Online-Kommentare: SRF verbannt russisches Staatsfernsehen als Quelle

Foto: Altes Fernsehgerät auf einer Parkbank

Beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) kann das Publikum online News-Beiträge kommentieren. Wer kommentiert, sollte nicht auf «RT Russian Television» verweisen, denn solche Kommentare werden unabhängig vom Inhalt gelöscht.

Diese Erfahrung machte ein Mandant, der den News-Beitrag «Machtübernahme der Taliban – Die Gefühlskälte von Joe Biden» am 17. August 2021 wie folgt kommentierte hatte:

«RT Russian Television zeigt in den Nachrichten eine historische Aufarbeitung über die Rolle von Joe Biden, der von Anfang an dabei war und den Krieg befürwortet hat, ebenso wie denjenigen im Irak und die Einsätze in Syrien und anderen Bürgerkriegen. Ein ehemaliger CIA Mann meint dazu, dass die USA in allen ihren aussenpolitischen Entscheidungen, daneben lagen. Einer Talibansprecher sagt, dass Biden mit der Verzögerung des Abzuges, das Chaos in Kauf genommen hat.»

Der Kommentar wurde von SRF veröffentlicht, kurze Zeit später aber wieder gelöscht.

Netiquette: Verbot von nicht verlässlichen Quellen

Auf Nachfrage hin erklärte SRF, der Kommentar sei als «nicht Netiquetten-konform» gelöscht worden, da SRF «Russian TV» als nicht verlässliche Quelle einstufe:

«Der erste Kommentar von Ihnen um 09.02 Uhr ist nicht Netiquetten-konform, da SRF Russian TV nicht als verlässliche Quelle einstuft. Darum werden Kommentare in diesem Zusammenhang gelöscht. Leider wurde Ihr Kommentar fälschlicherweise publiziert. Wir bedauern dies sehr. Wir bearbeiten täglich über 3000 Kommentare, die wir alle durchlesen. Leider kann es zu Fehlern kommen und wie in Ihrem Fall zu einer kurzzeitigen Publikation. Wir entschuldigen uns und wünschen Ihnen einen schönen Tag. […]»

Mit der Auskunft widersprach SRF übrigens der eigenen Netiquette, denn darin heisst es, zu abgelehnten Kommentaren werde keine Auskunft erteilt, wenn diese gegen die Netiquette verstiessen.

Auf erneute Nachfrage hin erklärte SRF, keine Liste von Quellen, auf welche in Kommentaren nicht verwiesen werden darf, zu führen:

«[…] Bei uns wird jeder Link oder jede Quellenangabe geprüft und anhand journalistischer Kriterien als glaubwürdig eingestuft oder eben unsicher.»

Ausserdem:

«‹Russian Television (RT)› wird von Kritikern vorgeworfen, gezielte Falschinformation und Propaganda zu betreiben. Gemäss unserer Netiquette sind Verallgemeinerungen, Unterstellungen oder Behauptungen, die sich nicht überprüfen lassen, nicht zulässig. Und damit eben auch Quellen, die solche Behauptungen enthalten.

Zudem ist gemäss Netiquette auch politische Werbung nicht gestattet. RT wird von vielen als russischer Propaganda-Sender wahrgenommen, was wiederum unter politische Werbung fallen würde.»

RT, früher Russia Today, ist ein staatliches russisches Fernsehprogramm für ein Publikum im Ausland.

RT wird tatsächlich vorgeworfen, Desinformation, Propaganda oder Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Viele Beiträge von RT bewegen sich «in einem kritischen Graubereich zwischen Desinformation und freier Meinungsäußerung» und oft handelt es um «stark aus dem Zusammenhang gerissene Darstellung von Tatsachen und Äußerungen». Vor einigen Monaten sperrte Google die YouTube-Kanäle von RT wegen der Verbreitung von Falschinformationen über die COVID-19-Pandemie.

Darf SRF pauschal RT als Quelle in Kommentaren ausschliessen?

Der Kommentar unseres Mandanten war allerdings inhaltlich sachlich gehalten. Diesen Umstand bestätigte auch SRF:

«[…] Es ging also bei diesem Entscheid in erster Linie um die fehlende Verlässlichkeit der Quelle und nicht darum, ob der konkrete Kommentar faktisch falsch ist oder nicht.»

Durfte SRF den Kommentar löschen, nur weil in allgemeiner Form auf «RT Russian Television» verwiesen wurde?

Darf SRF pauschal RT als Quelle ausschliessen bzw. generell Kommentare, die auf RT verweisen, unabhängig vom Inhalt löschen?

Die Fragen sind relevant, weil SRF bzw. die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRF) zwar – anders als RT – kein Staatsfernsehen ist, aber über einen öffentlich-rechtlichen Auftrag verfügt. Dafür wird die Abgabe bzw. Mediensteuer gemäss Art. 68 ff. RTVG erhoben.

Die SRG soll unter anderem zur «freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge» beitragen (Art. 24 Abs. 4 lit. a RTVG).

Gemäss SRF soll der Auftrag, zur freien Meinungsbildung durch vielfältige Information beizutragen, nur für den «Kern [der] journalistischen Arbeit» gelten:

«Bei den Kommentaren von Seiten des Publikums geht es hingegen nicht um das Vermitteln von journalistischen Inhalten, sondern vielmehr um einen konstruktiven Diskurs.»

«Publikumsforen» werden in der Konzession der SRG ausdrücklich als Online-Angebot erwähnt (Art. 18 Abs. 2 lit. e u. Abs. 3 lit. b). Auch muss die SRG ausdrücklich Massnahmen treffen, «um einen permanenten Dialog mit der Bevölkerung zu ermöglichen» und dafür insbesondere «der gesamten Bevölkerung die Möglichkeit [bieten], sich mit ihr über frei zugängliche Online-Plattformen kostenlos über Programme auszutauschen» (Art. 5 Abs. 4).

Es erscheint naheliegend, dass SRF bei der Moderation von Online-Kommentaren nicht privatrechtlich handelt.

Gelöschte Kommentare: Kein Rechtsweg für betroffene Nutzerinnen und Nutzer?

Wie können sich Nutzerinnen und Nutzer der SRF-Kommentarfunktion, die der Meinung sind, ihre Kommentare würden zu Unrecht gelöscht, zur Wehr setzen?

Wenn es nach der SRG geht, gar nicht, denn es gebe keinen Rechtsweg, und die SRG sei auch nicht zum Erlass einer anfechtbaren Verfügung befugt:

«Die SRG ist ein privatrechtlicher Verein und als solche nicht zum Erlass einer anfechtbaren Verfügung befufgt. Gegen einen konkreten Entscheid der Redaktion, einen Kommentar zu löschen respektive nicht zu publizieren, gibt es keinen Rechtsweg. Das Bundesamt für Kommunikation […] kann in seiner Funktion als Aufsichtsbehörde […] die Anwendung der Netiquette allerdings in grundsätzlicher Hinsicht prüfen.»

Auf weitere Nachfrage hin wurde die Begründung unter anderem wie folgt konkretisiert:

«[…] Die SRG ist ein privatrechtlich organisierter Verein und handelt nicht hoheitlich. Zur Übertragung der Verfügungskompetenz ist eine ausreichende gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine solche gibt es für den hier relevanten Kontext nicht. Gerade weil sich die SRG selbstverständlich im rechtsstaatlichen Rahmen bewegt, kann sie ohne entsprechende gesetzliche Grundlage keine Verfügung erlassen. […]»

Ausserdem legte SRF dar, dass die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) nicht zuständig sei, und verwies nochmals auf das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM).

Die UBI hält sich tatsächlich nicht für zuständig, so zum Beispiel mit Entscheid b.889 vom 30. Juni 2021 (PDF). Dito die Ombudsstelle SRG.D im entsprechendem Schlussbericht vom 21. April 2021.

Das BAKOM ist für einzelne Kommentare nicht zuständig, doch läuft eine «Überprüfung auf systemischer Ebene» zu Fragen rund um die Netiquette von SRF.

Ich teile die Position von SRF bzw. SRG nicht, es gäbe gar keinen Rechtsweg zur gerichtlichen Prüfung der Löschung von Kommentaren.

Ich gehe davon aus, dass Nutzerinnen und Nutzer, deren Kommentare gelöscht werden, Anspruch auf den Erlass einer anfechtbaren Verfügung haben könnten, um den verwaltungsrechtlichen Weg zu beschreiten. Da die SRG anderer Ansicht ist, müsste eine betroffene Nutzerin oder ein betroffener Nutzer mit Rechtsverweigerungsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gelangen, um diese Rechtsfrage klären zu lassen.

Dabei dürfte es helfen, wenn klar ist, dass die betroffene Person nicht dem (politischen) Lager der SRG-Gegner zuzuordnen ist. Dem erwähnten Mandanten mit dem Afghanistan-Kommentar beispielsweise ist es ein Anliegen, dass die SRG einschliesslich SRF bei der weltpolitischen Berichterstattung eine hohe journalistische Qualität liefert und eine freie Meinungsbildung des Publikums durch insbesondere vielfältige Information ermöglicht.

Plattform-Regulierung: Rechtsweg für und gegen Löschung von Nutzer-Inhalten

Nutzerinnen und Nutzer sollten sich bei allen Online-Plattformen wirksam zur Wehr setzen können, wenn sie der Meinung sind, ihre Kommentare oder sonstigen Inhalte seien zu Unrecht gelöscht worden. Diese Möglichkeit sollte Teil einer künftigen Plattform-Regulierung in der Schweiz sein.

Plattformen – auch solche mit öffentlich-rechtlichem Auftrag – dürfen beanspruchen, nicht jeden Inhalt von Nutzerinnen und Nutzern veröffentlichen zu müssen. Die Moderation, die ohne Zweifel anspruchsvoll ist, muss aber klaren Kriterien folgen und gegen die Löschung von Kommentaren sollte ein wirksamer Rechtsschutz bestehen. Das gilt genauso für Nutzerinnen und Nutzer, die Inhalte zur Löschung melden und bei denen sich eine Plattform auf den Standpunkt stellt, nicht löschen zu wollen.

Anfang Oktober 2021 erklärte SRF übrigens, eine «neue Debattenkultur bei SRF News schaffen» zu wollen. Seither können nur noch ausgewählte News-Beiträge kommentiert werden.

Im November 2021 befasste sich die SRF-Sendung «Forum» mit dem Thema «Warum zensuriert ihr meinen Kommentar?».

Siehe auch: FDP vs. Deville: Wie unabhängig ist die SRG-Ombudsstelle?

Bild: Pexels / Anete Lusina, Pexels-Lizenz.

4 Kommentare

  1. Ich habe Mühe, Onlinekommentare zum Informationsauftrag der SRG zu zählen. Zwar werden sie in Art. 18 Abs. 2 lit. e u. Abs. 3 lit. b erwähnt, aber nur insofern dort ihr Einsatzgebiet eingeschränkt wird («Spiele und Publikumsforen werden nur angeboten, wenn sie einen zeitlich und thematisch direkten Bezug zu einer Sendung haben»). Daraus kann man m.E. nicht einmal den Auftrag ableiten, überhaupt Onlinekommentare anzubieten. Im selben Artikel werden auch Spiele erwähnt, und es käme wohl auch niemand auf die Idee, über die Nichtpublikation eines Spiels zum Thema Joe Biden eine beschwerdefähige Verfügung zu verlangen.

    Kostenloser Austausch über Programme der SRF hingegen könnte z.B. (und wird auch) über ein Kontaktformular angeboten. Dort erhält man sogar Antworten, wie ich selbst erfahren habe. Erst recht abgedeckt wäre dieser Auftrag auch über eine vormoderierte Kommentarsektion, wo nur ausgewählte Beiträge erscheinen. Der Konzession lässt sich m.E. nichts entnehmen, das die SRG verpflichtet, zur Wahrung eines Dialogs auch jeglichen beliebigen Schriftbeitrag aus dem Publikum zwingend auf ihren Seiten zu publizieren.

    1. @Paul Mongré:

      «Der Konzession lässt sich m.E. nichts entnehmen, das die SRG verpflichtet, zur Wahrung eines Dialogs auch jeglichen beliebigen Schriftbeitrag aus dem Publikum zwingend auf ihren Seiten zu publizieren.»

      Eine solche Verpflichtung stellen Sie in den Raum. In meinem Beitrag wird eine solche Verpflichtung weder behauptet noch gefordert. Ich bitte Sie, solche unfairen Formen der Diskussionstaktik zu unterlassen.

      1. Ich bedaure, wenn der Eindruck einer Unterstellung entstanden ist, das war nicht meine Absicht.

        Wenn man fragt, ob die SRG nach Gutdünken Kommentare löschen darf, ist für mich allerdings eine relevante und interessante Folgefrage, ob sie *überhaupt* nach Gutdünken über die Publikation von Kommentaren entscheiden darf. Daraus ergibt sich der zitierte Satz.

        Hier würde mich Ihre Sichtweise interessieren. Betrachten Sie die Löschung eines bereits publizierten Kommentars als Sonderfall oder als grundsätzlich vergleichbar mit der Entscheidung, einen zugesandten Onlinekommentar erst gar nicht zu veröffentlichen?

        1. @Paul Mongré:

          Ich schätze Ihre Diskussionsbeiträge. So kann man selbstverständlich die Ansicht vertreten, die SRG handle bei den Online-Kommentaren privatrechtlich. Ich danke Ihnen jedenfalls für die Klarstellung!

          Ob ein Kommentar direkt – also noch vor der Veröffentlichung – oder nachträglich gelöscht wird, betrifft meines Erachtens den gleichen Sachverhalt.

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