Twitter-Frage: Wieso kostet eine Online-Beleidigung 9’600 Franken?

Foto: Amerikanischer Atombombentest «Romeo» am Bikini-Atoll (1954)Bei Twitter wurde ich auf ein «Urteil» angesprochen, mit dem ein Nutzer wegen einer «wenig sensiblen Aussage» zu einer «Busse» von 9’600 Franken verurteilt worden sei.

Wie kam der Betrag von 9’600 Franken zustande?

Die erwähnten 9’600 Franken setzen sich aus einer Geldstrafe von 9’000 Franken und Verfahrenskosten von 600 Franken («Staatsgebühr») zusammen.

Das «Urteil» ist ein Strafbefehl einer kantonalen Staatsanwaltschaft, die den betroffenen Nutzer, der politisch links steht, für nachfolgenden Beitrag bei Twitter verurteilte:Screenshot: Tweet, der zu einem Strafverfahren führte

Vorgeschichte: Verharmlosung von Massenmörder Brevik?

Diesem Tweet war eine kurze Diskussion mit einem anderen Twitter-Nutzer, der sich als libertär bezeichnet, im Zusammenhang mit dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik vorausgegangen:Screenshot: Twitter-Diskussion, die zu einem Strafverfahren führte

Dieser andere Twitter-Nutzer – nachfolgend als Privatkläger bezeichnet – stellte offensichtlich Strafantrag. Wer sich in seiner Ehre verletzt fühlt, muss Strafantrag stellen, damit ein Strafverfahren geführt wird.

Das entsprechende Strafverfahren endete mit einer Verurteilung wegen übler Nachrede (Art. 173 StGB) und Beschimpfung (Art. 177 StGB) durch Strafbefehl.

Die fallführende Staatsanwältin ist Mitglied der SVP oder zumindest SVP-nahe. Sie arbeitet nicht nur als Staatsanwältin im Kanton Schaffhausen, sondern ist ausserdem im Kanton Zürich als Richterin tätig. Richterinnen und Staatsanwältinnen werden in der Schweiz üblicherweise von politischen Parteien nominiert.

Die Staatsanwaltschaft begründete die Verurteilung wie folgt:

«Durch diese Worte bezichtigte der Beschuldigte den Privatkläger ein charakterlich minderwertiger Mensch zu sein und damit eines unehrenhaften Verhaltens, das geeignet ist, seinen Ruf zu schädigen, wobei diese Darstellung aufgrund der Öffentlichkeit des Twitter-Accounts des Privatklägers einer unbekannten Vielzahl an Drittpersonen mitgeteilt wurde, was der Beschuldigte zumindest billigend in Kauf nahm.

Damit einhergehend griff der Beschuldigte den Privatkläger unmittelbar in seiner Ehre an, indem er ihn als Arschloch bzw. Widerling betitelte, im Wissen darum, dass es sich hierbei um Ausdrücke der blossen Missachtung handelte.»

Die Begründung fiel – typisch für einen Strafbefehl – äusserst knapp und wenig aussagekräftig aus. Unklar ist, wieso die Staatsanwaltschaft auf die Öffentlichkeit des Nutzerkontos des Privatklägers abstellte. Einschlägig müsste eigentlich die Öffentlichkeit des Nutzerkontos der beschuldigten Person sein.

Strafmass: Unbedingte Geldstrafe wegen Vor­bestrafung

Der beschuldigte Nutzer war bereits einige Monate vorher durch die gleiche Staatsanwaltschaft zu einer bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt worden. Die damalige Geldstrafe musste nicht bezahlt werden, sondern wurde für eine Probezeit – vermutlich für zwei Jahre – bedingt aufgeschoben.

Aufgrund der weiteren Verurteilung wurde die bedingt ausgesprochene Geldstrafe widerrufen und eine unbedingte, das heisst zu bezahlende Geldstrafe gebildet.

Das Strafmass beträgt 50 Tagessätze à 180 Franken. Die Höhe der Tagessätze richtet sich nach den persönliche und wirtschaftlichen Verhältnissen, das heisst insbesondere nach dem Einkommen (Art. 34 Abs. 2 StGB). Die Zahl der Tage richtet sich nach dem Verschulden (Art. 34 Abs. 1 StGB).

Gemäss dem Strafbefehl liess sich der verurteilte Twitter-Nutzer nicht verteidigen. Der Strafbefehl ist nicht rechtskräftig, da Einsprache erhoben wurde.

Fazit: Auf Wiedersehen vor Gericht?

Der Betrag von 9’600 Franken kam im Ergebnis wie folgt zustande:

  • Verurteilung wegen übler Nachrede und Beschimpfung durch einen Tweet
  • Unbedingt ausgesprochene Geldstrafe von 9’000 Franken, weil der Twitter-Nutzer vorbestraft war
  • Verfahrenskosten von 600 Franken

Die erhobene Einsprache bedeutet, dass sich die Staatsanwaltschaft der Sache nochmals annehmen müssen wird. Sie kann am Strafbefehl festhalten, einen neuen Strafbefehl erlassen, das Verfahren einstellen (Freispruch) oder Anklage beim Gericht erheben.

Der verurteilte Twitter-Nutzer geht nach eigenen Angaben auf Twitter davon aus, dass es zu einem Urteil vor Gericht kommen wird.

Bild: Wikimedia Commons / United States Department of Energy, Public Domain.

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