Anonymisiertes Bundesgerichts­­urteil: Falscher Verdacht nach Mandanten­­verrat

Symbolbild: Bundesgericht vs. verräterischen Strafverteidiger (KI-generiert)

Das Bundesgericht kritisiert in einem Urteil einen amtlichen «Strafverteidiger», der seinen Mandanten verraten hatte, mit deutlichen Worten. Das Urteil wurde, wie üblich, in anonymisierter Form veröffentlicht. In der Folge geriet ein unbescholtener Anwaltskollege unter falschen Verdacht.

Die deutliche Kritik findet sich in BGer 7B_141/2022 vom 2. November 2023. Anwaltskollege Konrad Jeker schreibt von einem unerträglichen Verhalten eines «Strafverteidigers», kritisiert aber auch die Strafjustiz im Kanton Zürich, welche den Mandantenverrat zugelassen hatte («zeigt die Strafjustiz von ihrer allerdunkelsten Seite»).

In seinem Urteil schreibt das Bundesgericht unter anderem:

«Die aufgeführten Aussagen des Beschwerdegegners sind problematisch. Nicht nur legt er gegenüber der Staatsanwaltschaft den Inhalt von (privilegierten) Klientengesprächen und die (seines Erachtens) optimale Verteidigungsstrategie offen, sondern er gibt zugleich auch zu verstehen, dass er das Vorgehen des Beschwerdeführers (Verzicht auf ein abgekürztes Verfahren, Haftentlassungsgesuch) für wenig erfolgversprechend hält. Ein derartiges Verhalten liegt offenkundig nicht im Interesse des Mandanten und ist ohne Weiteres geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem amtlichen Verteidiger negativ zu beeinträchtigen»

Das anonymisiert veröffentlichte Urteil enthält mindestens einen Hinweis auf den kritisierten «Strafverteidiger»:

«Der Beschwerdeführer bringt unter anderem vor, sein Verteidiger kooperiere entgegen seiner eigenen Interessen mit den Behörden. Sinngemäss lautet der Vorwurf dahingehend, dem Beschwerdegegner seien seine guten Beziehungen zu den Behörden, die er aufgrund seiner ehemaligen Stellung als Polizeikommandant habe, wichtiger als die Wahrung der Interessen seines Klienten.»

Ehemalige Polizeikommandanten, die in die Strafverteidigung gewechselt haben, sind in der Schweiz selten.

In der Folge geriet ein unbescholtener Anwaltskollege, nämlich ein ehemaliger Kommandant der Kantonspolizei Zürich, unter falschen Verdacht. Gerade auch in vertrauenswürdigen Zürcher Justizkreisen kursierte der falsche Name.

Für Aufklärung sorgt nun Gerichtsreporter Thomas Hasler mit einem Artikel im Tages-Anzeiger, in dem der kritisierte «Strafverteidiger» beim Namen genannt wird.

Ironischerweise leitet der «Anwaltskollege» auf seiner Homepage seine Selbstdarstellung wie folgt ein:

«Das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Ein Verfahren kann lange dauern und stellt für die betroffenen Personen oft eine grosse Belastung dar. Deshalb ist die Wahl des passenden Anwalts von grosser Bedeutung.»

Wieso die Strafjustiz im Kanton Zürich den Mandantenverrat nicht selbst erkannt hatte, ist rätselhaft.

Auf Ebene der Staatsanwaltschaft könnte ein Interesse an einer solchen «Strafverteidigung» unterstellt werden, denn sie erleichtert mutmasslich die Arbeit. Die Staatsanwaltschaft setzt die amtliche Verteidigung selbst ein.

Im Kanton Zürich sind immerhin nicht die fallführenden Staatsanwälte für die Einsetzung der amtlichen Verteidigung zuständig, sondern das Büro für amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft. Die Lösung gilt als vorbildlich.

Auf Ebene des Obergerichts des Kantons Zürich bleibt es beim Rätseln, solange der begründete Entscheid UP220017 vom 22. Juli 2022, gegen den Beschwerde beim Bundesgericht erhoben wurde, nicht veröffentlicht wird.

BGer 7B_141/2022 ist übrigens beim Bundesgericht nicht mehr abrufbar. Es scheint die – fehlerhaft formatierte – Meldung «Dieser AZA-Entscheid ist in elektronischer Form nicht verfXgbar.»

Screenshot: «Dieser AZA-Entscheid ist in elektronischer Form nicht verfXgbar.»

Nachtrag vom 22. November 2023: Ein Anonymus weist darauf hin, dass BGer 7B_141/2022 bei bger.li weiterhin abrufbar ist. Ebenfalls abrufbar ist das Urteil über die Internet Archive Wayback Machine.


Nachtrag vom 2. Dezember 2023: Inzwischen ist BGer _141/2022 auch beim Bundesgericht wieder abrufbar.

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