Schweiz: Internet-Plattformen sollen nach europäischem Vorbild reguliert werden

Foto: Wort «SOCIAL MEDIA», gebildet aus Scrabble-Buchstaben

«Grosse Kommunikationsplattformen» sollen in der Schweiz doch noch reguliert werden. Die Verwaltung, so der bundesrätliche Auftrag, soll bis Ende März 2024 eine entsprechende Vorlage ausarbeiten. Der Fokus soll auf mehr Rechten für die Nutzer:innen und auf Transparenz liegen.

Bislang tat sich der Bundesrat mit der Plattform-Regulierung schwer. So liegt die einfach umsetzbare Forderung nach einem schweizerischen Zustellungsdomizil für grosse Plattformen, die im Parlament unbestritten war, seit Jahren beim Bundesamt für Justiz.

Nun kündigt der Bundesrat unter anderem an, dass gemäss der geplanten Vorlage die «grossen Plattformen […] eine Kontaktstelle und einen Rechtsvertreter in der Schweiz benennen» sollen.

«Die Systeme, die entscheiden, wer welche Inhalte zu sehen bekommt, sind intransparent. Nutzerinnen und Nutzer haben ausserdem gegenüber den Plattformen eine schwache Stellung.»

Schweizerischer Bundesrat

Die Vorlage soll ferner folgende Punkte umfassen:

  • «Nutzende, deren Inhalte gelöscht oder deren Konto gesperrt wurde, sollen bei der Plattform direkt eine Überprüfung der getroffenen Massnahme verlangen können. Zusätzlich soll eine unabhängige Schweizer Schlichtungsstelle geschaffen werden. Diese soll von den Plattformen finanziert werden.»
  • «Um Transparenz zu schaffen, sollen die grossen Plattformen Werbung als solche kennzeichnen und bei zielgruppenspezifischer Werbung die wichtigsten Parameter veröffentlichen, nach denen Werbung ausgespielt wird. Damit kann nachvollzogen werden, wer aus welchen Gründen eine bestimmte Werbung erhält.»
  • «Die Nutzenden sollen den Plattformen Aufrufe zu Hass, Gewaltdarstellungen oder Drohungen auf einfache Weise melden können. Die Plattformen müssen die Meldungen prüfen und die Nutzenden über das Ergebnis informieren.»

Den Hintergrund der geplanten Plattform-Regulierung beschreibt der Bundesrat wie folgt:

«Die Bevölkerung informiert sich immer stärker über Kommunikationsplattformen wie Google, Facebook, YouTube und Twitter und bildet sich so ihre Meinung. Die Plattformen beeinflussen damit vermehrt die öffentliche Debatte.

Heute sind die Plattformen aber kaum reguliert. Die Systeme, die entscheiden, wer welche Inhalte zu sehen bekommt, sind intransparent. Nutzerinnen und Nutzer haben ausserdem gegenüber den Plattformen eine schwache Stellung. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn eine Plattform das Konto von Nutzenden sperrt oder Inhalte löscht, die Nutzende verbreiten. Nutzerinnen und Nutzer können sich momentan gegen solche Sperrungen und Löschungen nicht oder nur ungenügend wehren.»

Und:

«Der Bundesrat will deshalb die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz stärken und von den Plattformen mehr Transparenz verlangen, ohne die positiven Effekte der Plattformen auf die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken. Dazu sind neue gesetzliche Bestimmungen notwendig.

Die neuen Bestimmungen sollen für Betreiber von grossen Kommunikationsplattformen (Intermediäre) gelten. Behördliche Eingriffsmöglichkeiten auf Inhalte, die über jene in der analogen Welt hinausgehen, sind nicht vorgesehen. Die neuen Bestimmungen sollen sich, wo sinnvoll, an den Regeln des Digital Services Act der Europäischen Union orientieren.»

Vorbild ist erklärtermassen der europäische Digital Services Act (DSA). Die Europäische Kommission beschreibt den DSA wie folgt:

«Das Gesetz über digitale Dienste erleichtert die Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der Nutzer/innen – darunter die Redefreiheit – im Internet. Außerdem sorgt es für eine strengere Beaufsichtigung von Online-Plattformen, insbesondere von Plattformen, die mehr als 10 % der EU-Bevölkerung erreichen.»

Was für eine Plattform-Regulierung in der Schweiz bis wann resultieren wird, ist  offen. Selbst wenn die Vorlage Ende März 2024 vorliegen würde, könnte es noch Jahre bis zu einer Umsetzung dauern.

Die neue Regulierung könnte für Nutzer:innen in der Schweiz auch Rückschritte bringen. So gibt es in der Schweiz bislang kein Haftungsprivileg für Plattformen, sondern sie stehen gemeinsam mit den Nutzer:innen in der Verantwortung, insbesondere als Mitwirkende bei widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB.

Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube […] entscheiden […] faktisch selbst, welches schweizerische Recht sie einhalten (oder eben nicht einhalten).

Immerhin erinnern viele Punkte in der angekündigten Vorlage an Forderungen aus der Zivilgesellschaft in der Schweiz. Die Digitale Gesellschaft und andere Organisationen hatten diese Forderungen in ihrem Joint Statement «Plattform-Regulierung in der Schweiz» zusammengefasst.

Offen ist die Durchsetzbarkeit einer künftigen schweizerischen Plattform-Regulierung.

Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube werden für die Schweiz von ausländischen Unternehmen angeboten. Da in den entsprechenden Ländern das schweizerische Recht nicht mit Zwang durchgesetzt werden kann, entscheiden diese Unternehmen faktisch selbst, welches schweizerische Recht sie einhalten (oder eben nicht einhalten).

Siehe auch:


Nachtrag vom 10. März 2024: Der Entwurf für die geplante Plattform-Regulierung in der Schweiz verzögert sich bis mindestens Herbst 2024.

Bild: Pixabay / Visual Tag Mx, Pixabay-Lizenz.

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