Interpellation Aebischer (23.3535): Rechtliche Grundlagen für individuelle Preise durch Tracking im öffentlichen Verkehr?

Bild: Futuristische Visualisierung von öffentlichem Verkehr (AI-generiert)

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz plant mit «myRide» die Überwachung aller Reisenden, um individuelle Preise zu ermöglichen. Nationalrat Matthias Aebischer erkundigte sich beim Bundesrat nach den rechtlichen Grundlagen für die geplanten individuellen Preise und das entsprechende Tracking.

Die Alliance SwissPass beschreibt die «Vision» wie folgt:

«Reisen werden künftig in einem digitalen ‹Reisetagebuch› aufgezeichnet und anschliessend anhand eines E-Tarifs abgerechnet, der sich an das Nutzerverhalten anpasst und sowohl für Gelegenheitsreisende als auch für Vielnutzende optimale Angebote hervorbringt. Die Kundinnen und Kunden müssen sich keine Gedanken mehr machen über Billettkauf, Reiseweg oder Gültigkeitsdauer. Sie reisen mit einem ‹intelligenten Taxameter› und profitieren damit vom selben Komfort, den momentan nur GA-Kundinnen und -Kunden geniessen. Zudem kann das Sortiment in diesem System national vereinheitlicht und vermehrt auf die individuellen Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet werden.»

Seine Fragen richtete Aebischer im Rahmen seiner Interpellation 23.3535 («Rechtliche Grundlagen für digitale ÖV-Tickets auf Grundlage eines personalisierten Tarifsystems») an den Bundesrat.

Aebischer leitete seine Interpellation wie folgt ein:

«Alliance SwissPass führt im Moment im Rahmen des Projekts ‹myRIDE› Tests an einem neuen Tarifsystem durch und prüft so einen digitalen Tarif, der sich an einer ‹schwankenden Nutzungsintensität› der Reisenden anpassen soll und nachträglich berechnet wird. Dies bedeutet, dass die Kosten der Tickets vom jeweiligen individuellen Konsum der Vergangenheit abhängen. Damit dies geschehen kann, müssen die Fahrten von einem Smartphone aufgezeichnet und digital gespeichert und verarbeitet werden. Ebenso sind analoge Zahlungsoptionen nicht mehr möglich.

Der neue digitale Tarif lässt Fragen bezüglich Transport- und Tarifpflicht, Preisbekanntgabe, freie Wahl der Zahlungsmittel und Datenschutz aufkommen.»

Fragen und Antworten zur «myRide»

Frage 1: Wer ist beim Bund am Projekt ‹myRide› beteiligt?

«Hat der Bundesrat Kenntnis über das Projekt ‹myRide› der Alliance SwissPass? Falls ja, welche Bundesstellen wurden bisher kontaktiert?»

Antwort:

«Im Rahmen des Berichts des Bundesrates zum Postulat Reynard (19.4199 – Für einen erschwinglichen und gut eingespielten öffentlichen Verkehr) sowie des Berichts der EFK vom 28.02.2023 (PA 22747) betreffend Prüfung des Projektes GITA hat der Bundesrat Kenntnis vom Projekt ‹myRide› erhalten. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist in die Projektorganisation eingebunden. Mit dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) steht die Alliance SwissPass in Kontakt bezüglich Einführung von automatisiertem und anonymisierten Ticketing.»

Fragen 2 und 6: Bleibt die freie Wahl von technischen Mitteln und Zahlungsmöglichkeiten gewährleistet?

«Viele Menschen haben weder die technischen noch die finanziellen Mittel (Kreditkarte, Sozialhilfebezüger), die ein E-Tarif voraussetzt, oder aber, sie haben spezifische Bedürfnisse: Wird für den Bundesrat durch den E-Tarif der Zugang zu Öffentlichen Verkehr erschwert und dadurch der Transportpflicht nach Artikel 12 PBG nicht nachgekommen?»

Und:

«Schränkt für den Bundesrat ein E-Tarif die freie Wahl der Zahlungsmittel ein?»

Antwort auf beide Fragen:

«Die Einführung des E-Tarifes verbunden mit einem ausschliesslich digitalen Zahlungsmittel ist langfristig angedacht (2035).

Wie sich in den letzten Jahren insbesondere auch mit den Erfahrungen während der Corona-Pandemie zeigte, nimmt der Ticketkauf mittels digitalen Zahlungsmitteln gegenüber Barzahlungen laufend zu. Dies gilt grundsätzlich für alle Bevölkerungsschichten. So äusserte beispielsweise Pro Senectute Schweiz Ende 2022 keine Bedenken zur Einführung von digitalen Zahlungsmitteln. Bereits heute fänden sich die meisten älteren Leute gut in der digitalen Welt zurecht. Der grösste Teil der Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz seien heute mit Handy oder Smartphone unterwegs. Bis in zwölf Jahren würde sich der Anteil weiter erhöhen.

Im Rahmen von myRide werden jedoch auch Lösungen für Personen gesucht, welche keinen Zugang zu einem digitalen Ticketingsystem haben. Artikel 12 PBG wird daher nicht verletzt.»

Siehe auch: Bargeld wird zum Gegenstand einer Volksabstimmung.

Frage 3: Was sind die gesetzlichen Grundlagen für individuelle Preise?

«Besteht eine gesetzliche Grundlage für Preisberechnungen auf der Grundlage des individuellen Konsums der Vergangenheit? Falls nicht: Plant der Bund eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen?»

Antwort:

«Die Preisbildung und somit die Preisberechnung sind in der Kompetenz der Transportunternehmen: Sie haben für ihre Leistungen Tarife aufzustellen. Der Tarif nennt die Voraussetzungen, unter welchen ein bestimmter Preis für die Beförderung und für die damit zusammenhängenden Leistungen zur Anwendung kommt. Dabei haben sich die Tarife nach dem Umfang und der Qualität der Leistung und nach den Kosten des Angebots auszurichten (Art. 15 PBG). Weitere Präzisierungen werden vom Gesetz nicht vorgegeben.

Die gesetzlichen Grundlagen schliessen weder die Preisberechnungen auf der Grundlage des individuellen Konsums der Vergangenheit aus, noch fordern sie eine solche ein. Die Transportunternehmen sind daher bei der Ausgestaltung der Tarife relativ frei. Sie müssen jedoch für Kundinnen und Kunden in vergleichbarer Lage vergleichbare Bedingungen vorsehen (Art. 15 Abs. 3 PBG).

Sollte sich bei den Vertiefungsarbeiten von myRide zeigen, dass die heutige Gesetzesgrundlage nicht genügt, um den von der Branche angedachten E-Tarif einzuführen, wird der Bundesrat im Rahmen der Umsetzung des Berichtes zum Postulat Reynard die Sachlage prüfen und entscheiden, ob er eine entsprechende Vernehmlassungsvorlage erarbeiten lassen will.»

Frage 4a und 4b: Wie werden gleich lange Spiesse für alle Kunden gewährleistet?

«Falls die Ticketpreise auf Grundlage individuellen Verhaltens berechnet werden (E-Tarif), wie möchte der Bundesrat sicherstellen, dass ‹Kundinnen und Kunden in vergleichbarer Lage vergleichbare Bedingungen› vorfinden und ‹die Wahl zwischen verschiedenen Angeboten nicht unverhältnismässig beeinträchtigt› wird (Art. 15 Abs. 3 BPG)?

Und:

«Falls die Ticketpreise auf Grundlage individuellen Verhaltens berechnet werden (E-Tarif), wie kann der Bundesrat sicherstellen, dass die Tarife ‹gegenüber allen gleich angewendet› bzw. auch ‹veröffentlicht› werden (Art. 15. Abs. 5 PBG)?

Antworten:

«Die Ausgestaltung des E-Tarifes ist erst in Erarbeitung. Erste Erkenntnisse werden nach der Auswertung aus dem seit April 2023 in der Region Zürich laufenden Piloten vorliegen und in Arbeitsgruppen von MyRide diskutiert werden. Da das BAV auf verschiedenen Stufen der Projektorganisation einbezogen ist, kann der Bund bereits bei der Entstehungsphase des E-Tarif so Einfluss nehmen, dass die Umsetzung des E-Tarifes Art. 15 Abs. 3 PBG einhalten wird.»

Und:

«Der E-Tarif bildet die Tarifbeschlüsse ab, so bezüglich Sortimenten, Alterskategorien, Velo-Tarifen etc. Diese Tarifbestimmungen werden wie heute öffentlich zugänglich publiziert werden.»

Frage 5: Wird die Preisbekanntgabeverordnung eingehalten?

«Inwiefern wird der Zweck der Preisbekanntgabe-Verordnung (Vergleichbare Preise) für den Bundesrat nicht eingehalten, sofern die Ticketpreise auf Grundlage eines individuellen Tarifes erst im Nachhinein abgerechnet werden (Post-Pricing)?»

Antwort:

«Die Preisbekanntgabeverordnung (PBV; SR 942.211) findet nicht Anwendung auf die Ticketpreise für die Personenbeförderung mit dem öffentlichen Verkehr. Art. 15 PBG ist als Spezialgesetz massgebend. Da auch die E-Tarife veröffentlicht werden müssen (Art. 15 Abs. 3 PBG), wird gewährleistet, dass die Preise für jedes angedachte Verkehrsverhalten im Voraus berechnet und verglichen werden können.»

Frage 7: Führt das Tracking zu Problemen mit dem Datenschutz?

«Im neuen E-Tarif werden alle Reisedaten digital aufgezeichnet (‹Tracking›). Sieht der Bundesrat beim vorliegenden Projekt Probleme in der Einhaltung des Datenschutzes?»

Antwort:

«Die Alliance SwissPass wird diese Fragen in Zusammenarbeit mit dem EDÖB klären.»

Bild: Microsoft Bing Image Creator.

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