Öffentlichkeitsprinzip: Was steht in der Vereinbarung für das neue COVID-19-Beratungsgremium?

Foto: Wald im NebelAm 22. November 2022 kündigten Bund und Kantone an, es werde ein neues wissenschaftliches Beratungsgremium für die COVID-19-Pandemie eingesetzt. Man habe mit dem ETH-Rat eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen. Was steht in dieser Vereinbarung?

Wie eine Anfrage gemäss Öffentlichkeitsprinzip zeigte, wurde die Vereinbarung – rund einen Monat später – noch gar nicht unterzeichnet.

In der einschlägigen Medienmitteilung vom 22. November 2022 heisst es unter anderem:

«Um die Kantone und den Bund auch nach Auflösung der Swiss National Covid-19 Science Task Force mit wissenschaftlicher Expertise zu unterstützen, wird ein neues wissenschaftliches Beratungsgremium für die Covid-19 Pandemie eingesetzt. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz, das Eidgenössische Departement des Innern und das Staatssekretariat für Bildung und Forschung und Innovation haben eine entsprechende Vereinbarung mit dem ETH-Rat abgeschlossen. Das Beratungsgremium steht unter dem Vorsitz von Tanja Stadler, Professorin an der ETH Zürich und umfasst 14 Mitglieder aus unterschiedlichen Institutionen und Fachbereichen. Das Mandat läuft vorläufig bis Ende Juni 2023.»

Die Medien verbreiteten die Medienmitteilung grossmehrheitlich ohne zu fragen, was vereinbart wurde.

Ich erkundigte mich deshalb am 22. November 2022 bei Tobias Bär, Kommunikationsverantwortlicher der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), nach der Veröffentlichung. Bär antwortete, dass die Veröffentlichung in den nächsten Tagen erfolgen sollte (Screenshot).

Gleichzeitig bat ich beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) um Zugang zur Vereinbarung und zu sonstigen Dokumenten im Zusammenhang mit dem neuen Beratungsgremium. Gemäss dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) gilt für die schweizerische Bundesverwaltung des Öffentlichkeitsprinzip.

Vereinbarung: Keine Unterzeichnung, keine Veröffentlichung

«Die Vereinbarung befindet sich gegenwärtig in der Unterschriftenrunden und wurde noch nicht von allen beteiligten Stellen gegengezeichnet.»

Eidgenössisches Departement des Innern (EDI)

Bis und mit heute wurde die Vereinbarung nicht veröffentlicht. Der Grund: Die Vereinbarung wurde noch gar nicht unterzeichnet.

Das BAG leitete mein Zugangsgesuch erst einmal «zuständigkeitshalber» an das Generalsekretariat des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) von Bundesrat Alain Berset weiter. Darüber wurde ich am 9. Dezember 2022 informiert.

Am 12. Dezember 2022 teilte mir die Leiterin Recht im EDI mit, die Vereinbarung sei noch gar nicht unterzeichnet worden (Screenshot):

«Die Vereinbarung befindet sich gegenwärtig in der Unterschriftenrunden und wurde noch nicht von allen beteiligten Stellen gegengezeichnet.»

Und:

«Sobald dies geschehen ist, werden wir das Dokument – für alle zugänglich – auf den Internetseiten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) publizieren. Wir werden Ihnen den Link darauf dann gerne zukommen lassen.»

Die Vereinbarung wurde bislang nicht veröffentlicht noch wurde ich über die Veröffentlichung informiert. Ich muss deshalb davon ausgehen, dass die Vereinbarung weiterhin nicht unterzeichnet wurde.

Das Beispiel zeigt, wie Behörden Vertrauen verspielen, indem sie das Öffentlichkeitsprinzip nicht ernst nehmen.

Wieso sich die Unterzeichnung verzögert, ist für mich unklar.

Am eigentlichen Unterzeichnen kann es nicht liegen, denn selbst bei Verwendung von Briefpost würde das Einsammeln der Unterschriften nicht mehr als einige Tage dauern.

Unklar ist für mich auch, wieso behauptet wurde, man habe eine Vereinbarung abgeschlossen, obwohl diese noch gar nicht unterzeichnet war und immer noch nicht unterzeichnet ist.

Das Beispiel zeigt, wie Behörden Vertrauen verspielen, indem sie das Öffentlichkeitsprinzip nicht ernst nehmen.

In der vorliegenden Angelegenheiten hätten die Behörden von Anfang an transparent kommunizieren und die Vereinbarung veröffentlichen müssen.

Zur Erinnerung:

«[…] Das Öffentlichkeitsprinzip dient der Transparenz der (Justiz-)Verwaltung und soll das Vertrauen des Bürgers in die staatlichen Institutionen und ihr Funktionieren fördern; es bildet zudem eine wesentliche Voraussetzung für eine sinnvolle demokratische Mitwirkung am politischen Entscheidfindungsprozess und für eine wirksame Kontrolle der staatlichen Behörden […].»

(Ausführungen des Bundesgerichts zum Öffentlichkeitsprinzip in BGE 13 II 209 E.2.3.1.)

Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Medien in der Schweiz grossmehrheitlich Verlautbarungsjournalismus betreiben:

Medienmitteilungen von Behörden werden meist verbreitet, ohne nachzufragen. Die meisten Medien können oder wollen ihre Rolle als «vierte Gewalt» nicht wahrnehmen.

Bild: Pixabay / Pexels, Public Domain-ähnlich.

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