Vorratsdatenspeicherung: EuGH bestätigt Verbot mit Ausnahmen

Foto: Nadel im Heuhaufen
Foto: Sprichwörtliche Nadel im Heuhafen als Symbol für die Vorratsdatenspeicherung in Europa.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH), das höchste Gericht der Europäischen Union (EU), hat einmal mehr bestätigt, dass die allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung in EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht zulässig ist.

Die Bestätigung erfolgte in den Rechtssachen C-511/18, C-512/18 und C-520/18, die Fälle in Belgien, Frankreich und Grossbritannien betrafen. Bürgerrechtsorganisationen hatten gegen die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung in diesen Ländern geklagt.

Vorratsdatenspeicherung bedeutet, dass die Daten der Kommunikation aller Menschen gesammelt und für bestimmte Zeit gespeichert werden. In der Schweiz beispielsweise wird während sechs Monaten unter anderem gespeichert, wer wann und wo für wie lange mit wem telefoniert hat. Alle Menschen gelten als verdächtig und ihre Kommunikation wird überwacht.

Frühere EuGH-Urteile gegen die Vorratsdatenspeicherung waren 2014 (Rechtssachen C-293/12 und C-594/12 und 2016 (Rechtssachen C-203/15 und C-698/15) erfolgt.

Vorratsdatenspeicherung: Nein, aber …

Allerdings hat der EuGH die Vorratsdatenspeicherung nur grundsätzlich für unzulässig erklärt. «Grundsätzlich» bedeutet, wie jeder Jurist weiss, dass es Ausnahmen gibt.

Der EuGH hält die Vorratsdatenspeicherung ausnahmsweise für zulässig, wenn nachfolgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit, die sich als echt und konkret oder vorhersehbar erweist
  • nur solange, wie die Überwachung zwingend erforderlich ist, aber verlängerbar, sofern die Bedrohung anhält
  • mit Prüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde sowie mit wirksamen Rechtsmitteln

Weitere Ausnahmen gewährt der EuGH für die Vorratsdatenspeicherung, sich auf bestimmte Gebiete oder Personengruppen beschränkt, nur für eine gewisse Zeit stattfindet und ebenfalls zwingend erforderlich ist, aber auch für länger dauernde Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung schwerer Straftaten oder von Angriffen auf die nationale Sicherheit sowie wenn ein Verdacht für solche Straftaten oder Angriffe besteht.

Klargestellt hat der EuGH, dass die – von der Vorratsdatenspeicherung letztlich unabhängige – Echtzeit-Überwachung von einzelnen Personen, die im Zusammenhang mit Terrorismus verdächtigt werden, zulässig bleibt, sofern die Prüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde erfolgt. Das gilt auch mit Blick auf die europäische E-Privacy-Richtlinie.

Schliesslich weist der EuGH darauf hin, dass Beweise und Informationen, die mittels unzulässiger Vorratsdatenspeicherung gewonnen wurden, in Strafverfahren vor Gerichten in EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht verwertet werden dürfen.

Fazit: Verlagerung der Diskussion von Zulässigkeit zu Voraussetzungen

Mit dem Urteil verlagert sich die Diskussion bei der Vorratsdatenspeicherung von der Frage der Zulässigkeit zur Frage der Voraussetzungen für die Vorrats­daten­speicherung. Wie genau sind die Voraussetzungen, die der EuGH genannt hat, zu verstehen?

Immerhin werden alle EU-Mitgliedstaaten, die versuchen, Vorratsdatenspeicherung rechtmässig zu betreiben oder wieder einzuführen, ihre nationalen Gesetze anpassen und die Vorratsdatenspeicherung etwas einschränken müssen.

Das würde auch für die Schweiz gelten, wenn sie Mitglied der EU wäre. Die weitgehende Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz, die mit den Ausnahmen, welche der EuGH gewährt, in keiner Art und Weise vereinbar wäre, wurde 2018 durch das Bundesgericht für zulässig erklärt.

In der Folge gelangte die Digitale Gesellschaft, welche Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz geführt hatte, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Verweis auf die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die entsprechende Beschwerde der Digitalen Gesellschaft ist seit Ende 2018 am EGMR in Strassburg hängig.

Der EGMR hat sich bereits mehrfach ablehnend zur Vorratsdatenspeicherung geäussert, aber genauso wie der EuGH immer Hintertüren für Sicherheitsbehörden offen gelassen. Insofern ist zu erwarten, dass der EGMR die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft zwar grundsätzlich gutheissen, aber gleichzeitig Ausnahmen für die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz und anderswo in Europa vorsehen wird.

Bild: Pixabay / pixel2013, Public Domain-ähnlich.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Felder mit * sind Pflichtfelder.