Fedpol: Neues Identifikationssystem mit Gesichtserkennung, ähmm, Gesichtsbildabgleich

Foto: Menschliches Auge

Das Bundesamt für Polizei in der Schweiz, abgekürzt Fedpol, möchte sein Identifikationssystem erneuern. Ab 2026 sollen neben Fingerabdrücken und Handabdrücken auch Gesichter abgeglichen werden können.

Das bestehende automatisierte Fingerabdruck-Identifikationssystem (AFIS) soll bis 2026 durch ein neues System ersetzt werden. Das Projekt heisst AFIS2026.

Gleichzeitig soll ein Modul für den Gesichtsbildabgleich ergänzt werden. Ja, Gesichtsbildabgleich und nicht Gesichtserkennung, wie der Bundesrat ausdrücklich in seiner Medienmitteilung betont:

«Mit dem Projekt AFIS2026 soll das System zum Abgleich von Finger- und Handflächenabdrücken zusätzlich um ein Modul für den Gesichtsbildabgleich ergänzt werden. Es handelt sich dabei nicht um ein System zur Gesichtserkennung, denn diese ist in der Schweiz gesetzlich verboten.»

Der Bundesrat erklärt, das neue System werde «vom beträchtlichen technologischen Fortschritt bei den Methoden zur Identifikation von Finger- und Handflächenabdrücken profitieren».

Das neue Modul für den Gesichtsbildabgleich soll der «modernsten Technologie in diesem Bereich» entsprechen:

«Bei der Einführung des heutigen Systems wurde noch auf den Gesichtsbildabgleich verzichtet, weil die Kosten damals im Vergleich zum Nutzen zu hoch waren. Heute ist die Ausgangslage dank der technologischen Entwicklung eine andere: Die Erfolgsquote und die Zuverlässigkeit des Gesichtsbildabgleichs sind deutlich besser.»

Und:

«Der Gesichtsbildabgleich ist eine ergänzende Methode in der biometrischen Identifikation von Personen und Tatortspuren, insbesondere wenn keine Fingerabdruck- oder DNA-Spuren vorhanden sind. Das System funktioniert wie beim Fingerabdruckabgleich: Beispielsweise kann in einem Strafverfahren ein Bild einer verdächtigen Person mit im AFIS gespeicherten erkennungsdienstlichen Bildern abgeglichen werden. Andere Quellen wie Fotos von Ausweisen oder aus den sozialen Netzwerken dürfen für den Abgleich nicht verwendet werden. Auch wird das Gesichtsbild von gesuchten Personen nicht automatisch und in Echtzeit mit Überwachungskameras abgeglichen. Es erfolgt also keine Überwachung mittels Gesichtserkennung. Dafür besteht in der Schweiz keine gesetzliche Grundlage.»

Seine Medienmitteilung ergänzt der Bundesrat mit einem aufwendig produzierten YouTube-Erklärvideo:

Video: YouTube / Bundesamt für Polizei (Fedpol).

Gesichtserkennung: Wieso schreibt der Bundesrat von einem gesetzlichen Verbot?

Wie der Bundesrat auf die Idee kommt, Gesichtserkennung sei in der Schweiz gesetzlich verboten, ist rätselhaft.

Die Kampagne «Gesichtserkennung stoppen!» der Digitalen Gesellschaft und von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wäre damit überflüssig. Ein gesetzliches Verbot von Gesichtserkennung in der Schweiz ist mir nicht bekannt.

Bei seiner Antwort auf die Interpellation 21.3580 von Nationalrat Balthasar Glättli war auch dem Bundesrat vor kurzem kein solches Verbot bekannt:

«Wie sich aus den vorstehenden Überlegungen ergibt, dürfen die Behörden des Bundes und der Kantone die Gesichtserkennung zur Identifizierung im öffentlichen Raum nur dann einsetzen, wenn eine ausreichende Rechtsgrundlage dafür besteht. […] Ein absolutes Verbot oder Moratorium auf Bundesebene steht nicht auf der Tagesordnung, weitergehende kantonale Regelungen sind dem Bundesrat nicht bekannt.»

Geheimdienst und Polizei in der Schweiz verwenden jedenfalls Gesichtserkennung, wie beispielsweise das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) dokumentiert hat.

Hingegen ist interessant, dass der Bundesrat von einer fehlenden Rechtsgrundlage für Gesichtserkennung schreibt, denn eine solche ist tatsächlich nicht ersichtlich:

«Der Einsatz von Gesichtserkennung […] sei illegal, sagt die Strafrechtsprofessorin Monika Simmler. ‹Im Strafprozessrecht ist nur das erlaubt, was explizit vorgesehen ist. Gesichtserkennung ist – anders als etwa Fingerabdrücke oder DNA-Analyse – nicht vorgesehen, darum ist sie automatisch verboten.› Wenn die Polizei solche Mittel nutzen wolle, müsse das Parlament die Strafprozessordnung ändern. […]»

Und:

«Auch der Nachrichtendienst des Bundes NDB arbeitet mit Gesichtserkennung […]. Er überprüft damit, ob Personen einreisen, die dem Nachrichtendienst bekannt sind. Auch hier stellen sich rechtliche Fragen. Die Aufsichtsbehörde hat den Einsatz jüngst untersucht und schreibt: ‹Die AB-ND empfiehlt, die Rechtsgrundlagen für das Gesichtserkennungssystem intern und extern vertieft abzuklären.›»

Neusprech: Heisst «Gesichtserkennung» nun «Gesichtsbildabgleich«?

Mit Blick auf das neue Identifikationssystem scheint der Bundesrat jedenfalls zu versuchen, den Begriff «Gesichtsbildabgleich» anstelle von «Gesichtserkennung» zu etablieren.

Die Wortschöpfung erinnert an die Bezeichnung «Government Software», kurz «GovWare», für Bundestrojaner und andere staatliche Schadsoftware und weckt Erinnerungen an Neusprech in «1984» von George Orwell:

«Neusprech wird […] als Bezeichnung für Sprachformen oder sprachliche Mittel gebraucht, die durch Sprachmanipulation bewusst verändert werden, um Tatsachen zu verbergen und die Ziele oder Ideologien der Anwender zu verschleiern.»

Siehe auch: Gesichtserkennung: Darf das die Polizei? (Schweizer Monat)


Nachtrag: Prof. Monika Simmler weist bei LinkedIn auf die grosse Zahl der bereits heute gespeicherten Gesichter hin:

«In der nationalen Datenbank sind per 15. Januar 2023 insgesamt 1’012’810 Gesichtsbilder aus 387’181 erkennungsdienstlichen Behandlungen gespeichert. Erst mit Inbetriebnahme des neuen Erkennungssystems (Projekt AFIS2026) wird die Möglichkeit bestehen, mit diesen Daten einen systematischen Gesichtsbildabgleich durchzuführen. »

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