Bexio teilt Daten mit Mobiliar: «Iss oder stirb!» für Kunden

Foto: Wand mit einem RissVor einigen Tagen erhielten Bexio-Kunden eine E-Mail mit dem unverfänglichen Betreff «[…] AGB und Datenschutzerklärung vereinfacht». In der eigentlichen E-Mail folgte eine Überraschung: Bexio könne ab dem 1. Juni 2022 «Stamm-Daten für Analyse- und Marketingzwecke mit der Muttergesellschaft ‹die Mobiliar› […] teilen».

Die Schweizerische Mobiliar ist einer der grössten Versicherungskonzerne in der Schweiz und hatte Mitte 2018 das damalige Buchhaltungs-Startup Bexio für mutmasslich 115 Millionen Franken gekauft.

Insofern ist nicht überraschend, dass die Mobiliar die Daten über Bexio-Kunden für Werbung nutzen möchte.

Überraschend ist, dass Bexio-Kunden, die mit dem Teilen ihrer Daten nicht einverstanden sind, ihr Nutzerkonto beim Cloud-Dienst bis spätestens am 1. Juni 2022 schliessen müssten!

(Ja, 2022, nicht 2023!)

Einwilligung erteilen oder Cloud-Dienst innert Tagen wechseln?

Bexio formuliert diese Überraschung in der erwähnten E-Mail wie folgt:

«Wir hoffen, dass Sie die neuen AGB und DSE als Verbesserung wahrnehmen. Sollten Sie mit den vorgenommenen Änderungen wider Erwarten nicht einverstanden sein oder noch offene Fragen dazu haben, so können Sie gerne mit unserem Support Kontakt aufnehmen oder Ihr Konto, was wir sehr bedauern würden, bis einschliesslich 01.06.2022 schliessen.»

Kunden müssten innert weniger Tage auf eine Alternative migrieren. Bei einem Cloud-Dienst wie Bexio, das funktional «alles was Sie für Ihr Business brauchen» umfasst, ist eine derart kurzfristige Migration kaum denkbar.

Kunden von Bexio, die nicht möchten, dass ihre Daten mit der Mobiliar geteilt werden, haben faktisch gar keine andere Wahl, als vorläufig bei Bexio zu bleiben.

Unklar ist für mich, wieso es Bexio derart eilig hat. Die Vertragsänderung mit rund zwei Wochen Vorlauf entspricht nicht den Kündigungsfristen.

Bexio hat eine Sammlung von «Fragen und Antworten rund um die Anpassung unserer AGB und Datenschutzerklärung» veröffentlicht.

Siehe auch: Bexio wird definitiv zum Lakaien der Mobiliar (INSIDE IT)

Was steht in den neuen AGB und in der neuen Datenschutzerklärung?

Gemäss Ziffer 6 «Datenaustausch Gruppe Mobiliar» der neuen Datenschutzerklärung erklären Bexio-Kunden über die Annahme der neuen AGB «ausdrücklich [ihr] Einverständnis zur Weitergabe [ihrer] Daten» an die Mobiliar und mit ihr verbundene Gesellschaften.

Die Beschränkung auf die «Stammdaten», die in der E-Mail genannt wurden, fehlt. Bexio erklärt lediglich, es würden «in keinem Falle besonders schützenswerte Personendaten weitergegeben.»

In der Folge stellt sich die Frage, wie eine solche Weitergabe der Daten von Kunden und nicht etwa allein Stammdaten über Kunden mit der Auftragsverarbeitung durch Bexio vereinbar sein sollen.

In den neuen AGB findet sich die Einwilligung unter Ziff. 17.1:

«Der Kunde erklärt hiermit ausdrücklich sein Einverständnis zum Datenaustausch zwischen dem Provider und seiner Muttergesellschaft, der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG sowie den Versicherungsgesellschaften der Gruppe Mobiliar und weiteren zur Gruppe Mobiliar gehörende Gesellschaften gemäss Kapitel 6 der Datenschutzerklärung. Diese sind zur Geheimhaltung sowie zur Einhaltung der geltenden Datenschutzgesetzgebung verpflichtet.»

Die geteilten Daten sollen gemäss der neuen Datenschutzerklärung für folgende Zwecke verwendet werden dürfen:

  • «Kundenstamm-Abgleich: Die Kundenstammdaten werden zu statistischen Zwecken abgeglichen. Mit dem Abgleich wird analysiert, wie viele gemeinsame Kunden bestehen, wie sich dieser Anteil im Zeitverlauf entwickelt und wie sich die gemeinsamen Kunden geografisch verteilen.
  • Marktsegment-Analyse: Daten können zum Zweck der Marktsegment-Analyse bearbeitet werden. Hauptzweck der Marktsegmentierung ist, Unterschiede zwischen den Kunden aufzudecken, um daraus Schlussfolgerungen für segmentspezifische Marketingprogramme zu ziehen (Kundenstrukturanalyse).
  • Informationsaustausch: Daten können zum Zweck des Informationsaustauschs zwischen dem Provider und der Mobiliar bearbeitet werden. Hauptzweck ist dabei, die Produkte und Dienstleistungen für den Kunden ständig verbessern zu können, um die Benutzung und den gewünschten Zugang zu den Applikationen, Produkten und Informationen zu managen, um das geschäftliche Verhältnis zu den Kunden zu pflegen, um die Leistungsfähigkeit der Angebote zu überwachen und zu verbessern.
  • Marketing- und Analysezwecke: Ein Datenaustausch kann stattfinden, um den Kunden Angebote, Informationen oder Marketingmaterial über Produkte oder Dienstleistungen zukommen zu lassen, von welchen gestützt auf die Daten angenommen werden kann, sie könnten für den Kunden von Interesse sein.»

Mit welchen Mobiliar-Gesellschaften können die Daten geteilt werden?

Die Kundendaten können insbesondere mit folgenden Mobiliar-Gesellschaften geteilt werden:

  • Buildigo AG
  • Flatfox AG (ehemals aroov AG)
  • Liiva AG (mit Beteiligung der Raiffeisenbank)
  • Mobi24 AG
  • Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG
  • SC, SwissCaution SA
  • Schweizerische Mobiliar Asset Management AG
  • Schweizerische Mobiliar Holding AG
  • Schweizerische Mobiliar Lebensversicherungs-Gesellschaft AG
  • Schweizerische Mobiliar Risk Engineering AG
  • Schweizerische Mobiliar Services AG
  • Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG
  • Trianon AG
  • XpertCenter AG
    • Hingegen scheint eine Weitergabe der Kundendaten an strategische Beteiligungen der Mobiliar nicht geplant zu sein. Dazu gehören unter anderem folgende Gesellschaften:

      • aroov AG
      • Carvolution AG
      • Companjon Holding Ltd. (Irland)
      • Credit Exchange AG
      • Ringier AG

      Fazit: Bexio schadet dem Vertrauen in Cloud-Dienste

      Das Teilen der Daten von Bexio-Kunden mit dem Mutter-Versicherungskonzern Mobiliar kommt nicht überraschend. Nach dem Kauf von Bexio war die Frage nicht ob, sondern wann die Daten-Weitergabe erfolgen würde.

      Überraschend ist, wie den Bexio-Kunden das Messer an den Hals gesetzt wird:

      Kunden, die nicht möchten, dass ihre Daten mit den zahlreichen Mobiliar-Gesellschaften geteilt werden, müssen kurzfristig auf die Nutzung von Bexio verzichten.

      Wieso kann Bexio nicht einmal die Kündigungsfrist der einzelnen Kunden abwarten?

      Mit diesem «Iss oder stirb!»-Vorgehen schadet Bexio dem Vertrauen in Cloud-Dienste.

      Nach eigenen Angaben geniesst Bexio das Vertrauen von über 40’000 Unternehmen in der Schweiz.

      Diese Bexio-Kunden wissen nun, dass sie jederzeit mit kurzfristigen Änderungen bei Bexio rechnen müssen. Sie wissen nun, dass sie für die Nutzung von Bexio nicht nur in Franken und Rappen bezahlen, sondern auch mit ihren Daten.

      Die Weitergabe ihrer Daten an die Mobiliar mag viele Kunden nicht stören, solange die Werbung nicht allzu penetrant ausfällt. Aber wie sieht es mit der nächsten kurzfristigen Änderung aus?

      Wieso sollten Kunden nach dieser Erfahrung weiterhin Bexio und anderen Cloud-Diensten in der Schweiz vertrauen?


      Nachtrag: Bexio teilt auch Meta- und Nutzungsdaten mit Mobiliar

      Ein Bexio-Nutzer erhielt auf Nachfrage die Auskunft, dass die «Stammdaten» folgende Daten umfassen: «Firmenname, Adresse, Telefonnummer und E-Mailadresse».

      Gleichzeitig teilte Bexio mit, dass auch Meta- und Nutzungsdaten mit der Mobiliar geteilt werden:

      «Mit der Mobiliar werden […] die Meta-Daten zu unseren Kunden oder Daten hinsichtlich ihrer bexio-Nutzung geteilt. Davon ausgeschlossen sind die in bexio verwalteten Daten […].»

      Mit Blick auf die Datenschutzerklärung ist diese Auskunft nicht überraschend. Gemäss Datenschutzerklärung ist die Weitergabe von Daten wie erwähnt nicht auf «Stammdaten» beschränkt.

      Bild: Pixabay / struppi0601, Public Domain-ähnlich.

18 Kommentare

  1. Guten Abend Herr Steiger
    Vielen Dank fürs Aufgreifen der Thematik.
    Ich habe bereits selbst Kontakt mit bexio bezüglich der Änderungen gehabt (da ich nicht einverstanden war)
    Die «Stammdaten» beziehen sich «nur» auf mich also bexio-Benutzer, nicht jedoch quasi Inhalte (Kundendaten, Adressen etc.). Dies zumindest gemäss bexio.
    Für mich ist das leider nur kleiner Wermutstropfen, wie Sie im abschliessenden Satz erwähnen, aber zumindest muss ich (vorerst) keine Angst um Kundendaten haben…

    1. @Dario Riederer:

      Die Beschränkung auf die «Stammdaten» im erwähnten Sinn geht für mich nicht aus AGB und Datenschutzerklärung hervor. In der Datenschutzerklärung pauschal ist von der «Weitergabe seiner Daten» (also der Kundendaten) und von einem «Datenaustausch» die Rede. Auch ist der «Kundenstamm-Abgleich» einer von vier Zwecken, wobei bei den anderen drei Zwecken keine Beschränkung auf «Stammdaten» erfolgt.

  2. Sie schreiben, dass die Kündigungsfristen von bexio nicht eingehalten werden. Heisst das, die AGB-Änderung auf den 1.6. ist damit illegal?

  3. In der Tat ist es nicht erstaunlich, dass der völlig überteuerte Kauf durch die Mobiliar, durch den Zugriff auf Daten ausgeglichen werden will. Nur 12 Tage Entscheidungszeit für einen Wechsel ist jedoch eine bodenlose Frechheit.
    PS: als ich für mein KMU eine Software für die Buchhaltung evaluiert habe, hat die agressive Werbung auf einen Verkauf hingezeigt. Als dann für so eine vergleichsweise einfache Software so ein hoher Betrag bezahlt wurde, war das Geschäftsmodell klar. Ich habe wenig Verständnis dafür, wenn Kunden dieses Treiben länger unterstützen.

      1. Es geht eigentlich nicht um Alternativen. Ich sehe ein grösseres Problem betreffend Aufbewahrungspflicht der abgelaufenen Buchungsperioden, deren Daten nicht exportiert werden können und somit verloren gehen.

        Bexio “hatte” den Vorteil der Cloud, was sich nun als Nachteil erweist. Es gibt leider keine lokale Datensicherung. Ich frage mal bei Bexio nach, was sie vorschlagen.

          1. Es gibt mühsame Exportmöglichkeiten über viele Exceltabellen und/oder PDF. Einen EINZIGEN Export, inkl. Belege gibt es nicht. Die Verknüpfungen zwischen Buchungen und Belegen sind dann weg.

            Die Banktransaktionen können nicht exportiert werden. Der Export mittels Excel für Firmen, die der Buchführungspflicht unterliegen, ist wahrscheinlich dafür nur schlecht geeignet.

            Ich habe heute einige Stunden am PC verbracht und die neue Lösung wird auch noch erheblich Zeit kosten.

            Ob die Daten dann wirklich nicht zur Mobiliar gehen ist fraglich, denn bei der Kündigung steht, dass die Daten noch bis zum Ablauf der bereits bezahlten Monate verfügbar bleiben! Eine Löschmöglichkeit habe ich nicht gefunden.

            Wir werden wahrscheinlich von Bexio ausgepresst (genötigt zur Überlassung der Daten). Ich hoffe nicht, dass meine Kundendaten aus der EU verwendet werden und ich dann dort Probleme erhalte.

          1. Das ist nicht korrekt. Es werden keine Daten an Drittfirmen weitergegeben. Es ist immer ein Opt-In/Bestätigung (Willensäusserung durch den User) nötig, damit Daten weitergeleitet werden.

        1. Ich nutze für eine private Buchhaltung schon länger die Free Version von https://cashctrl.com/. Nun überlege ich, ob ich meine Firmenbuchhaltung ebenfalls umziehe. Die Pro-Version scheint ziemlich identisch zu sein, zu dem was ich in Bexio bis anhin genutzt habe.

        2. «Gängige» , sprich: bewährte und praktische KMU-Lösungen gibt es etliche in der Schweiz. Man findet sie in der Marktübersicht auf topsoft.ch oder für Buchhaltungslösungen auf buchen.ch. Übrigens gibt es etliche unabhängige Schweizer Hersteller, die sich nicht über den Verkauf von Nutzerdaten finanzieren.

  4. Eine Änderung der Datenschutzbestimmungen ist meiner Meinung nach eine einseitige Vertragsänderung welcher ein Kunde nicht automatisch zustimmen muss. Er kann auf dem ursprünglichen Vertrag bestehen.

    Ich als Bexio Kunde habe soeben Widerspruch eingelegt. Und wenn meine Daten trotzdem weitergegeben werden, so werde ich klagen. Vorsichtshalber such ich mal nach alternativen Lösungen.

    Google Analytics ist ein no go und zumindest in der EU illegal (und somit vermutlich auch in der Schweiz). Selbst «anonym» ist das so.

    Sowas geht gar nicht!

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