Whistleblowing: Wer nicht die Faust im Sack macht, zahlt einen hohen Preis

Foto: Kleiner Junge, der aus einem dunklen Versteck durch Loch nach draussen blickt

Whistleblower, die enttarnt werden, verlieren ihre Existenz. Das Risiko, enttarnt zu werden, ist hoch. Diese Gefahren zeigt eindrücklich das Porträt der amerikanischen Whistleblowerin Reality Winner in der «Republik».

Das Porträt in der «Republik», verfasst von Adrienne Fichter, beschreibt, wie der Amerikanerin Reality Winner zum Verhängnis wurde, dass sie geheime Informationen aus ihrer Tätigkeit für die NSA-Dienstleisterin Pluribus International an das Magazin «The Intercept» weitergegeben hatte:

«Die Amerikanerin arbeitete für den US-Nachrichten­dienst NSA und gab 2017 geheim­dienstliche Informationen an das Magazin «The Intercept» weiter. Dafür wurde sie 2018 zu 5 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt. Vor einigen Wochen ist Winner vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie muss im Hausarrest verbleiben, eine elektronische Fussfessel tragen und wird von einer App auf ihrem Smart­phone geortet und überwacht.»

Winner wurde insbesondere enttarnt, weil Journalisten beim «The Intercept» den Quellenschutz vernachlässigt hatten.

Whistleblower: Enttarnung durch mangelhafte OpSec

Whistleblower riskieren allerdings immer, enttarnt zu werden, durch das eigene Verhalten oder durch das Verhalten selbst von gewissenhaften Journalistinnen.

Am Recherchetag 19 der Journalistenschule MAZ fasste ich diese Problematik wie folgt zusammen:

«Im Überwachungsstaat werden alle – auch Journalisten und ihre Quellen – ohne Anlass und Verdacht überwacht. Operations Security (OpSec) – insbesondere sichere Kommunikation – ist deshalb von grösster Bedeutung, aber auch sehr anspruchsvoll. OpSec muss von Anfang an berücksichtigt werden, denn ein einziger Fehler – allenfalls vor Jahren – genügt, um enttarnt zu werden.»

Ein solcher Fehler kann sein, dass es am Fachwissen für OpSec fehlt. So ist in Fachkreisen seit Jahren bekannt, dass Drucker das bedruckte Papier mit kaum sichtbarem Machine Identification Code (MIC) versehen. Diese MIC zeigt, wann der Ausdruck mit welchem Druckermodell einschliesslich Seriennummer erfolgt ist. Wer den verwendeten Drucker kennt, kann herausfinden, welche Personen diesen Drucker verwendet haben.

Ein weiterer Fehler kann sein, dass Laien nicht klar ist, dass Datenbanken und Dateisysteme standardmässig protokollieren, welche Nutzerinnen und Nutzer auf welche Informationen zugreifen. Auch Drucker führen standardmässig Protokoll. Selbst wenn bloss Datum und Zeit protokolliert werden, kann die Person, die als «Verräterin» in Frage kommt, vielfach ermittelt werden. Oftmals kommen nur einige wenige Personen überhaupt als Täterschaft in Frage.

Quellenschutz: Viele Lücken in der Schweiz

In der Schweiz ist der Quellenschutz übrigens von Gesetzes wegen lückenhaft:

Gemäss dem einschlägigen Art. 28a StGB dürfen Journalisten ihre Quellen teilweise schützen, sind aber nicht dazu verpflichtet. Der Quellenschutz gilt nur teilweise, weil insbesondere verschiedene Straftatbestände nicht unter den Quellenschutz fallen.

Der Schweizer Presserat sieht sogar ausdrücklich vor, dass sich Journalistinnen ausnahmsweise nicht an die zugesicherte Vertraulichkeit halten müssen (Journalistenkodex, Richtlinie 6.2):

«Journalistinnen und Journalisten haben ungeachtet der gesetzlichen Ausnahmeregelungen des Zeugnisverweigerungsrechts in jedem Einzelfall eine Interessenabwägung zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und anderen schützenswerten Interessen vorzunehmen. In Extremfällen können sich Journalistinnen und Journalisten von der abgegebenen Zusicherung der Vertraulichkeit entbunden fühlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Kenntnis von besonders schweren Verbrechen oder Drohungen erhalten, ebenso bei Angriffen auf die innere oder äussere Sicherheit des Staates.»

Whistleblower stehen damit vor dem Problem, Journalisten zu finden, denen sie vertrauen können. Wie das Beispiel von Reality Winner zeigt, genügt es nicht, wenn ein Medium – in diesem Fall «The Intercept» – einen guten Ruf als Whistleblower-Medium geniesst.

Der Versuch, schweizerische Whistleblower gesetzlich zu schützen, scheiterte zuletzt im Frühjahr 2020 im Nationalrat. Allerdings wird auch ein gesetzlicher Schutz nicht verhindern können, dass Whistleblowerinnen einen schweren Stand in Beruf und Gesellschaft haben.

Fazit: Wer kann, fährt besser mit der Faust im Sack

Whistleblowerinnen werden häufig enttarnt und verlieren damit grossmehrheitlich ihre Existenz. Wer von einem potenziellen Whistleblower kontaktiert wird, zum Beispiel als Anwalt oder als Journalistin, sollte deshalb vom Geheimnisverrat abraten. Die Gefahr einer Enttarnung ist – früher oder später – auch bei bester OpSec leider sehr hoch.

Wer sich überlegt, Whistleblowerin zu werden, muss sich klar sein, dass die eigene Existenz auf dem Spiel steht. Wer kann, ist normalerweise besser damit bedient, das Arbeitsumfeld oder sonstige betroffene Umfeld zu wechseln und die Faust im Sack zu machen. Womit auch gesagt ist, dass viele Whistleblower schlicht nicht anders konnten und dafür meist einen hohen Preis zahlen.

Siehe auch: Edward Snowden: Politisches Asyl in der Schweiz?

Bild: Pixabay / Free-Photos, Public Domain-ähnlich.

4 Kommentare

  1. Naive Frage: Ich könnte mir vorstellen, dass Anwälte wie Journalisten oder Ärzte eine gewisse Geheimhaltung bieten müssen. Wissen tue ich es nicht. Wenn dem so wäre: Könnte ein Whistleblower auch einen Anwalt als Proxy benutzen?

    1. @Hans:

      Die Kommunikation zwischen Anwalt und Whistleblower fällt tatsächlich unter das Anwaltsgeheimnis. Allerdings bedeutet das nicht, dass keine Enttarnung möglich ist, allein schon, weil auch die Kommunikation mit Rechtsanwälten der Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz unterliegt. Genauso gilt in diesem Fall, dass die Zahl der möglichen Geheimnisverräter klein ist.

      1. Okay, danke. Klar, eine gefahr gibt es immer. Das Idee war eher, dass so zwei Layer an Security durchbrochen werden müssen. Aber natürlich auch nur dann, wenn der Anwalt gegenüber der Journalistin ebenfalls Anonym auftritt.

        Whistleblowerin Anwalt Journalist

        Der Anwalt und der Journalist müssen in diesem Fall OpSec vernachlässigen.

        1. @Hans:

          Sie müssen zwei weitere Punkte bedenken:

          1. Journalisten möchten ihre Quellen – auch Whistleblower – normalerweise kennen und übernehmen nicht 1:1 Material, das man ihnen zur Verfügung stellt.

          2. Rechtsanwälte möchten sich normalerweise nicht an allfälligen Straftaten ihrer Mandantschaft beteiligen.

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