Twitter-Frage: Was ist eine «verbindliche Empfehlung» für Homeoffice?

Flyer: «Bund verstärkt Massnahmen gegen das Coronavirus» vom 19. Oktober 2020 (Ausschnitt mit Homeoffice-Empfehlung)

Bei Twitter wurde ich gefragt, was eine «verbindliche Empfehlung» sei. Die Frage bezieht sich auf die Homeoffice-Empfehlung, die Teil der aktuellen Massnahmen gegen die COVID-19-Pandemie in der Schweiz ist.

Auf dem bundesrätlichen Flyer ist unter anderem zu lesen:

«Homeoffice-Empfehlung: Verbindliche Empfehlung, wenn möglich von zuhause aus zu arbeiten.»

Das Problem: Es gibt gar keine «verbindliche Empfehlung».

Im Einzelnen: Was steht eigentlich in der COVID-19-Verordnung?

Erlass: Artikel 10 der COVID-19-Verordnung betreffend Homeoffice

In der COVID-19-Verordnung heisst es in Art. 10 Abs. 3:

«Die Arbeitgeber beachten die Empfehlungen des BAG betreffend die Erfüllung der Arbeitsverpflichtungen von zu Hause aus.»

Gemäss Fussnote 1 (!) zu diesem Art. 10 können die erwähnten «Empfehlungen des BAG», die beachtet werden sollen (und nicht etwa eingehalten werden müssen), auf der Seite «So schützen wir uns» auf der Website des Bundesamt für Gesundheit (BAG) abgerufen werden können.

Was sagt denn das Bundesamt für Gesundheit?

Screenshot: Seite «Neues Coronavirus: So schützen wir uns» auf der BAG-Website

Auf dieser Seite, die vollständig «Neues Coronavirus: So schützen wir uns» heisst, liest man unter dem Titel «Die Hygiene- und Verhaltensregeln» insbesondere folgendes:

«Arbeiten Sie wenn möglich wieder von zu Hause aus. Dadurch reduzieren sich die Kontakte und somit auch eine potentielle Verbreitung des Virus. Für Mitarbeitende vor Ort müssen Arbeitgeber ein Schutzkonzept erstellen, mit dem alle die Hygiene- und Verhaltensregeln befolgen können.»

Insofern handelt es sich in erster Linie um eine Homeoffice-Empfehlung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. An Unternehmen richtet sich der nächste Absatz:

«Die Unternehmen werden aufgefordert, wie im Frühling 2020 die Empfehlungen des BAG während der Covid-19-Epidemie bezüglich Homeoffice zu beachten. Es besteht indes keine Pflicht zum Homeoffice.»

Aus der «verbindlichen Empfehlung» gemäss Flyer wird also an diesem Punkt eine unverbindliche Aufforderung. Das BAG stellt ausdrücklich klar, dass die «verbindliche Empfehlung» keine Pflicht darstellt.

So steht es auch in den Erläuterungen, welche das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) zur Homeoffice-Empfehlung veröffentlich hat. Darin behauptet das EDI zwar, Unternehmen müssten «die Homeoffice-Empfehlung des BAG beachten» und würden angehalten, sich – «wie im Frühling 2020» – an dieser Empfehlung zu orientieren. Genauso schreibt das EDI aber: «Es besteht keine Pflicht zum Homeoffice.»

Im Frühling 2020 galt tatsächlich eine Homeoffice-Pflicht in Bezug auf «besonderes gefährdete Personen» gemäss Art. 10c Abs. 1 der damaligen COVID-19-Verordnung. Dieser Anspruch auf Homeoffice wurde am 22. Juni 2020 aufgehoben, als Behörden und Politik in der Schweiz glaubten, «weltweit führend» zu sein und die COVID-19-Pandemie besiegt zu haben.

Die Bezeichnung der damaligen Pflicht als Empfehlung scheint einer unsorgfältigen Redaktion geschuldet zu sein. Möglicherweise war eine erneute Homeoffice-Pflicht im Bundesrat chancenlos, woraus im Ergebnis zur Gesichtswahrung die «verbindliche Empfehlung» resultierte.

Was sagt das Bundesamt für Gesundheit sonst noch?

Im oben zitierten Absatz ist das Wort «Empfehlungen» mit dem Absatz «Schutz von Arbeitnehmenden» auf der weiteren BAG-Seite «Neues Coronavirus: Massnahmen und Verordnungen» verlinkt.

Screenshot: Seite «Schutz der Arbeitnehmenden» auf der BAG-Website

In diesem Abschnitt heisst es unter anderem:

«Arbeiten Sie möglichst von zu Hause aus. Dadurch reduzieren sich die Kontakte und somit die Verbreitung des Virus.

Für Arbeitnehmende, die nicht von zu Hause aus arbeiten können, gilt das Arbeitsgesetz: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Gesundheit der Arbeitnehmenden mit entsprechenden Massnahmen zu schützen.»

Es handelt sich wieder um eine Homeoffice-Empfehlung an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für Unternehmen wird lediglich darauf hingewiesen, dass diese den Gesundheitsschutz gewährleisten müssen, was sowieso immer gilt und keine Besonderheit der COVID-19-Pandemie darstellt.

Screenshot: «Back to Work»-Seite des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO)

Auch in diesem Abschnitt wird eine weitere Seite verlinkt und zwar die Seite «backtowork.easygov.swiss», die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) betrieben wird.

Auf dieser Seite geht es – wie auch schon der Domainname sagt – um das Gegenteil von Homeoffice, nämlich «Back to Work» …

Homeoffice-Empfehlung: Lippenbekenntnis statt Verbindlichkeit

Es gibt eine Homeoffice-Empfehlung, die aber – wie es auch der Bedeutung des Wortes entspricht – nicht verbindlich ist und als Empfehlung auch nicht verbindlich sein kann. Die Erwähnung einer verbindlichen Homeoffice-Empfehlung auf dem Flyer ist ein Etikettenschwindel.

Rechtlich gesehen gibt es keine Homeoffice-Empfehlung, sondern bloss ein entsprechendes Lippenbekenntnis des Bundesrates.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen darauf zählen, dass ihr Arbeitgeber überall dort, wo es möglich ist, ganz oder teilweise Homeoffice ermöglicht. Und überall dort, wo kein Homeoffice möglich ist, müssen Arbeitnehmer darauf zählen, dass sie am Arbeitsplatz wirksam geschützt werden.

In Bezug auf «besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer» hätte es der Bundesrat übrigens in der Hand, eine Homeoffice-Pflicht anzuordnen, wie Art. 4 Abs. 1 des COVID-19-Gesetzes klar zeigt:

«Der Bundesrat kann Massnahmen zum Schutz von besonders gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern anordnen und insbesondere Arbeitgebern diesbezügliche Pflichten auferlegen. […]»

4 Kommentare

  1. Sehr interessanter Artikel!
    Ich bin in einem Bundesbetrieb beschäftigt. Dort wird die Entscheidung für/gegen das empfohlene Home-Office auf die direkte Linie hinuntergebrochen. Diese ignoriert die Empfehlung komplett und verlangt eie physische Präsenz am Arbeitsplatz obwohl weder eine technische noch betriebliche Notwendigkeit für eine Anwesenheit besteht. Trotz Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe und der meines Erachtens verletzten Fürsorgepflicht meines Arbeitgebers weigert man sich vehement, das Home-Office umzusetzen.

    1. Bei uns genau gleich. Arbeite in einem grösseren Transport- und Tourismusunternehmen im Büro. Man weigert sich gegen Homeoffice, die Mitarbeiter können da nicht genügend überwacht werden. Schlimm dass so wenig Vertrauen vorhanden ist und das Wohlergehen der Menschen nicht genügend zählt.

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