Schweiz: Neue Straftatbestände gegen Cybermobbing, digitale Gewalt und Stalking?

Bild: Brille vor ComputerbildschirmenDie Schweiz erhält neue Straftatbestände gegen Cybermobbing, digitale Gewalt und Stalking, wenn es nach der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates geht. Der Nationalrat ist die grosse Kammer im schweizerischen Parlament.

Die nationalirätliche Rechtskommission befasste sich gemäss Medienmitteilung vom 11. November 2022 mit neuen Straftatbeständen für den digitalen Raum:

«Die Kommission hat zunächst den Bericht des Bundesrates vom 19. Oktober 2022 in Erfüllung ihres Postulats 21.3969 (‹Ergänzungen betreffend Cybermobbing im Strafgesetzbuch›) zur Kenntnis genommen und im Anschluss daran mit verschiedenen Anträgen zur Ahndung von digitaler Gewalt, digitaler Belästigung sowie Stalking befasst.»

Neuer Straftatbestand gegen Cybermobbing

«Anders als der Bundesrat hält die Kommission daran fest, dass im Strafgesetzbuch eine Bestimmung eingefügt werden solle, welche das Cybermobbing explizit mit Strafe bedroht. Sie beantragt deshalb […], der parlamentarischen Initiative von Nationalrätin Gabriela Suter 20.445 (‹Neuer Straftatbestand Cybermobbing›) Folge zu geben.»

Der Bundesrat hatte erklärt, ein «Handlungsbedarf im materiellen Recht sei zu verneinen», auch mit Verweis auf die anspruchsvolle Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum:

«Es darf nicht vergessen gehen, dass die geltenden materiellen Straftatbestände bzw. auch die Einführung neuer, spezifischer Tatbestände keine Wirkung entfalten können, wenn sich das Strafrecht nicht durchsetzen lässt. Die Rechtsdurchsetzung bei über IKT begangenen Straftaten ist schwierig und oft sogar unmöglich: Bei Äusserungsdelikten auf Internetplattformen operiert die Täterschaft oft anonym. Für die Identifikation der Täterschaft und auch den Nachweis anderer Sachverhaltselemente sind die Strafverfolgungsbehörden auf Daten als Beweismittel angewiesen, die oft im Ausland gespeichert sind. Die Beweissicherung ist somit technisch und rechtlich anspruchsvoll.»

Nationalrätin Gabriela Suter als parlamentarische Initiantin hatte sich wie folgt geäussert:

«Das Argument, die bestehenden Gesetze seien ausreichend und es sei nur eine Frage der Richter*innen, diese auch zur Anwendung zu bringen, vermag nicht zu überzeugen. Der Umgang mit Cybermobbing in der Praxis der Strafverfolgung ist schwierig, weil die klassischen Grundtatbestände […] auf Einzelhandlungen ausgelegt sind, die einen bestimmten Erfolg herbeiführen. Bei Cybermobbing ist es aber eher eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Handlungen, die in ihrer Gesamtheit auf das Opfer einwirkt.»

Und:

«Im Strafrecht sollen die einzelnen Handlungen, die strafbar sind, so genau und präzise wie möglich umschrieben werden. Ein Strafgesetzbuch muss mit der Zeit gehen und allgemein verständliche Straftatbestände enthalten, die aktuellen sozialen Phänomenen entsprechen. Nur so können sie auch ihre präventive Wirkung entfalten.»

Neuer Straftatbestand gegen kompromittierende Aufnahmen jenseits von «Revenge Porn»

«Weiter hat [die Kommission] bei der Beratung des Sexualstrafrechts (18.043, Entwurf 3) geprüft, ob ein neuer Straftatbestand eingeführt werden sollte, der das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten (‹Revenge Porn›) unter Strafe stellt (Art. 197a E-StGB), wie dies der Ständerat mit Artikel 197a E-StGB beschlossen hat. Diskutiert wurde insbesondere, ob ein allfälliger neuer Tatbestand auf sexuelle Inhalte beschränkt sein oder nicht auch anderweitig kompromittierende Aufnahmen erfassen sollte und damit als Artikel 179undecies E-StGB auch bei den Straftaten gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich eingeordnet werden sollte. Die Kommission folgte schliesslich dieser Überlegung und beantragt […] die Aufnahme eines neuen, weiter gefassten Artikels 179undecies E-StGB.»

Der erwähnte neue Straftatbestand «Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten» gegen «Revenge Porn» gemäss Art. 197a E-StGB lautet wie folgt:

«Wer einen nicht öffentlichen sexuellen Inhalt, namentlich Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, Gegenstände oder Vorführungen, ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person einer Drittperson weiterleitet, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.»

Und:

«Hat der Täter den Inhalt öffentlich gemacht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Mit dem Antrag für einen weiter gefassten Art. 179undecies E-StGB kommt die Kommission auf die Debatte im Ständerat vom 13. Juni 2022 zurück.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte das Anliegen damals unter anderem wie folgt zusammengefasst:

«[…] Auffassung, dass der Tatbestand nicht bei den strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität, sondern bei jenen gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich eingereiht werden sollte. Zudem sollte der Tatbestand auch eine breitere Palette von Verhaltensweisen umfassen, wie die Veröffentlichungen von Fotos ohne sexuellen Inhalt, also Fotos, die auch sonst kompromittierend sein können.»

Neuer Straftatbestand gegen «Cyber­grooming»

«Die Kommission hat sich überdies intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob das sogenannte ‹Cybergrooming›, also das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Minderjährigen im Internet, als neuer Straftatbestand im Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollte, wie dies die RK-S in ihrer Vernehmlassungsvorlage zum Sexualstrafrecht (18.043, Entwurf 3) zur Diskussion gestellt hatte.»

Und:

«Die Kommission ist der Ansicht, dass die digitale Belästigung von Kindern und Jugendlichen im Internet ein grosses Problem darstellt. Sie beantragt […] die Aufnahme eines entsprechenden, als Antragsdelikt ausgestalteten, Artikels 197b ins Strafgesetzbuch, womit sie auch eine von Viola Amherd eingereichte und von Nationalrat Bregy übernommene parlamentarische Initiative 18.434 umzusetzen gedenkt (‹Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen›). Die Kommission hat die Vorlage […] im Hinblick auf ihre Beratung in der kommenden Wintersession angenommen.»

Die heutige Bundesrätin Viola Amherd hatte ihr Anliegen damals unter anderem wie folgt begründet:

«[…] In der Praxis hat sich gezeigt, dass ohne Anpassungen im Strafgesetzbuch Cybergrooming nicht bekämpft werden kann. Die möglichen bereits existierenden Straftatbestände scheinen nicht zu greifen. Zu diskutieren ist, ob ein eigener spezifischer Cybergrooming-Tatbestand geschaffen werden muss, welcher allfällige Vorbereitungshandlungen für ein Treffen mit Minderjährigen unter Strafe stellt, oder ob bereits bestehende Straftatbestände entsprechend ergänzt werden können. Sexuelle Belästigung von Kindern im Netz muss zudem generell als Offizialdelikt ausgestaltet werden. Nur so kann Minderjährigen derjenige Schutz im Internet und im echten Leben gewährt werden, den sie benötigen.»

Neuer Straftatbestand gegen Stalking

«Im Übrigen hat die Kommission das weitere Vorgehen zur Umsetzung ihrer Kommissionsinitiative zur Aufnahme eines Straftatbestands ‹Stalking› (19.433) beraten und die Verwaltung mit der Ausarbeitung eines Vorentwurfs beauftragt, zu dem im zweiten Halbjahr 2023 eine Vernehmlasssung durchgeführt werden kann.»

Die Kommission für Rechtsfragen schlägt vor, die bestehenden Straftatbestände gegen Drohung (Art. 180 StGB) und Nötigung (Art. 181 StGB) wie folgt zu ergänzen:

«Wer jemanden durch schwere Drohung oder durch andauernde Belästigungen in Schrecken oder Angst versetzt, wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Und:

«Wer jemanden durch Gewalt, durch Androhung ernstlicher Nachteile, durch mehrmaliges Belästigen, Auflauern oder Nachstellen oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates hat dieser parlamentarischen Initiative bereits zugestimmt.

Siehe auch: Neuer Straftatbestand: Schweiz stellt Identitätsmissbrauch unter Strafe.

Bild: Pixabay / rgaymon, Public Domain-ähnlich.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Felder mit * sind Pflichtfelder.