Bundesgericht: Auch Anwälte benötigen für E-Mail-Werbung die Einwilligung der Empfänger

Bild: E-Mail-Werbung vom Anwalt (KI-generiert)

Anwälte, die E-Mail-Werbung ohne Einwilligung der Empfänger versenden, verletzen Art. 12 lit. d BGFA über erlaubte Werbung für Anwälte. Das BGFA ist das schweizerische Anwaltsgesetz, offiziell Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte.

Was bei Nicht-Anwälten unlauter sein kann, ist bei Anwälten auch eine berufsrechtliche Frage, wie das Bundesgericht mit dem italienischsprachigen BGer 2C_1006/2022 vom 28. November 2023 entschieden hat. Ein angebliches Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit kann die fehlende Einwilligung nicht ersetzen.

Sachverhalt: Anwälte verschicken E-Mail-Werbung ohne Einwilligung

Anwaltskollegen im Kanton Tessin hatten Werbung per E-Mail an alle aktuellen und ehemaligen Mandanten ihrer Anwaltskanzlei verschickt, ohne deren Einwilligung bzw. «Opt-in» eingeholt zu haben. In der Folge empfand mindestens ein Empfänger die E-Mail-Werbung als unerwünscht, sprich als Spam.

Bei E-Mail-Werbung sollte «Permission Marketing» die Regel sein. Man verschickt E-Mail-Werbung demnach nur an Empfänger, die ihre Einwilligung («Permission») erteilt haben. Lauterkeitsrechtlich findet sich dieser Grundsatz unabhängig von der Anwaltstätigkeit in der «Anti-Spam»-Bestimmung gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG.

Das Bundesgericht fasst den Sachverhalt, der zu seinem Urteil führte, unter anderem wie folgt zusammen (mit Hervorhebung):

«Mit E-Mails vom 8. Juni und 30. September 2019 wandte sich Rechtsanwalt E.________ an die Anwaltskammer des Kantons Tessin […] und wies darauf hin, dass ein Unternehmen, seine Mandantin, zwei Mal einen Newsletter der Anwalts- und Notariatskanzlei F.________ erhalten habe. Die Newsletter behandelten hauptsächlich aktuelle gesetzgeberische und rechtliche Entwicklungen in dem Fachgebiet der Kanzlei […]. Da die Empfängerin weder ihre Einwilligung erteilt noch ihre E-Mail-Adresse oder ihre persönlichen Daten angegeben hatte und auch sonst nicht anfragt worden war, stellte Rechtsanwalt E.________ die Vereinbarkeit dieser Vorgehensweise mit den beruflichen Pflichten in Frage.»

Und:

«Das kantonale Verwaltungsgericht stellte fest, dass die streitigen Newsletter, die sich mit verschiedenen Rechtsthemen befassten, wahllos an alle Mandanten der Anwaltskanzlei versandt worden waren, ohne dass der Kreis der potenziellen Empfänger in irgendeiner Weise bestimmt worden war und ohne dass die Empfänger in irgendeiner Weise ihr Interesse am Erhalt der Newsletter bekundet hatten. Wie das kantonale Gericht feststellte, hatten die Beschwerdeführer […] selbst nicht bestritten, dass sie einen undifferenzierten Massenversand durchgeführt hatten.»

Das einschlägige Berufsrecht in Form von Art. 12 lit. d BGFA lautet auf Deutsch wie folgt:

«[Anwältinnen und Anwälte] können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.»

Nun hätten die betroffenen Anwaltskollegen diesen Entscheid akzeptieren, die jeweils verhängte Busse von 600 Franken bezahlen und in Zukunft auf «Permission Marketing» setzen können.

Die Anwaltskollegen beschritten stattdessen den Rechtsweg – zuerst beim Verwaltungsgericht des Kantons Tessin – und erwirkten letztlich einen Leitentscheid des Bundesgerichts, denn BGer 2C_1006/2022 ist zur Publikation als BGE vorgesehen.

Urteilsbegründung: Keine Einwilligung, aber auch kein Informations­bedürfnis der Öffentlichkeit

Vor dem Bundesgericht versuchten sich die Anwaltskollegen als Beschwerdeführer insbesondere wie folgt zu retten:

«[…] dem Versand der Newsletter [sei] eine sorgfältige Auswahl und Sortierung der potenziellen Interessenten aus den E-Mail-Adressen von Mandanten und ehemaligen Mandanten der Anwaltskanzlei vorausgegangen sei. »

Die Anwaltskollegen fanden damit kein Gehör beim Bundesgericht:

«Die Beschwerdeführer haben […] weder dargelegt noch bewiesen, dass sie besondere Kriterien angewandt oder Massnahmen ergriffen hatten, um sicherzustellen, dass die Newsletter nur an einen bestimmten Empfängerkreis (z. B. an Mandanten mit besonderen rechtlichen Bedürfnissen oder deren Tätigkeiten in die Rechtsgebiete fallen, auf die sich der Inhalt der Newsletter bezogen) versandt wurden. […]»

Inwiefern unerwünschte E-Mail-Werbung durch Anwälte an sorgfältig ausgewählte Empfänger ohne deren Einwilligung zulässig gewesen sein könnte, erklärt das Bundesgericht nicht.

Aus lauterkeitsrechtlicher Sicht ist E-Mail-Werbung ohne Einwilligung der Empfänger – wenn überhaupt – nur ausnahmsweise und unter bestimmten Voraussetzungen zulässig («[…] wer beim Verkauf von Waren, Werken oder Leistungen Kontaktinformationen von Kunden erhält und dabei auf die Ablehnungsmöglichkeit hinweist, handelt nicht unlauter, wenn er diesen Kunden ohne deren Einwilligung Massenwerbung für eigene ähnliche Waren, Werke oder Leistungen sendet» gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG).

Immerhin bestätigt das Bundesgericht – wenig überraschend –, dass das anwaltliche Berufsrecht für erlaubte Werbung über das Lauterkeitsrecht hinausgeht:

«Wie das kantonale Gericht richtigerweise betont hat, enthält das Kriterium der Objektivität strengere Einschränkungen als das im Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) enthaltene Gebot der Lauterkeit. Das Kriterium der Objektivität erfordert eine gewisse Zurückhaltung in dem Sinn, dass die Werbung des Anwalts, die einen informativen Charakter haben muss, auf sensationsheischende, übertriebene und unverhältnismässige Methoden verzichten muss. Diese Einschränkungen betreffen sowohl den Inhalt als auch die Formen und Methoden der Anwaltswerbung […].»

Und:

«Das ‹Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit› bezieht sich im Wesentlichen auf Informationen über die Anwaltskanzlei, ihre Tätigkeitsbereiche und ihre Kontaktdaten sowie auf zusätzliche Informationen, z.B. ob sie ‹Rechtsberatung und -vertretung› betreibt. Je nachdem, wo die Werbung wirksam werden soll, kann das Informationsbedürfnis des Publikums mehr oder weniger stark ins Gewicht fallen […].»

Mit Blick auf den Inhalt von E-Mail-Werbung durch Anwälte zitiert das Bundesgericht die Lehre, die letztlich darauf abstellt, dass die Empfänger nicht belästigt werden dürfen:

«Die Lehre schliesst zwar nicht aus, dass ein Newsletter, eine Broschüre oder ein Rundschreiben grundsätzlich verschickt werden kann, um einen Anwalt oder eine Anwaltskanzlei bekannt zu machen […]. Was die Empfänger betrifft, gehen die Meinungen hingegen auseinander. […]»

Aber:

«In jedem Fall darf ein Newsletter nicht geeignet sein, die Empfänger zu belästigen, insbesondere aufgrund ihrer Häufigkeit, ihres aufdringlichen Charakters oder sogar ihres Inhalts. So ist es beispielsweise nicht vorstellbar, dass ein Rechtsanwalt Informationen zum Scheidungs- oder Erbrecht an Personen sendet, die ihn nie darum gebeten haben […].»

Diese Begründung ist – insbesondere mit Blick auf das bereits erwähnte Lauterkeitsrecht – nachvollziehbar.

Wieso unter diesen Umständen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit eine Rolle spielen soll, ist rätselhaft (mit Hervorhebung), denn das Berufsrecht soll Anwälte offensichtlich nicht gegenüber dem allgemeinen Spam-Verbot im Lauterkeitsrecht privilegieren:

«Im vorliegenden Fall stellte das kantonale Verwaltungsgericht im Hinblick auf das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit fest, dass die Newsletter unterschiedliche Themen behandelten und unterschiedslos an alle aktuellen oder nicht aktuellen Mandanten der Anwaltskanzlei versandt wurden. Nach Ansicht der Tessiner Richter war ein allgemeines Mailing an alle Personen, die sich wegen Praktiken an die Kanzlei gewandt hatten, die nicht notwendigerweise mit den in den Newslettern behandelten Themen in Zusammenhang standen und die zudem nicht zugestimmt hatten, diese zu erhalten, nicht zulässig. Eine solche Werbung, die sich an ein breites Publikum richtet, ist ihrer Ansicht nach rechtswidrig, da sie geeignet ist, Personen dazu zu veranlassen, die Dienste des Anwalts in Anspruch zu nehmen, obwohl sie diese nicht benötigen. Ganz zu schweigen von den Folgen, die sich aus dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ergeben. Sie kamen deshalb zum Schluss, dass der Versand der beanstandeten Newsletter dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht entsprach und somit gegen Art. 12 lit. d [BGFA] verstiess. Der Versand des Newsletters an einen Dritten, der nicht Mandant der Anwaltskanzlei war (in diesem Fall an den Klienten des Anwalts E.________), wurde hingegen nicht berücksichtigt, da es sich um einen Einzelfall zu handeln schien, der auf einen von den Beschwerdeführern zugegebenen Fehler und nicht auf einen gezielten Versand zurückzuführen war.»

Man muss sich ferner fragen, wieso das Gericht im Kanton Tessin die vom Bundesgericht erwähnte Gefahr sah, dass unerwünschte E-Mail-Werbung die Empfänger verleiten könnte, einen gar nicht benötigten Anwalt zu mandatieren. Bei mündigen Empfängern von Spam dürfte das Gegenteil der Fall sein.

Fazit: «Permission Marketing» gilt auch für Anwälte

In jedem Fall versucht das Bundesgericht sichtbar, sich nicht allein auf den Inhalt der E-Mail-Werbung zu beziehen.

So bestätigt das Bundesgericht, dass die betroffenen Anwaltskollegen im Kanton Tessin mit ihrem Newsletter auch mangels Einwilligung bzw. «Opt-in» der Empfänger das Berufsrecht für erlaubte Werbung verletzten (mit Hervorhebung):

«Angesichts des von der Vorinstanz willkürfrei festgestellten und für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalts […], dass die streitigen Newsletter an alle ehemaligen und aktuellen Mandanten der Kanzlei versandt wurden, ohne zu berücksichtigen, aus welchen Gründen sie sich an die Kanzlei gewandt hatten, erscheint die Auffassung des kantonalen Verwaltungsgerichts, das diese undifferenzierten Massensendungen als unzulässige, gegen Art. 12 lit. d BGFA verstossende Werbung ansieht, zutreffend und ist daher zu bestätigen. Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Empfänger der Newsletter weder ihr Interesse bekundet noch ihr Einverständnis zum Erhalt der Newsletter gegeben hatten, deren Inhalt sich nicht auf spezifische Informationen über die Anwaltskanzlei beschränkte, sondern eher juristische Themen behandelte, die nichts mit den Gründen zu tun hatten, aus denen sich diese Personen an die Anwaltskanzlei gewandt hatten. Gemäss der herrschenden Lehre entspricht eine solche Werbung nicht dem Informationsbedürfnis des Publikums, das gezielter sein muss, und erfüllt somit nicht die Anforderungen der oben dargelegten Rechtsprechung […]. Das kantonale Verwaltungsgericht hat daher nicht das Bundesrecht missachtet, als es zum Schluss kam, dass die streitigen Sendungen Art. 12 lit. d BGFA verletzen.»

Wenn ein Teil der Lehre den Eindruck erweckt, «zielgruppenorientierte Werbung» sei für Anwälte per E-Mail grundsätzlich ohne Einwilligung der Empfänger zulässig, rate ich mit Blick auf das Lauterkeitsrecht davon ab, dieser Lehrmeinung zu folgen:

«[…] auch wenn die zitierten Autoren für die Zulässigkeit einer ‹zielgruppenorientierten Werbung› plädieren […], so sind sie doch der Auffassung, dass eine solche Werbung an einen bestimmten Empfängerkreis, d.h. an potenzielle Mandanten, gerichtet sein muss, die anhand der Fachgebiete der Kanzlei bestimmt werden […]. Daraus folgt, dass ihre Meinung im vorliegenden Fall nicht von Interesse ist, weil die streitigen Newsletter ohne Bestimmung des genauen Kreises der potenziellen Empfänger erfolgten […]»

Massgeblich sollte nicht sein, was für E-Mail-Werbung eine Anwaltskanzlei inhaltlich verschickt, sondern in was für Werbung die Empfänger ihre Einwilligung erteilt haben.

Lange Rede, langer Rechtsweg, kurzer Sinn: Auch Anwälte sollten im Sinn von «Permission Marketing» die Einwilligung der Empfänger von E-Mail-Werbung einholen, um auf der sicheren Seite zu sein.

(Via Philippe Ehrenström.)

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