Straftatbestand mit Symbol­wirkung?

Der Cybermobbing-Straftatbestand in Österreich scheint in erster Linie politisch begründet zu sein. Im Wesentlichen setzt er sich – zumindest aus schweizerischer Sicht – aus bereits bestehenden Straftatbeständen wie Ehrverletzung (Art. 173 ff. StGB) und Verleitung zum Selbstmord (Art. 115 StGB) zusammen. Die Strafandrohungen liegen mehrheitlich unter jenen in der Schweiz für vergleichbare einzelne Straftatbestände.

Ein neuer Cybermobbing-Straftatbestand in der Schweiz hätte sicherlich eine gewisse Symbolwirkung, was aber allein kein Grund für einen neuen Straftatbestand sein sollte. Das österreichische Beispiel zeigt, dass die öffentlichen und politischen Erwartungen an einen solchen Straftatbestand nicht erfüllt werden können. Die präventive Wirkung von Straftatbeständen wird überschätzt, gerade auch die präventive Wirkung bei Jugendlichen.

Bei Jugendlichen kommt dazu, dass allfällige Sanktionen gemäss Jugendstrafrecht erfolgen. Bei Personen bis zum vollendeten 18. Altersjahr stehen die Erziehung und der Schutz der Jugendlichen im Vordergrund (Art. 2 Abs. 1 JStG), nicht die – möglichst harte – Bestrafung.

Siehe auch: Suizid nach Cybermobbing: Die Eltern von Céline fordern ein Gesetz wie in Österreich (Aargauer Zeitung).

Bild: Pixabay / pixel2013, Public Domain-ähnlich.


Nachtrag

Barbara Altermatt, Jugendanwältin im Kanton Solothurn, das heisst Staatsanwältin im Jugendstrafrecht, äusserte sich gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) wie folgt:

«Im Cybermobbing stehen lauter Delikte zur Diskussion, die durch die aktuelle Gesetzgebung abgedeckt sind. Es gibt keine Gesetzeslücke. Es ist eine Qualität unseres Gesetzes, dass es nicht auf aktuellen technischen Gegebenheiten aufbaut, sondern Delinquenz ahndet. Das Strafgesetz soll Verhaltensweisen strafen, die nicht akzeptabel sind. Es ist der falsche Ort für Symbole. Der Abschreckungsgedanken verträgt sich auch nicht mit dem Jugendstrafrechtsgedanken. Dort steht der erzieherische Aspekt im Vordergrund. Das Jugendstrafrecht ist so ausgerichtet, dass straffällige Jugendliche mit geeigneten Schutzmassnahmen und Strafen in ihrer Entwicklung und Übernahme von Verantwortung gefördert werden. Kriminelle Karrieren sollen vermieden werden.»

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