Ist es verboten, Stimmzettel auf Social Media zu veröffentlichen?

Foto: Stimmzettel von Ronnie Grob für die Volksabstimmung vom 13. Juni 2021
Foto: Stimmzettel von Ronnie Grob für die Volksabstimmung vom 13. Juni 2021.

Auf Twitter kursiert die Behauptung, es sei verboten, ausgefüllte Stimmzettel zu veröffentlichen. Stimmt das?

Ein Beispiel liefert «Schweizer Monat»-Chefredaktor Ronnie Grob, der seinen mit «Nein» ausgefüllten Stimmzettel für die Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 über das Polizeimassnahmen-Gesetz (PMT) bei Twitter veröffentlicht hat.

Hat sich Ronnie Grob damit strafbar gemacht?

Die Behauptung wird üblicherweise mit Verweis auf das Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) begründet. Gemäss dessen Art. 5 Abs. 7 ist das «Stimmgeheimnis […] zu wahren».

Tatsächlich gibt es mit Art. 283 StGB die «Verletzung des Abstimmungs- und Wahl­geheimnisses» als Straftatbestand:

«Wer sich durch unrechtmässiges Vorgehen Kenntnis davon verschafft, wie einzelne Berechtigte stimmen oder wählen, wird mit Frei­heits­strafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Darunter fällt allerdings nicht die Veröffentlichung der eigenen ausgefüllten Stimmzetteln auf Social Media oder anderswo.

Stellvertretend für die Literatur, die sich in diesem Punkt einig zu sein scheint, schreibt Stefan Wehrle im Basler Kommentar:

«Den Stimmberechtigten selbst ist es natürlich unbenommen, über ihre Stimmabgabe Auskunft zu geben […]; das (eigentliche) Stimmgeheimnis bleibt unabhängig davon geschützt […].»

Ronnie Grob und andere, die ihre ausgefüllten Stimmzettel auf Social Media veröffentlichen, machen sich also nicht strafbar.

Dank dem Stimmgeheimnis bleibt ausserdem unklar, wie sie tatsächlich abstimmen werden, denn es muss nicht beim veröffentlichten «Ja» oder «Nein» bleiben … ????

10 Kommentare

  1. Lieber Martin, vielen Dank für Deine Aufklärung. Es ist gut möglich, dass ich da mit meinen Erinnerungen vom Studium falsch liege. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das Thema eine zusätzliche Dimension hat, die Du in Deinem Beitrag nicht ansprichst. Natürlich ist es unbestritten, dass die Stimmberechtigten über ihre Stimmabgabe Auskunft geben können, also anderen mündlich oder schriftlich erzählen, wie sie abstimmen werden oder abgestimmt haben. Da haben viele meinen Hinweis nicht richtig gelesen oder wollten ihn nicht richtig verstehen. Ich habe nie behauptet, dass sie das nicht dürfen. Selbstverständlich dürfen sich die Leute auch öffentlich für ein Ja oder Nein einsetzen. Beides ist ja gerade erlaubt, weil niemand wissen kann, ob die Person ihren Stimmzettel dann auch wirklich so ausfüllt und einwirft, wie er oder sie es gesagt hat.

    Die andere Frage ist, ob man ZEIGEN darf, wie man abstimmt. Wir hatten gelernt, dass eben genau das nach Art. 5 Abs. 7 BPR nicht erlaubt sei. Mir stehen gerade keine Basler oder sonstigen Kommentare zur Verfügung, um das im Detail nachzulesen. Ich dachte aber, dass sich auch Prof. Nadja Braun Binder im Nau.ch-Artikel (https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/sind-instagram-fotos-von-stimmzetteln-verboten-65452928), den ich von vielen zugeschickt bekam, so geäussert hat (auch wenn das wiederum viele Leute auf Twitter anders verstanden haben). Nämlich dass es problematisch wäre, wenn Lo&Leduc sich beim Abstimmen selber filmen würden. «Beim Zettel auf dem Instagram-Foto könne [es] sich schliesslich auch um eine Kopie handeln. Und vielleicht kreuzen die beiden schliesslich doch Ja an. Das würde – Stimmgeheimnis sei Dank! – keiner je erfahren.» Ich lese das eigentlich schon als Bestätigung, dass das Stimmgeheimnis auch diesen Aspekt enthält, also dass es grundsätzlich nicht erlaubt ist, zu zeigen, ob man effektiv mit Ja oder Nein abstimmt. Art. 283 StGB stellt einfach nur den anderen, schwerwiegenderen Aspekt des Stimmgeheimnisses unter Strafe, also das unrechtmässige Verschaffen der Kenntnis, wie einzelne Stimmberechtigte stimmen oder wählen.

    Das Lo&Leduc-Beispiel ist auch leicht anders. Bei ihrem kantonalen Stimmzettel auf gewöhnlichem Papier lässt sich tatsächlich nicht sagen, ob es sich dabei um eine Kopie handelt oder nicht, und ob sie dann effektiv so abstimmen oder nicht. Deshalb winkt Prof. Braun Binder diesen Fall zurecht durch. Bei den eidgenössischen Stimmzetteln, die viele Leute in den sozialen Medien teilen, sind es aber klar die Originale. Sie enthalten halbkreisförmige Aussparungen und Perforationen an den Rändern, die wohl niemand auf Kopien glaubhaft nachahmen wird. Und es ist davon auszugehen, dass diese Personen ihre ausgefüllten Stimmzettel dann nicht einfach wegwerfen, sondern sie effektiv so verwenden. Wenn es ihnen dermassen wichtig ist, öffentlich zu ZEIGEN, ob sie Ja oder Nein stimmen, werden sie wohl kaum auf die Stimmabgabe verzichten. Und in totaler Unkenntnis von Art. 5 Abs. 7 BPR werden sie sich auch nicht um einen Ersatz bemühen und diesen dann anders ausfüllen. Wer in den sozialen Medien mit seinem vollständigen Namen und Wohnort auftritt, zeigt damit also mit grösster Wahrscheinlichkeit, wie er oder sie effektiv abstimmt. Das Stimmgeheimnis ist damit m.E. zumindest angekratzt. Oder liege ich damit komplett falsch?

    1. Aha, ich habe mal besser hingeschaut auf Instagram: Das bei Lo&Leduc war doch kein kantonaler Stimmzettel, sieht aber nicht wie ein typischer eidgenössischer Stimmzettel aus. Das scheint tatsächlich eine Kopie zu sein und nicht das Original.

  2. So, wie ich die Wahrung des Stimmgeheimnisses verstehe, geht es darum, dass es andere zu unterlassen haben, publik zu machen, was ich gestimmt habe, wenn sie davon erfahren. Und dass umgekehrt ich nicht publik mache, wenn ich etwa – ist das überhaupt möglich beim Stimmenzählen? – erfahren würde, wie jemand anders gestimmt hat.

    Wenn aber ich selbst publik mache, was ich zu stimmen beabsichtige (oder vielleicht am Ende eben auch nicht, wie Martin Steiger richtig erwähnt), dann ist das doch nur meine Sache. Ich kann ja auch lang und breit erzählen überall, dass ich das Covid-19-Gesetz annehmen werde – und dann am Ende heimlich dagegen stimmen (weil ich mir davon ein Ende der Massnahmen verspreche).

    1. Das ist ja eben der Unterschied, zu dem Martin Steiger sich (bewusst?) nicht geäussert hat. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Sie Ihren ausgefüllten Original-Stimmzettel auf Twitter zeigen, nur um ihn dann NICHT einzuwerfen und aufs Abstimmen zu verzichten. De facto zeigen Sie damit also, wie Sie effektiv abstimmen.

        1. Prof. Nadja Braun Binder hat in ihrer Dissertation «Stimmgeheimnis» in Rz. 487 geschrieben:

          «Das Stimmgeheimnis stellt nicht nur ein Recht der stimmberechtigten Person dar, sondern gleichzeitig auch eine Pflicht1452. Das Stimmgeheimnis ist unverzichtbar. Die stimmberechtigte Person muss ihre Stimme so abgeben, dass ihr der Inhalt der Stimme nicht zugeordnet werden kann.»

          Und die dazugehörige Randziffer 1452: «Poledna 1988, S. 260f.; Widmer 1989, S. 140. Vgl. auch Code de bonne conduite en matière électorale, Avis n° 190/2002 du 30.10.2002, Commission Européenne pour la démocratie par le droit (Commission de Venise), Strassburg 2002, S. 14, Ziff. 4a: „ Le secret du vote est non seulement un droit, mais aussi une obligation pour l’électeur, qui doit être sanctionnée par la nullité des bulletins
          dont le contenu a été révélé.“ A.A. Bolla-Vincenz 1978, S. 88; Giacometti 1941, 248; Huser 1983, S. 21; Picenoni 1945, S. 97. Vgl. auch die indirekte Anerkennung der Kennzeichnung von Stimmzetteln durch Stimmberechtigte durch das Bundesgericht 1949: BGE 75 I 234 E. 5c S. 241.»

          Ich nehme an, dass die Ungültigerklärung des Stimmzettels als Folge der Zuwiderhandlung deshalb nicht im Strafgesetzbuch enthalten ist. Schliesslich handelt es sich dabei nicht um eine Sanktion im Sinne des Strafrechts. Ich habe ja auch nie behauptet, dass man sich damit strafbar macht.

          Und wie gesagt: Natürlich ist es theoretisch möglich, dass eine Person den ausgefüllten Stimmzettel auf ihrem nicht verwendet. Faktisch wird das aber niemand tun. Oder haltet Ihr es für wahrscheinlich, dass jemand, der es so wichtig findet, seine ausgefüllten Original-Stimmzettel in den sozialen Medien zu zeigen, dann auf sein Stimmrecht verzichtet und seine Stimmzettel wegschmeisst statt in die Urne? Wohl kaum.

          1. @Thomie:

            Können wir demnach festhalten, dass es keine Strafbestimmung und damit auch kein Verbot gibt?

            @Ronnie Grob: Was ein Verhaltenskodex für Wahlen dieser Venedig-Kommission bedeutet (und was nicht), dürfte ein besonderer Leckerbissen für Dich sein … 😉 Die Schweiz wird in dieser Kommission seit Jahren durch Prof. Regina Kiener vertreten.

            Siehe dazu auch: https://www.swissinfo.ch/ger/venedig-kommission_-man-sieht-eine-schrittweise-entdemokratisierung/46459410

          2. Als Laie würde ich «Die stimmberechtigte Person muss ihre Stimme so abgeben, dass ihr der Inhalt der Stimme nicht zugeordnet werden kann» so lesen, dass mir die *abgegebene* Stimme (also der Zettel in der Urne) nicht zugeordnet werden darf (ich also zB nicht meinen Namen hintendrauf schreiben darf). Ein SoMe-Photo alleine ist doch keine Abgabe?

  3. Ich war bis anhin völlig überzeugt, dass das komplett erlaubt ist. Und ich gedenke auch nach Lesen der Kommentare dabei zu bleiben – einfach mit etwas geringerer Überzeugung. ;-) Was sollte denn Sinn und Zweck bzw. das geschützte Rechtsgut sein, wenn es nicht erlaubt wäre (unabhängig ob strafbar oder nicht)?

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